»Was werden die Franzosen in diesem Fall machen?«
»Dreierlei. Entweder kämpfen sie, was ich nicht glaube, weil wir mit unserer Feuerkraft binnen Minuten aus ihnen Fischfutter machen. Falls sie nicht fliehen, werden sie um Waffenstillstand bitten. So können sie die holländischen Seeleute aufnehmen, bevor wir deren Schiff versenken.«
»Haben wir Signalfahnen?«
»Selbstverständlich.«
»Laßt sie holen. Wir werden ihnen signalisieren, daß sie eine Stunde Zeit haben, um ihre Freunde zu retten. Bei Anbruch der Nacht versenken wir die Cuxhaven.«
»Aber das ist ein gutes Schiff!« protestierte der andere. »Warum es versenken? In zwei Wochen ist es wieder wie neu.«
»Wir sind doch keine Piraten.«
»Aber wenn sie ihr Schiff aufgeben, gilt es nicht als Seeräuberei, es zu übernehmen«, wandte der Venezianer ein. »Ein Schiff ohne Besatzung, das keine Anker geworfen und keine Flagge gehißt hat, geht bei Anbruch des folgenden Tages in den Besitz des ersten über, der den Fuß auf sein Deck setzt und es für sich in Anspruch nimmt. So lautet das Gesetz.«
»Seid Ihr da sicher?«
»Mehr oder weniger«, lachte der andere. »Das ist von Land zu Land verschieden, aber wenn ich mich recht erinnere, lauten die venezianischen Gesetze so. Und schließlich bin ich der Kapitän, und ich bin Venezianer.«
»Und gilt dieses Gesetz auch, wenn derselbe, der mit Versenkung droht und die Evakuierung befiehlt, am folgenden Tag den Fuß auf das Deck setzt…?«
»Das ist wohl Ansichtssache«, erwiderte Buenarrivo seelenruhig und wandte sich an Miguel Heredia, der schweigend zuhörte. »Was meint Ihr? Sollen wir es versenken oder behalten?«
»Zerstören können wir es immer noch«, lautete die ehrliche Antwort. »Und oft werfen wir Dinge zu rasch weg, die wir später wieder brauchen.« Er blickte seine Tochter an und sagte im gleichen Ton: »Das ist ein prächtiges Schiff, behalt es doch, mach es wieder flott, und du hast zwei für deinen Kampf.«
»Und woher nehmen wir eine Besatzung?« fragte das Mädchen. »An Bord haben wir keinen einzigen Mann zuviel, und der nächste Hafen ist einen Monat entfernt.«
Miguel Heredia wies in Richtung des aus dem Blickfeld verschwundenen Kap der Drei Spitzen.
»Dort wirst du die Männer finden, die du brauchst«, erwiderte er mit dem Anflug eines Lächelns.
Celeste schaute ihn an, als könne sie nicht glauben, was sie da hörte.
»Dort…?« stotterte sie schließlich. »In Afrika?«
»Genau!«
»Ich soll also ein solches Schiff einer Besatzung aus Eingeborenen übergeben?«
»Ja warum denn nicht?« wollte ihr Vater wissen. »Du setzt dein Leben aufs Spiel, um ihnen die Freiheit zu schenken, weil du willst, daß sie die gleichen Rechte wie die Weißen haben, aber du verweigerst ihnen das Recht, ein einfaches Schiff zu steuern, weil du daran zweifelst, daß sie das so gut können wie der dümmste Weiße. Warum?«
»Weil sie nichts von Navigation verstehen.«
»Aber das können sie doch lernen… Oder nicht?«
»Ja, doch«, räumte seine Tochter verblüfft ein. »Das könnten sie wohl.«
»Na dann…?« beharrte der Margariteno, den Kapitän Buenarrivo sichtlich perplex ansah. »Wenn sie mit winzigen Kanus eine ganze Nacht lang draußen auf hoher See fischen können, dann sind sie mutige Seeleute, die das Meer nicht fürchten. Der Rest läßt sich lernen.«
»Er hat recht.«
Celeste wandte sich dem Venezianer zu, der diese Behauptung gemacht hatte.
»Seid Ihr sicher?«
»Nein«, antwortete er aufrichtig. »Aber um dieses Schiff nicht zu verlieren, würde ich einer Herde Ziegen die Kunst der Navigation beibringen.« Er zeigte ein breites Lächeln. »Vielleicht hat Euer Vater wirklich recht; die Ruderer, die mit diesem bärtigen Verrückten gekommen sind, scheinen sehr geschickt zu sein. Gib mir hundert von ihnen, dazu einige unserer Männer, und wir bringen diese Fregatte zum Segeln.«
Das Mädchen dachte ein wenig nach, betrachtete dann die zwei Schiffe, die bereits zwei Meilen Abstand gewonnen hatten, und nickte schließlich.
