Bald brachten sie Geschenke: Nahrung und kleine Dinge. An einem heißen Morgen, als das Schiff vor dem Kap der Drei Spitzen ankerte, tauchte am Horizont ein riesiges Kanu auf, an dessen Bug ein langer schlanker Mann mit stechenden Augen und buschigem weißen Bart stand. Er trug eine Art ausgebleichte Soutane, die ihm kaum bis zu den Knien reichte. Sein Mund war von einer riesigen, tiefen Narbe auf dem Kinn leicht entstellt.
Er bat unverzüglich um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen. Überrascht und glücklich stellte er fest, daß die Anführerin des so erfolgreichen Kreuzzugs gegen den Sklavenhandel eine Landsmännin war.
»Ich heiße Pedro Barbas, allerdings nennen mich alle hier nur >Pater Barbas<, und ich stamme aus Pamplona«, stellte er sich vor. »Ihr könnt Euch nicht ausmalen, wie es mich freut, nach so vielen Jahren wieder einmal Spanisch zu sprechen.«
»Und was treibt Ihr in dieser Gegend?« wollte Celeste wissen. Diese seltsame Erscheinung glich eher einem Wilden als einem Pfarrer aus Navarra und verblüffte sie ein wenig.
»Das gleiche wie Ihr, aber wesentlich weniger erfolgreich«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Jahrelang bin ich auf den Spuren des verehrten >Apostels der Negersklaven<, des seligen Pater Pedro Maria Claver, gewandelt, doch schließlich wurde mir klar, daß es nicht genug ist, Sklaven bei der Einschiffung Trost zu spenden. Daher entschied ich mich, meine Soutane an den Nagel zu hängen und das Übel an der Wurzel zu bekämpfen. Ich konnte es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, einer Kirche zu gehorchen, die diesen Handel nicht kompromißlos verurteilt und alle exkommuniziert, die auch nur das Geringste mit der Sklaverei zu tun haben.«
»Und habt Ihr etwas erreicht?«
»Ich habe überlebt, das ist schon genug«, entgegnete der andere mit bitterem Lächeln. »Ich bin gezwungen, durch diese Urwälder zu irren. Nur einige getreue Eingeborene begleiten mich. Allerdings sind wir, ehrlich gesagt, zumeist auf der Flucht vor meinen Feinden. Um uns Freunde zu machen, bleibt wenig Zeit.«
»Und wer sind Eure Feinde?« wollte Hauptmann Sancho Mendana wissen.
»Fragt lieber, wer nicht, dann fällt die Antwort kürzer aus«, versetzte der Pater. Er konnte es gar nicht fassen, in der luxuriösen Messe einer riesigen Galeone zu sitzen, wo man ihm richtigen Wein in einem Silberkrug einschenkte. »Kapitäne, Sklavenhändler, arabische Händler und Negerhäuptlinge würden mich nur zu gern am höchsten Baum aufknüpfen. Aber mein hartnäckigster Verfolger ist der König vom Niger. Er hat hundert Guineen auf meinen Kopf ausgesetzt.«
»Warum das?«
»Meine Leute und ich haben ein besonderes Geschick entwickelt, uns nachts in die Lager der Sklavenhändler zu stehlen und Sklaven zu befreien«, erklärte er sichtlich stolz. »Ich denke, wir haben über tausend von ihnen zur Flucht verholfen.«
Anschließend erzählte er, wie er die letzten acht Jahre lang die Küsten des Golfs von Guinea unsicher gemacht hatte und dabei nur auf das Häuflein entschlossener Eingeborener im Kanu zählen konnte. Allerdings verschwendete er nur eine Minute darauf, zu berichten, wie ein Krieger aus Benin mit dem Leben dafür bezahlt hatte, daß er ihm das Gesicht mit einem Machetenschlag entstellt hatte.
»Das sind Wilde«, murmelte er. »Überzeugte Kannibalen. Benin nennen sie die >Stadt des Blutes<, und ich schwöre, ich fand nicht das geringste dabei, diesem Kerl die Gurgel durchzuschneiden.«
»Wie ist denn das Innere Afrikas?« fragte Celeste.
