Ohne ihre primitiven Boote an Land zu ziehen, sprangen sie an Land und verschwanden im Dickicht. Laute Rufe warnten alle, die in der Nähe waren, vor der Gefahr.
»Gütiger Himmel!« rief Miguel Heredia aus. »Diese armen Leute sind ja völlig verängstigt.«
»Wie würde es dir gehen, wenn du wüßtest, daß dich in Gefangenschaft der Weißen ein schlimmeres Schicksal als der Tod erwartet?« gab seine Tochter zurück. »Laut Buenarrivo müssen wir unmittelbar in der Nähe von Kap Palmas sein. Hier beginnt die eigentliche Sklavenküste. Erstaunlich, daß überhaupt noch jemand hier ist.«
Zwei Tage später erreichten sie tatsächlich Kap Palmas. Dort knickte die nach wie vor flache gerade Küste nach Nordwesten ab. Hier begann der Golf von Guinea, der Ende des 17. Jahrhunderts das Zentrum des Sklavenhandels war.
Es dauerte nur einige Tage, bis das erste Sklavenschiff auftauchte: eine schmutzige, etwa vierzig Meter lange Brigg mit jeweils zwölf Kanonen mittleren Kalibers Steuer- und Backbord. Sie ankerte in der Mündung eines kleinen Flusses und wurde gerade beladen. Eine lange Kolonne Männer — einige fast noch Kinder —, die mit schweren Eisenketten aneinandergefesselt waren, ging an Bord.
»Kanonenschächte auf!«
Der Befehl lief vom Achterkastell der Dama de Plata zur Galionsfigur. Sofort hißte man die riesige hellgrüne Flagge mit der zerbrochenen Kette, und wenige Minuten später ließ das Schiff eine halbe Meile entfernt den Anker fallen. Gleichzeitig setzte man dem Sklavenschiff einen Warnschuß vor den Bug, damit dieses gar nicht erst auf die Idee kam, Widerstand zu leisten oder die Flucht zu ergreifen.
Celeste Heredia wandte sich an Gaspar Reuter, der alles mit seinem Fernglas beobachtete.
»Was meinst du?« fragte sie.
»Holländer… So an die dreißig.« Er stand auf und schüttelte entschieden den Kopf. »Sie werden keinen Widerstand leisten.«
»Sie haben drei Stunden Zeit, um die Sklaven zu befreien und sich mit ihren Booten in Sicherheit zu bringen. Bei Anbruch der Nacht versenken wir das Schiff. Sag ihnen das.«
»Das wird ihnen nicht gefallen.«
»Kann ich mir vorstellen. Aber überzeuge dich davon, daß bei Sonnenuntergang keiner mehr an Bord ist. Ich habe keine Lust, hier die Nacht zu verbringen.«
Als der Engländer zurückkam, lächelte er nur:
»Sie sind tatsächlich nicht begeistert und halten das Ganze schlicht für Seeräuberei, daher haben sie geschworen, uns die ganze holländische Flotte auf den Hals zu schicken.« Er wies in Richtung Küste. »Aber sie bringen bereits die Leute an Land.« Er machte eine kurze Pause. »Übrigens tragen fast alle diese Unglücklichen das Brandzeichen des Königs vom Niger.«
»Eines Tages werde ich diesen Hurensohn kastrieren!« meinte Celeste tonlos.
»Da wäre ich gern dabei.«
Um fünf Uhr nachmittags waren die befreiten Gefangenen bereits im Dickicht verschwunden, und drei Schaluppen machten sich in östlicher Richtung die Küste entlang aus dem Staub. Das Schiff war offensichtlich menschenleer. Celeste gab daher Sancho Mendana, der an den Bordkanonen bereitstand, ein kurzes Zeichen.
»Ab in die Hölle damit!« befahl sie.
Drei Schuß genügten, den schon morschen Kahn auf den Grund des Flusses zu schicken. Kaum war er im Wasser verschwunden, da tauchten Eingeborene aus dem Dickicht auf, tanzten am Ufer, stießen Jubelschreie aus und winkten ihren glücklichen Rettern zu.
»Aufbruch!«
Sie lichteten die Anker. In den folgenden Tagen und Wochen spielte sich diese Szene ein gutes Dutzend Mal nahezu identisch ab. Die Sklavenhändler mußten sich offenbar sehr sicher sein, daß keiner sie zur Rechenschaft ziehen wollte, denn die läppische Bewaffnung ihrer Schiffe — nicht mehr als je ein halbes Dutzend Kanonen mittleren Kalibers Steuer- und backbord — schien eher dazu gedacht zu sein, etwaige Angriffe der Eingeborenen abzuwehren, als es mit einem wirklich mächtigen Kriegsschiff aufzunehmen.
