»Es ausrüsten, um Sklavenschiffe zu versenken, aber dafür brauchen wir eine Besatzung«, klärte ihn Celeste auf. »Könnt Ihr uns eine beschaffen?«
»Eingeborene?«
»Wen sonst?«
Ein breites Lächeln zeigte sich auf dem entstellten Gesicht und machte aus der tiefen Narbe fast ein Grübchen. Unerhört genüßlich küßte der Navarrese die Hand des Mädchens.
»Danke!« sagte er. »Tausend Dank! Ich schwöre, Ihr werdet es niemals bereuen. Ich verschaffe Euch die beste Besatzung, die jemals existiert hat, und wir werden der Welt beweisen, was eine Handvoll gut ausgebildeter Schwarzer vermag.«
Nur waren es keine jungen, tatkräftigen schwarzen Männer, die, bereit, für ihre eigene Freiheit und die ihrer Stammesbrüder zu kämpfen, Pater Barbas’ Aufruf gefolgt waren, an Bord der ehemaligen Fregatte Cuxhaven, jetzt das stolze Antisklavenschiff Sebastian, zu dienen. Das stellte die Besatzung der Dama de Plata bald fest. Nein, es waren junge, tatkräftige schwarze Frauen, die ihr Leben einsetzen wollten, um dem schrecklichen Blutvergießen Einhalt zu gebieten, das sie seit über einem Jahrhundert zur Ehelosigkeit zwang oder aus ihnen junge Witwen machte.
Im späten 17. Jahrhundert fing man an der leidgeprüften Sklavenküste die meisten Männer ein, wenn sie noch keine 14 Jahre alt waren, um sie an den Höchstbietenden zu verkaufen. Erst ein halbes Jahrhundert später waren die westindischen Pflanzer bereit, fünf Guineen für eine Frau zu zahlen. Wenn es sich um eine wahre Schönheit handelte, konnte man sie in den Bordellen ausbeuten.
Da jeder Kapitän eines Sklavenschiffs die absolute Sicherheit hatte, daß er für einen Knaben, der den ganzen Tag lang Zuckerrohr schneiden konnte, locker das Dreifache dieses Preises erzielte, zögerte er nicht bei der Auswahl der Ware, die er in seine überladenen Schiffe pferchte, denn jedes Kilo Menschenfleisch, das den Ozean überquerte, mußte den größtmöglichen Profit einbringen.
Das Resultat lag auf der Hand: Von Kap Palmas bis zu den Küsten von Calabar kamen in jener Zeit zwanzig Frauen auf einen Mann, und die wenigen Männer, die noch geblieben waren, waren zum größten Teil Alte, Kranke oder Krüppel.
Als auf Initiative des entschlossenen Navarresen schließlich die Trommeln der Küstendörfer vermeldeten, daß Freiwillige für den Kampf gegen die Sklavenhändler gesucht wurden, tauchten zahlreiche Frauen aus den Wäldern auf, denen man Vater, Ehemann oder Söhne geraubt hatte. Zum ersten Mal sahen sie eine winzige Chance, das schreckliche Übel zu bekämpfen, das ihren Dörfern die Söhne und das Lachen genommen hatte.
Auf Deck musterte Celeste verblüfft die lange Reihe halbnackter schwarzer Frauen, die geduldig an der Mündung des Flusses warteten.
»Was hat das zu bedeuten?« wollte sie wissen. »Wie sollen wir ein Schiff mit einer solchen Besatzung zum Segeln bringen?«
»Sie wollen es versuchen«, lautete die rasche Antwort von Padre Barbas. »Sie sehen keinen anderen Ausweg mehr. Wir sollten ihnen wenigstens die Chance bieten, ihr Können zu zeigen.«
Das Mädchen schaute zu den sabbernden Seeleuten an Deck hinüber, die mit Pfiffen und Jubelrufen das großartige Schauspiel kommentierten, das sich ihnen bot.
