»Eine Frau, die nicht die Kinder haben kann, die sie sich wünscht, mit dem Mann, den sie liebt, ist schon auf dem Weg zur Schlachtbank, Vater«, entgegnete sie erstaunlich ruhig. »Hast du ihre traurigen Gesichter gesehen? Sie wissen, daß ihr Volk aussterben wird, wenn das so weitergeht. Welche Hoffnung bleibt ihnen noch?«
»Es wird immer andere Männer geben. Auch wenn sie von anderen Stämmen oder Rassen sind.«
»Aber sie wollen Söhne von ihren eigenen Männern, ihrem eigenen Stamm und ihrer eigenen Rasse. Warum sollten sie sich gezwungen sehen, von einem schmutzigen Seemann vom anderen Ende der Welt geschwängert zu werden oder von einem Büttel von MulayAli? Sie wollen ihre eigene Identität bewahren, und das so sehr, wie die Pflanzer auf Kuba mit Rum und Zucker reich werden wollen. Damit haben sie recht.«
»Ich weiß sehr wohl, daß es recht ist«, räumte ihr Vater ein. »Aber ist es richtig, ihnen verrückte Ideen in den Kopf zu setzen? Wie willst du die Heere eines Königs vom Niger in seinem eigenen Revier besiegen?« Er stampfte leicht mit dem Fuß auf die Deckplanken aus massivem Mahagoni. »Dieses Schiff ist großartig. Es segelt kaum ein besseres auf den Meeren und Ozeanen. Aber dort drüben, im Urwald, nützt es uns gar nichts.«
»Das weiß ich.«
»Also?«
»Ich muß nachdenken. Sebastian hat behauptet, daß ihm immer etwas eingefallen ist, wenn er nachdachte. Außerdem war er der Meinung, daß zwei Hirnen mehr einfällt als einem, und zehn mehr als zwei. Also müssen wir uns alle darüber den Kopf zerbrechen, wie wir diesem unglaublichen Hurensohn MulayAli eins auswischen können.«
»Drückt sich so eine Senorita aus?«
»Wahrscheinlich nicht. Aber bestimmt jemand, der ein Schiff ausrüstet, das man wegen Seeräuberei anklagt.«
Miguel Heredia Ximenez schnitt eine Grimasse, denn er wußte aus Erfahrung, was das bedeutete. Er hatte viele leid volle Ehejahre hinter sich, und offensichtlich hatte Celeste zwei Dinge von ihrer Mutter geerbt: Charakterstärke und heftige Monatsbeschwerden.
Nicht immer, aber sehr häufig, wurde das Mädchen drei Tage vor der Regel fast unausstehlich. Zwar schloß sie sich dann gewöhnlich in ihrer Kajüte ein, um Konflikten aus dem Weg zu gehen, aber falls nicht, hielt man lieber Abstand, denn die Silberdame konnte sich dann als ruppiges »Stahlweib« aufführen.
Vergebens stemmte sie sich gegen ihre Gereiztheit und ihre plötzlichen Wutanfälle. Sie selbst ärgerte sich am meisten über ihre unkontrollierbare Natur, die sie aus dem Gleichgewicht brachte. Denn wie ihr Bruder es sie gelehrt hatte, war sie davon überzeugt, daß das innere Gleichgewicht die Voraussetzung für jede intelligente Handlung war.
»Wer sich von Leidenschaft fortreißen läßt, sollte kein Schiff befehligen«, pflegte Sebastian Heredia zu sagen. »Schon gar nicht ein Piratenschiff. Wenn du in der Klemme steckst, hilft dir nur noch kaltes Blut, ansonsten endest du früher oder später als Fischfutter.«
Genau jetzt hatte Celeste Heredia kaltes Blut nötiger denn je. Sie mußte darüber nachdenken, wie sie es am besten mit den Kriegern des Königs vom Niger aufnehmen konnte, wo ihr nur eine Handvoll Seeleute und ein unerfahrenes »Heer« aus eingeborenen Frauen zur Verfügung standen. Und ausgerechnet jetzt benebelten ihr ein dumpfer Schmerz und ein unbestimmtes Gefühl der Machtlosigkeit in geradezu idiotischer Weise das Hirn.
