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Er kletterte schleunigst zum Kanu hinunter und stieß sofort ab, damit die Dama de Plata aufs offene Meer hinausfahren konnte. Aufmerksam verfolgte man vom Achterkastell aus die zwei Punkte am Horizont, die rasch näher kamen.

Der kleine Kapitän stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Die sind uns auf der Spur«, sagte er. »Und sie scheinen gut bewaffnet zu sein.«

»Wie viele Kanonen?«

»Jedes Schiff fünfzig, schätze ich.«

»Können wir es mit ihnen aufnehmen?« fragte Celeste.

»Das hängt vom Wind, vom Meer, von ihren Irrtümern und unserem eigenen Geschick ab. Den einzelnen Schiffen sind wir an Feuerkraft überlegen, und wahrscheinlich schießen wir auch weiter, aber wenn sie uns gemeinsam angreifen, ziehen wir den Kürzeren.«

»Könnten wir fliehen?«

»Nicht mehr lange«, befand der Venezianer. »Um diesen Abstand zu halten, müssen wir ständig mit dem Wind segeln, und wenn sich, wie es fast täglich passiert, der Wind am Nachmittag dreht und uns zur Küste treibt, sind wir ihnen ausgeliefert.«

»Wozu ratet Ihr also?«

»Tiefe Gewässer aufzusuchen. Wenn uns schon der Wind nicht helfen kann, dann wenigstens das Meer. Je höher die Wellen, um so besser. Schließlich sind sie die Jäger und wir die Beute.«

Er rief seine Offiziere zusammen und wies sie über eine halbe Stunde lang präzise an, welche Manöver sie von nun an auszuführen hätten. Dann schloß er sich mit Hauptmann Sancho Mendana in seiner Kajüte ein, um mit ihm die Gefechtsstrategie für den Fall auszuarbeiten, daß man ihnen eine Schlacht aufzwang.

Inzwischen kamen die zwei Schiffe — über hundert Meter lange Fregatten englischen Typs — immer näher, bis man ihre Fahnen ausmachen konnte: ein Holländer steuerbord, ein Franzose backbord.

»Das hilft uns«, brummte Arrigo Buenarrivo. »Das heißt, sie stehen nicht unter gleichem Befehl. Jeder Kapitän wird uns als erster angreifen wollen, um seinen Mut zu beweisen. Wie mein Großvater immer sagte: Durch Rivalität unter Verbündeten wurden mehr Schlachten verloren als durch die Verdienste des Feinds.« Aufmerksam beobachtete er sie durch sein Fernglas, von dem er sich nie trennte: »Der Holländer ist offensichtlich schneller und besser bewaffnet. Er wird in die Falle gehen.«

In der folgenden Stunde täuschte die Galeone vor, mit aller Kraft den Abstand zu ihren Verfolgern halten zu wollen. Dabei fuhr sie immer weiter aufs offene Meer hinaus. Schon war das schützende Kap der Drei Spitzen nur noch ein Punkt am Horizont, und immer mächtigere Wellen, die von Westen heranrollten, wühlten die See auf. Bald verschwand das Schiff, wenn es in ein tiefes Wellental tauchte, völlig aus dem Blickfeld seiner Verfolger.

Dann stieg es erneut zum nächsten Wellenkamm auf. In diesen Augenblicken konnten sie sich genau ausrechnen, wieviel Abstand sie zu den Fregatten verloren hatten. Diese trennten sich allmählich, obwohl sich das hintere Schiff sehr bemühte, nicht zurückzufallen.

An Bord der Dama de Plata, die bereits demonstrativ ihre riesige, weithin sichtbare Kriegsflagge gehißt hatte, herrschte enorme Betriebsamkeit. Vom Offizier bis zum letzten Schiffsjungen strengten sich alle an, als ginge es um ihr Leben, und genau darum ging es auch.

Am frühen Nachmittag konnten sie den Namen des holländischen Schiffs, Cuxhaven, erkennen, und bald darauf schemenhaft die Besatzung, die neugierig auf die Masten geklettert war. Die Cuxhaven folgte dem Kielwasser der Dama de Plata durch ein dunkles Meer, an dessen Horizont bereits keine Küste mehr auszumachen war.

Kurze Zeit darauf donnerte der rauhe Baß des Venezianers über die Köpfe der Seeleute hinweg:

»Fünf Minuten bis zum Manöver!«

Ein Pfiff ertönte.

Eine Glocke läutete, um alle an den unteren Geschützen zu warnen.

Es war heiß, und obwohl eine Seebrise die Hitze linderte, waren alle Männer in Schweiß gebadet.

»Drei Minuten!«

Ein Pfiff ertönte.