»Ein Paradies und eine Hölle«, lautete die lapidare Antwort. »Ein Paradies der Tiere, aus dem die Menschen den ersten Kreis der Hölle gemacht haben. So schön, daß man dem Schöpfer auf Knien dafür danken möchte, und so grausam, daß man vor Wut heulen könnte.«
»Gedenkt Ihr lange hierzubleiben?«
»Bis sie mich umbringen, denn nur hier werde ich wirklich gebraucht. Es gibt schon Gläubige genug, die den Herrn zu allen Stunden preisen, da kann es ihm nicht schaden, wenn jemand Wie ich ihn von Zeit zu Zeit dafür verflucht, daß er Dinge wie diese hier zuläßt.« Er sah die Tischrunde der Reihe nach an: »Habt Ihr eine Vorstellung davon, wie viele dieser Unglücklichen sterben, weil sich die Brandwunden infizieren, die man ihnen beibringt, wenn man ihnen das glühende Eisen aufdrückt? Einer von zwanzig, und trotzdem läßt der König vom Niger nicht davon ab, weil er glaubt, nur so seine Sklaven identifizieren zu können.«
»Kennt Ihr ihn persönlich?«
»Ich habe ihn einmal gesehen, da ritt er auf einem Schimmel unter einem riesigen roten Sonnenschirm und hatte soviel Gold um den Hals, daß es einen blendete. Etwa eine Minute lang hatte ich ihn im Visier, aber leider außer Schußweite.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »An diesem Tag habe ich den Herrn am heftigsten verflucht, weil er meine Bitte, mich hundert Meter näher heranzubringen, nicht erhört hatte.«
»Vielleicht dachte er daran, daß Euch seine Eskorte getötet hätte, wenn Ihr auf ihn geschossen hättet.«
»Was zählt schon mein Leben, wo Abertausende so schrecklich leiden? Erst wenn Ihr seht, wie ein Krieger der Aschanti so lange die Luft anhält, bis er tot ist, weil er nur so wieder frei werden kann, dann werdet Ihr verstehen, welch unerträgliche Heimsuchung die Sklaverei ist.«
»Sie halten die Luft an, bis sie tot sind?« fragte Gaspar Reuter erstaunt. »Unmöglich!«
»Nicht für einen Aschanti«, erwiderte der Navarrese, der wußte, wovon er redete. »Plötzlich sind sie ganz still, schließen die Augen und konzentrieren sich, und wenn du sie nicht heftig schlägst, lassen sie bald den Kopf auf die Brust sinken und sind tot.«
»Gütiger Himmel!«
»Kraft und Widerstandsfähigkeit machen sie zu den wertvollsten Sklaven, aber wenn sie sich entscheiden zu sterben, kann kein Mensch sie daran hindern. Daher muß man sie sehr jung >einfangen<, wenn sie weder Frau noch Kinder haben, dann fügen sie sich. Aber wenn einer von ihnen bereits eine Familie gegründet hat, riskiert er entweder sein Leben, um zu fliehen, oder er bringt sich um.«
»Wie seid Ihr bis zum König vom Niger vorgedrungen?« wollte Celeste wissen. Der Mann, von dem sie schon vor Monaten gehört hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
»Mein Verdienst war das nicht«, gab der ehemalige Priester zu. »Gewöhnlich lebt er in einer Art Festung, in deren Nähe niemand kommt. Ich habe ihn zufällig auf einem seiner seltenen Ausflüge in der Nähe von Okene gesehen. Weiter bin ich nie gekommen.«
»Stimmt es, wie man sagt, daß der Niger ein Arm des Nils ist, der nach Süden fließt?«
»Das weiß ich nicht, aber ich bezweifle es. Man hat mir erzählt, daß der Niger weiter flußabwärts die Wüste durchquert, aber einmal habe ich einen Händler getroffen, der schwor, von Timbuktu aus flußabwärts die Küste erreicht zu haben, und soweit ich weiß, liegt Timbuktu im Westen, der Nil dagegen im Osten.« Er zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich ist dieser Kontinent viel größer, als wir ahnen.«
»Und wer könnte mehr über ihn wissen?«
»Die Araber, aber fast alle, die hierherkommen, sind Sklavenhändler. Und wenn die überhaupt etwas sagen, dann ist das fast immer falsch.«
Alle Anwesenden in der prunkvollen Messe hätten gern noch mehr Fragen zu Afrika gestellt, aber in diesem Augenblick klopfte es leise an die Tür, und der Obermaat meldete sehr ernst:
»Schiffe im Westen.«
»Segel setzen und Anker lichten!« befahl Kapitän Buenarrivo sofort. »Kurs auf offene See.« Er wandte sich an Celeste. »Wir erwarten sie lieber weit weg von der Küste.«
Das Mädchen nickte, und während der Venezianer die Messe verließ, sah sie Pater Barbas an.
»Ich bitte Euch, von Bord zu gehen. Wenn es keine Probleme gibt, kehren wir in einigen Tagen zurück. Braucht Ihr etwas? Waffen, Munition, Lebensmittel…?«
»Das alles wäre wunderbar«, sagte er. »Und anständige Kleidung, wenn das nicht zuviel verlangt ist. Mit dieser alten Soutane sehe ich doch wie eine Vogelscheuche aus.«