»Einverstanden!« sagte sie. »Wir behalten das Schiff.«
»Klar zum Manöver!« brüllte der Venezianer sofort los. »Ruder hart backbord! Volle Wende!«
Ein Pfiff ertönte, und der erste Offizier wiederholte den Befehclass="underline" »Klar zum Manöver! Ruder hart backbord! Volle Wende!«
»Signalisiert Waffenstillstand!«
»Signalisiert Waffenstillstand!«
Sie brauchten eine gute Stunde, um eine weite Wende zu vollführen und sich von Westen her den Schiffen zu nähern, die beigedreht hatten.
Sobald diese das Manöver und die Waffenstillstandsflagge erkannten, hißten sie sofort die ihre und streckten die Waffen.
Kapitän Buenarrivo ließ ein Boot zu Wasser, das den Fregatten folgende Nachricht überbringen sollte: Die Besatzung müsse das holländische Schiff verlassen, wobei die bloße Absicht, es zu versenken, als feindlicher Akt ausgelegt und das Ende der Waffenruhe bedeuten würde. Damit wäre es um die französische Fregatte geschehen.
Bei ihrer Rückkehr hatte die Schaluppe den holländischen Kapitän an Bord. Dieser Milchbart erinnerte eher an einen Zweiten Leutnant, der gerade angeheuert hatte, als an einen Kapitän, auf dessen Schultern die schwere Verantwortung für ein mächtiges Kriegsschiff lastete.
»Eigentlich war ich nur der Erste Offizier«, erklärte er. »Aber vor drei Tagen ist mein Kapitän an der Ruhr gestorben, und ich hatte nun einmal den Befehl, Piraten zu versenken.«
»Aber wir sind keine Piraten«, klärte ihn Celeste Heredia auf. »Und das ist schon bodenloser Leichtsinn, sich ohne Erfahrung auf ein wesentlich besser bewaffnetes Schiff zu stürzen.«
»Jetzt, wo ich sehe, was dabei herausgekommen ist, kann ich da nur zustimmen, und ich werde mich dafür vor meinen Vorgesetzten verantworten müssen«, pflichtete der Junge bei. »Wahrscheinlich verbringe ich den Rest meines Lebens im Kerker, aber ich habe nun einmal das getan, was ich glaubte, tun zu müssen.« Nacheinander sah er Kapitän Buenarrivo, Sancho Mendana, Miguel Heredia und Gaspar Reuter an, die ihn ihrerseits musterten, und schließlich sah er mit unverhohlener Verblüffung wieder Celeste an. »Klärt mich lediglich darüber auf, was Ihr hier tut, wenn Ihr angeblich keine Piraten seid.«
»Wir sind gegen die Sklaverei.«
»Entschuldigung! Was habt Ihr da gesagt?«
»Daß wir gegen den Sklavenhandel sind«, erwiderte Celeste, die sich mit Geduld wappnete. »Wir werden jegliches Sklavenschiff versenken, das unseren Weg kreuzt, ohne Ansehen der Nationalität.«
»Aber das ist doch absurd!« protestierte der rosige Jüngling. »Das ist illegal! Alle zivilisierten Nationen akzeptieren den Sklavenhandel. Es heißt, daß sogar der Heilige Vater…«
»Hat Euch jemand um Eure Meinung zu den Sklaven gebeten?« fuhr ihm Gaspar Reuter in die Parade. »Was zählt, ist, was die Betroffenen davon halten.«
»Die Schwarzen sind mit ihrem Los zufrieden«, lautete die einfältige Antwort. »Sie befinden sich nicht mehr länger unter der Fuchtel grausamer Häuptlinge und können den Weg zum wahren Glauben finden.«
»Wenn das so ist, warum muß man sie dann in Ketten legen, oder warum bringen sie sich bei der geringsten Gelegenheit um?« wollte der Engländer wissen. »Wenn sie so glücklich wären, wie man sagt, dann würden sie singend auf die Schiffe gehen, aber so etwas hat bis heute noch niemand gesehen.«‘
»Das liegt daran, daß sie am Anfang nicht wissen, daß sie ein besseres Leben erwartet.«
»Nichtsdestotrotz«, beharrte der andere, »ich habe Hunderte von ihnen durch die Urwälder Jamaikas gehetzt und gesehen, daß sie sich an den Bäumen aufgehängt haben, wenn ihnen klar wurde, daß man sie wieder ergreifen würde. Das beweist doch wohl, daß sie mit diesem >besseren Lebern absolut nicht glücklich waren.« Er kratzte sich genüßlich den roten Bart seines markanten Kinns: »Und das Schlimme ist nicht, daß es Scheißkerle gibt, die mit Schwarzen handeln, sondern daß andere sie unterstützen, daß angeblich >zivilisierte< Länder ihre Schiffe schicken, um so niedere Interessen zu verteidigen.«