»Ich gestatte Euch, nach Europa zurückzukehren…«, mischte sich Celeste ein. »Ich lasse Euch am Leben unter der Bedingung, daß Ihr Eure Regierung darüber aufklärt, daß wir keine schwarze Fahne hissen und nicht auf Beute aus sind. Wir wollen lediglich, daß dieser Handel aufhört. Er ist Menschen nicht würdig, die sich für das Abbild des Schöpfers halten.«
»Niemand wird mir glauben«, versicherte er. »Man wird mich für verrückt halten, wenn ich mit so einer Geschichte komme, und sagen, daß Ihr lediglich darauf aus seid, den Preis der Sklaven in die Höhe zu treiben, indem Ihr den normalen Handel unterbrecht. Auf Goree heißt es, daß Ihr wahrscheinlich in den Diensten von MulayAli steht, der sich auf diese Weise die Konkurrenz vom Halse schaffen und den Handel monopolisieren wilclass="underline" von der Gefangennahme im Inneren des Kontinents bis zum Verkauf am anderen Ende des Ozeans.«
»Wer ist MulayAli?« wollte Hauptmann Sancho Mendafia wissen.
Der Holländer sah ihn etwas mißtrauisch an, als wüßten seine Zuhörer nicht längst, wovon er sprach.
»MulayAli ist der König vom Niger. Der größte Händler Afrikas.«
»Er soll Mulatte sein«, kommentierte Celeste. »Warum heißt er MulayAli?«
»Weil er schon vor Jahren zum Islam übergetreten ist. Sein wahrer Name ist JeanClaude Barriere, aber wer es wagt, ihn so anzureden, dem läßt er bei lebendigem Leib die Haut abziehen.«
»Und wer ist auf die idiotische Idee gekommen, daß wir für ihn arbeiten?« fragte Miguel Heredia.
»Wahrscheinlich derselbe, der die idiotische Idee hatte, daß Ihr lediglich die Schwarzen befreien wollt«, erwiderte der Holländer recht selbstsicher. »Die erste Version macht zumindest etwas Sinn, während die zweite mir völlig verrückt erscheint.«
Alle Anwesenden blickten ihn an. Gaspar Reuter zuckte schließlich mit den Schultern, als hätte der bartlose Jüngling im Prinzip völlig recht.
»An seiner Stelle würde ich das gleiche denken«, gab er mit seinem typischen britischen Gleichmut zu. »Wenn man mir diese Frage vor einem Jahr gestellt hätte, dann hätte ich mir die Antwort keine Sekunde lang überlegt. Vielleicht erreichen wir mit all dem wirklich nur, daß die Preise für die Sklaven steigen, woran in gewisser Weise die Händler profitieren.«
»Und die Schiffe, die wir versenkt haben?« wollte Celeste wissen.
»Man wird sie durch andere ersetzen«, erwiderte der andere bestimmt.
»Und die Sklaven, die wir befreit haben?«
»Man wird sie wieder einfangen«, erwiderte der Engländer. »Mir ist keiner entkommen.«
»Willst du mich wieder einmal davon überzeugen, daß wir uns in einen unnützen Kampf gestürzt haben?« wollte das Mädchen sichtlich entmutigt wissen.
»Was man mit Überzeugung tut, ist niemals unnütz. Jedenfalls fühle ich mich wesentlich glücklicher dabei, Schwarze zu befreien, anstatt sie einzufangen.« Der Mann mit dem markanten Kinn wurde plötzlich ganz ernst. »Wenn wir wirklich glauben, daß unsere Sache gerecht ist, dann sollte es uns nicht stören, daß andere unser Tun mißbrauchen. Das gibt es schon seit Anbeginn der Welt. Selbst Jesus wußte, daß die Kirche, die er als Zeichen der höchsten Liebe und Erkenntnis gegründet hatte, schließlich Ketzer verbrennen würde, und doch hat ihn das nicht abgehalten.«
»Wir sollen also weitermachen?«
»Natürlich! Mit etwas Glück treiben wir vielleicht die Preise für Sklaven in so astronomische Höhen, daß es für die Pflanzer billiger wird, einem freien Mann einen guten Lohn zu zahlen. Letztendlich ist der Sklavenhandel lediglich eine Frage des Markts: die Händler gibt es, weil Käufer da sind, aber wenn die Ware nicht mehr rentabel ist, werden die Käufer bald ausbleiben und die Händler schließlich verschwinden.«