Ab und zu befragten sie einen der Kapitäne der Schiffe, und es zeigte sich, daß diese nicht einmal im Traum darauf gekommen wären, daß die Dama de Plata nichts weiter wollte, als der Sklaverei den Garaus zu machen. Schwarze waren für diese Leute offensichtlich keine andere Ware als Wein, Korn oder Vieh.
Afrikaner waren an diesen Küsten billig und zahlreich vorhanden, am anderen Ende des Ozeans dagegen knapp und kostbar. Sie machten diesen Händlern nicht mehr Gewissensbisse als Kühe, die ein Viehzüchter zum Schlachthof trieb.
Na schön, der Sklavenhandel war nicht gerade angenehm, doch warf er nun mal einen ungeheuren Profit ab, und nicht einmal die katholische Kirche fand etwas dabei. Warum sollten also ausgerechnet sie dieses Geschäft in Frage stellen?
Wenn da plötzlich einer — mit geladenen Kanonen auftauchte und behauptete, Schwarze hätten die gleichen Rechte wie die Weißen, dann war das das gleiche wie einen Robbenjäger in der Arktis davon zu überzeugen, daß die Seehunde das gleiche Recht wie die Menschen hatten.
Schließlich genossen in dieser Zeit nicht einmal weiße Christen besonders viele Rechte.
Die Dama de Plata entwickelte sich daher zum Schrecken aller Sklavenhändler. Als die ersten Überlebenden dieser Angriffe die Insel Goree vor Dakar erreichten, die gewissermaßen der »Hauptmarkt« des Kontinents war, beschlossen die dortigen Machthaber zu handeln, bevor die Angst vor der geisterhaften Galeone den blühendsten Handel der Welt ruinierte. Immerhin verschiffte man jedes Jahr an die 20 000 Sklaven über den Atlantik.
Man befahl daher dem Kapitän des schnellsten Schiffs, das gerade im Hafen ankerte, sofort auf Nordkurs zu gehen und den französischen, holländischen, spanischen, portugiesischen und englischen Behörden die Nachricht zu überbringen, daß eine mysteriöse Galeone mit achtzig Kanonen den Zusammenbruch der »Handelsrouten« an der gesamten afrikanischen Küste südlich vom Kap Palmas bewirkt hatte. Gleichzeitig schickten sie Schaluppen aufs Meer hinaus. Diese sollten alle nach Süden segelnden Sklavenschiffe davor warnen, ihren Kurs fortzusetzen, wenn sie nicht als verkohlte Wracks enden wollten.
Mehr als ein halbes Jahr fuhr die Dama de Plata im Golf von Guinea Patrouille und ruinierte damit eine Organisation, die man über ein Jahrhundert lang aufgebaut hatte. Oft erlaubte sich das Schiff sogar den Luxus, einige der Festungen der Sklavenhändler auf küstennahen Inselchen zu bombardieren. In jenen Zeiten wagte sich nämlich kaum ein weißer Mann ins Innere des Kontinents vor.
Zwar war Schwarzafrika schon Tausende von Jahren früher als Amerika bekannt, doch wurde es von den Europäern wirklich erst Jahrhunderte später erforscht. Während Francisco de Orellana bereits Mitte des 16. Jahrhunderts vom Pazifik aus dem Amazonas flußabwärts folgte und so den Atlantik erreichte, vergingen noch fast dreihundert Jahre, bis Livingstone Afrika durchquerte.
Die Kapitäne der Sklavenhändler beschränkten sich darauf, die Küste zu beobachten, bis Häuptlinge oder arabische Händler mit ihrer menschlichen Fracht auftauchten. Diese tauschte man dann gegen Stoffe, Halsbänder, Waffen, Munition oder kleine KauriMuscheln von den Stränden der Inseln im Indischen Ozean. Diese waren bei den Eingeborenen so begehrt, daß sie südlich der Sahara zu einer Art »Währung« wurden.
In den tiefen Buchten oder vorzugsweise in den Flußmündungen entwickelte sich alsbald ein richtiggehender Markt, auf dem lediglich das menschliche »Ebenholz« zählte. Junge und starke Männer der Aschanti- oder Mandingostämme warfen dabei den größten Profit ab.
Die ständig patrouillierende Galeone hatte allerdings, jedenfalls für den Augenblick, dem Sklavenhandel Einhalt geboten. Das war den örtlichen Eingeborenen keineswegs verborgen geblieben. Wo immer das Schiff auftauchte, wurde es enthusiastisch begrüßt. Man wagte es sogar, sich der Galeone zu nähern, da als sicher galt, daß von dort keine Gefangennahme drohte.