»Und was wird passieren, wenn sie an Bord kommen?« fragte sie. »Das ist ein Kriegsschiff, kein Bordell.«
»Es wäre naiv, anzunehmen, daß nichts passieren wird«, erwiderte der bärtige ExJesuit. Er hatte inzwischen gebeichtet, welchem Orden er einst angehört hatte. »Und wenn ich ehrlich sein soll, ich habe nichts dagegen, denn ohne Nachfahren sind diese Völker zum Untergang verurteilt. Wir müssen nur die Kontrolle über die Ereignisse behalten.«
»Die Kontrolle über die Ereignisse?« entrüstete sich Kapitän Buenarrivo, der am Besanmast lehnte und die Szene verfolgte. »Wie wollt Ihr eine ganze Besatzung in Schach halten, die seit Monaten keine Frau mehr angerührt hat? Verlangt keine Wunder!«
»Kein Mensch verlangt Wunder!« gab der andere unbefangen zu. »Organisation heißt das Zauberwort. Wenn wir gestatten, daß täglich ein Teil der Besatzung an Land geht und sich dort austobt, dann können wir auch alle bestrafen, die an Bord mit einer Frau anbändeln.«
»Und was schlagt Ihr als Strafe vor?« warf Celeste Heredia mit ironischem Lächeln ein. »Sie zu kastrieren?«
»Das ist nicht nötig«, führte Padre Barbas weiter aus. »Es genügt, ihren Penis in einen Brennesselsud zu tauchen.«
»Den Penis in einen Brennesselsud tauchen?« wiederholte der entsetzte Arrigo Buenarrivo, dem es kalt den Rücken hinunterlief. »Was zum Teufel wollt Ihr damit sagen?«
»Ein gesunder lokaler Brauch«, kam es lapidar zurück. »Wenn ein junger Krieger bei den Mädchen allzu hitzig ist oder verheiratete Frauen bedrängt, dann sorgt der Ältestenrat für Abkühlung, indem er ihm den Penis in einen Sud aus Brennesseln und grünem Pfeffer taucht. Ich kenne das Rezept, und ich garantiere, der Schuldige stellt monatelang keiner Frau mehr nach.«
»Aber das ist doch barbarisch!« protestierte der kleine Mann mit noch tieferer Stimme als sonst. »Was ist das denn für ein wilder Brauch!«
»Noch extremer finde ich es, wenn man einem Sodomiten den Penis abschneidet und ihm in den Mund stopft, bis er daran erstickt. So was habe ich in Europa gesehen«, stellte der Navarrese klar. »Dagegen akzeptieren die meisten dieser Völker das, was wir abscheuliche Sünde nennen, als schlichte Laune der Natur. Und einen Knaben, der >als Frau geboren wird<, respektieren sie wie eine richtige Frau.«
»Nun, auf venezianischen Schiffen bestrafte man dieses Laster damit, daß man den Schuldigen ein rotglühendes Eisen an ihr sündiges Körperteil preßte, aber wir wollen jetzt nicht über Moral diskutieren.«
Der kleine Kapitän wies auf das überfüllte Deck: »Wenn wir diese Männer ruhig halten wollen, müssen wir ihnen gewisse >Freiheiten< gestatten. Aber das ist eine Sache. Nackte Frauen an Bord zu bringen und darauf zu vertrauen, daß man sie nicht unter Deck schleppt, eine ganz andere.«
Sie verstrickten sich in eine lange Diskussion, in die sich bald Miguel Heredia, Sancho Mendana und natürlich der Engländer Gaspar Reuter einmischten. Dabei wurde es gelegentlich recht laut. Schließlich bemerkten sie, daß es an Bord der Dama de Plata ganz still geworden war. Fast die gesamte Besatzung starrte auf das Achterkastell, denn dort ging es um eine Entscheidung, die sie alle sehr direkt betraf.
Dann blickte alles auf Celeste Heredia. Weil sie, das war völlig klar, das letzte Wort haben würde.
So musterte das Mädchen der Reihe nach die Gesichter ihrer »Offiziere«, notierte die Sorge in den Augen von beinahe zweihundert, zu absoluter Keuschheit verurteilten armen Teufeln und wandte sich schließlich an den Jesuiten.
»Laßt einen Kessel mit diesem magischen Sud vorbereiten. Jeder Mann soll einen Finger hineinhalten, dann weiß er, was ihn erwartet, wenn er sich nicht an die Regeln hält.« Mit der Hand bat sie sich Ruhe aus. »Aber wir müssen die Frauen warnen, daß ihnen die gleiche Strafe droht, denn es wäre nicht gerecht, wenn nur eine Seite die Schuld träfe. Zwei können es nicht miteinander treiben, wenn einer nicht will, und eines muß ganz klar sein: Wer vergewaltigt, der baumelt.«
Sofort flogen Mützen und Lappen, mit denen man die Decks gescheuert hatte, in die Luft, und man ließ die Frau hochleben, die ein für die Interessen aller so günstiges Urteil gefällt hatte.
Als sich die Gemüter schließlich beruhigt hatten, lächelte Celeste nur und sagte leise:
»Und jetzt wird es Zeit, daß ich diese Frauen kennenlerne.«
Zum ersten Mal betrat sie einen Kontinent, den sie bislang nur vom Deck der Galeone aus betrachtet hatte. Vielleicht hatte sie bislang auf einen Landgang verzichtet, weil sie instinktiv die Gefahr fürchtete, in eine Welt einzutauchen, die sie schließlich verhexen würde.
Als wäre es gestern gewesen, erinnerte sie sich an den Unterricht von Bruder Anselmo de Avila, ihrem alten Lehrer, der begeistert von den so unterschiedlichen, seltsamen Bräuchen der Afrikaner erzählt hatte, die nach Kuba gelangt waren. Auch die schwierigen Erfahrungen, die Bruder Anselmo mit den Sklaven von Jamaika gemacht hatte, standen ihr noch deutlich vor Augen.