»Ihr seid verrückt!« rief plötzlich der Holländer aus, der alles mit angehört hatte, als wäre er auf dem Mond. »Glaubt Ihr wirklich, daß Ihr den lukrativsten Handel beenden könnt, der jemals auf der Welt existiert hat?« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Er hat ja gerade erst begonnen! Man hat noch nicht einmal die Küsten des Kontinents erforscht. In seinem Inneren leben Millionen untätiger Eingeborener. In der Neuen Welt sind gute Arbeitskräfte dagegen rar und bringen ein Vermögen ein.« Er musterte sie einen nach dem anderen, als hätte er eine Bande Irrer vor sich. »Ihr wollt gegen die Geschichte ankämpfen, aber die Geschichte geht über den hinweg, der sich gegen sie stellt.«
»Es sind die Menschen, die Geschichte machen«, befand Celeste Heredia ruhig. »Und wenn sich niemand gegen die Tyranneien erhoben hätte, dann wären wir heute noch alle Sklaven. Wenn meine Vorfahren dafür gekämpft haben, damit ich frei zur Welt kommen konnte, dann ist es meine Pflicht, dafür zu kämpfen, daß andere ebenfalls frei geboren werden können, egal welche Hautfarbe sie haben.«
»Ihr seid wahnsinnig!«
»Jetzt schau dir mal den an!« Celeste mußte sich sichtlich beherrschen. »Das von einem Wahnsinnigen, der zum ersten Mal ein Schiff befehligt und sich auf ein anderes stürzt, das ihm an Tonnage, Feuerkraft und Erfahrung um das Doppelte überlegen ist.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schickt ihn auf das französische Schiff zurück, und laßt nicht zu, daß er seines noch einmal betritt.« Dann zeigte sie mit dem Finger auf ihn, und an ihrer Drohung war kein Zweifel möglich: »Falls sie bei Anbruch der Nacht noch in Reichweite unserer Kanonen sind, dann schicke ich sie ohne das geringste Bedauern auf den Grund des Meeres.«
Die letzten Sonnenstrahlen leuchteten auf der entfalteten Takelage der französischen Fregatte, die sich in Richtung Nordwesten entfernte. Die Cuxhaven schaukelte dagegen weiter auf den hohen Wellen, die von Westen heranrollten. Kapitän Buenarrivo entschied sich daher dafür, eine Patrouille an Bord zu schicken. Der Holländer konnte schließlich eine Falle gestellt haben, die das Schiff in Gefahr brachte.
»Offiziell können wir das Schiff erst am nächsten Morgen in Besitz nehmen, wenn wir uns an die Gesetze halten wollen, aber was zum Teufel bedeuten hier schon die Gesetze der >zivilisierten< Welt.« Er wandte sich dem Zweiten Offizier zu. »Aber das Logbuch muß unmißverständlich verzeichnen, daß wir die Cuxhaven heute nur inspizieren, sie aber mit dem Datum von morgen in Besitz nehmen.« Er blickte Celeste an, die aufmerksam zuhörte: »Morgen gehört das Schiff Euch, allerdings müßt Ihr ein Drittel seines geschätzten Werts unter der Besatzung verteilen. So lautet das Gesetz«, lächelte er belustigt. »Wie wollt Ihr es nennen?«
»Sebastian.«
»Einverstanden! Der Zimmermann soll Schilder mit dem neuen Namen fertigen und der Ausguck nach dem Löwenkopf suchen. Es bringt Unglück, wenn ein Schiff mit geköpfter Galionsfigur segelt.«
»Spart Euch das«, unterbrach ihn das Mädchen. »Der Zimmermann soll einen Krokodilskopf schnitzen.«
»Wollt Ihr etwa einen krokodilsköpfigen Löwen als Galionsfigur haben?« fragte der Venezianer verblüfft. »Das wäre ganz schön kurios!«
»Ist das Wappentier Venedigs vielleicht kein geflügelter Löwe?« fragte sie. »Wo ist da der Unterschied…?«
»Auch wieder wahr!«
Bei Tagesanbruch warfen sie die Taue zum Bugspriet der Fregatte hinüber, um sie abzuschleppen. Schließlich ankerten sie die Cuxhaven in der Mündung eines Flüßchens gut zehn Meilen vom Kap der Drei Spitzen entfernt. Es dauerte keine zwei Stunden, da bat Pater Barbas erneut um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.
Kaum war er an Deck, schüttelte er allen, die seinen Weg kreuzten, herzlich die Hand.
»Phantastisch!« rief er immer wieder aus wie ein begeisterter kleiner Junge. »Phantastisch! Diesen Hundesöhnen habt ihr es aber gezeigt. Bei Gott, was für ein Sieg! Was für ein Sieg! Was wollt Ihr mit dem Schiff machen?«