Eine Glocke läutete.

Nur drei Meter von ihrem Vater entfernt klammerte sich Celeste Heredia an die Reling und musterte die Mannschaft auf dem Hauptdeck. Beruhigt stellte sie fest, daß alle zwar höchst angespannt waren, aber doch genau wußten, was sie taten. Sie war stolz darauf, die Männer mit ausgewählt zu haben.

»Eine Minute!«

Ein Pfiff ertönte.

Eine Glocke läutete.

Eine riesige Welle, der Hand Neptuns gleich, hob sie in die Höhe, und jetzt erkannten sie die stolze Galionsfigur der Cuxhaven, ein aufgerichteter, roter Löwe, der ihnen aus einer knappen Viertelmeile Entfernung drohte, bevor sie wieder ins tiefe Tal der nächsten Welle hinabglitten.

»Jetzt!«

Ein Piff ertönte.

Eine Glocke läutete.

In Windeseile refften Segel- und Toppsgasten nun die Segel, während zwei Männer dem Steuermann dabei zur Hand gingen, das Ruder hart steuerbord herumzureißen.

Ziel war es, einen fast rechtwinkligen Kurs zu ihren Verfolgern einzuschlagen.

Das schwere Schiff kam heftig ins Schlingern, und einige Augenblicke drohte es gar entzweizubrechen oder zu kentern. Als es jedoch wieder in die Höhe stieg, befand es sich seitlich zum nächsten Wellenkamm.

Kurz darauf lag es völlig gegen den Wind. Lediglich zwei Focksegel, deren Taue man gelockert hatte, flatterten ohnmächtig im Wind.

Der Kapitän der holländischen Fregatte wollte seinen Augen nicht trauen. Statt des Achterschiffs einer schweren Galeone auf der Flucht blickte er auf die kanonengespickte Steuerbordseite einer mächtigen Kriegsmaschine, die ihm nur ihre Aufbauten und drei kahle Masten als Ziel bot.

Dagegen standen der Cuxhaven für einen Angriff in diesem Augenblick nur zwei kleine Feldschlangen am Bug zur Verfügung, gleichzeitig bot sie den vierzig Sechsunddreißigpfündern des Feinds eine riesige Takelage dar.

»Feuer!«

Die Stimme von Hauptmann Sancho Mendana klang vollkommen gefaßt. Und so feuerte die Deckbatterie unisono eine Salve verketteter Kugeln ab. Diese rotierten durch die Luft und rissen bereits mit der ersten Salve das voll entfaltete Segelwerk des Feinds in Fetzen.

Es kam die nächste Welle, die Galeone stieg empor, und in diesem Augenblick schickte die Batterie des mittleren Decks die gleiche Botschaft.

Segel, Taue, Wanten, Männer und sogar der Fockmast der Cuxhaven flogen in die Luft. Als dann noch das rote Haupt des riesigen Löwen wie ein Stein ins Meer fiel, war jedem klar, daß die stolze, schnelle holländische Fregatte nur noch ein Trümmerhaufen war. Sie war nun den Launen des Ozeans völlig ausgeliefert und in der Gewalt derjenigen, die sie vernichten wollte.

»Focksegel festmachen, Steuer backbord, Großsegel los und Besansegel hissen!«

Ein Pfiff ertönte.

Eine Glocke läutete.

Der Befehl wurde ausgeführt, bevor jemand Amen sagen konnte. Dann nahm die Dama de Plata ihren alten Kurs wieder auf, entfernte sich Richtung Osten und ließ die traurigen Reste von Feind Nummer eins hinter sich.

Das französische Schiff wußte, daß es waffentechnisch unterlegen war. Von der unerwarteten Wende binnen weniger Minuten beeindruckt, schien es für einen Augenblick vor einer Schlacht zurückzuschrecken und fuhr dann auf seinen Verbündeten zu, um Hilfe anzubieten.

Daraufhin wandte sich Celeste Heredia an Kapitän Buenarrivo.

»Großartig!« jubelte sie. »Das war ein perfektes Manöver. Ich gratuliere Euch.«

»Gratuliert nicht mir. Gratuliert den Männern. So ein Manöver funktioniert nur, wenn alle einen kühlen Kopf bewahren.« Er lächelte zufrieden. »Sie sind gut! Sehr gut!«

»Und was habt Ihr jetzt vor?« wollte das Mädchen wissen.

»Wir haben zwei Möglichkeiten…«, befand der Venezianer. »Entweder machen wir uns aus dem Staub und geben ihnen damit die Chance, ihre Schäden zu beheben und uns später wieder zu verfolgen, oder wir machen kehrt und schicken sie ein für allemal auf den Meeresboden.«