Trotzdem rief sie am übernächsten Morgen ihre Vertrauten, zu denen jetzt auch der feurige Pater Barbas zählte, in der Offiziersmesse zusammen, um ihnen kurz ihre Befürchtungen und Hoffnungen darzulegen.
»Fast acht Monate lang haben wir es geschafft, den Sklavenhandel in diesem Winkel der Welt zu behindern«, begann sie. »Aber zwei Fregatten haben uns wieder daran erinnert, was wir riskieren. Andere werden kommen und wieder andere, und wir können nun einmal nicht die Flotten aller Länder besiegen, die in den Sklavenhandel verwickelt sind.«
»Das wußten wir bereits von Anfang an«, gab ihr Arrigo Buenarrivo zu bedenken. »Ich hatte Euch längst gewarnt, daß die Dama de Plata ein gutes Schiff ist, aber nicht unbesiegbar.«
»Das ist mir klar. Daher haben wir nur zwei Möglichkeiten: Entweder suchen wir für einige Monate das Weite, oder wir nutzen die günstige Gelegenheit aus, dem Sklavenhandel auf eigenem Terrain einen schweren Schlag zu versetzen.«
»Wie soll das gehen?«
»Indem wir ein für allemal die Macht von MulayAli brechen.«
»Des Königs vom Niger?« fragte Gaspar Reuter verblüfft. »Hast du dir vielleicht in den Kopf gesetzt, diese Bestie auf dem Festland anzugreifen?«
»Wo sonst? Er verläßt nur selten seine Festung, und seine Männer kommen nur zur Küste, um Sklaven einzuschiffen. Entweder greifen wir ihn in der Höhle des Löwen an, oder wir werden lediglich bedeutungslose Scharmützel gewinnen, bis wir schließlich in die Hände des Feindes fallen.«
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, machte Miguel Heredia klar. »Vergessen wir diesen ganzen Wahnsinn und kehren wir nach Hause zurück.«
»Nach Hause? Was für ein Zuhause, Vater? Jamaika vielleicht? Gefällt dir die Vorstellung, auf der Veranda zu sitzen und zuzusehen, wie die Aufseher auf die Sklaven eindreschen? Oder sollen wir uns vielleicht in Spanien niederlassen, wo sie bald herausfinden werden, wer wir sind und woher wir kommen? Dieses Schiff ist jetzt mein einziges Zuhause, und ich habe nur noch einen Traum: für die Freiheit zu kämpfen.«
Alle schwiegen betreten und schienen sich — der ehemalige Jesuit vielleicht ausgenommen — zu schämen, dass sie nicht mit gleicher Begeisterung die Träume dieser allzu leidenschaftlichen Frau teilten.
Schließlich stand Sancho Mendana auf und zeigte durch das große Achterfenster auf das endlose Meer aus dunklen Baumkronen an der Küste.
»Hast du vielleicht eine Vorstellung davon, wie es in diesen Urwäldern aussieht? Das ist ein ganzer Kontinent, mein Kind, ein unbekannter, geheimnisvoller Kontinent, in dessen Inneres sich bislang noch kein Weißer gewagt hat.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »MulayAli ist der unangefochtene Herrscher über diese Territorien und Flüsse bis dahin, wo die Wüste anfängt, und du redest davon, ihn in seiner eigenen Höhle anzugreifen. Gütiger Himmel! Selbst ich, wo ich dich nur zu gut kenne, hätte dir mehr Vernunft zugetraut.«
»In einem täuschst du dich«, wandte Celeste ein. »MulayAli ist nur da der Herr, wo seine Krieger sind. Der Rest gehört den dort schon seit Urzeiten ansässigen Völkern. Und in diesen Völkern geben jetzt die Frauen den Ton an.«
»Willst du damit andeuten, daß sich alle Frauen der Region uns anschließen werden?«
»Das ist die einzige Hoffnung, die sie noch haben.«
»Das ist absurd!«
»So absurd nun auch wieder nicht«, mischte sich Pater Barbas sehr ernst ein. »Ich ziehe nun schon seit acht Jahren durch diese Landstriche, und wenn ich bisher meine Haut retten konnte, dann nur deshalb, weil die Frauen mir helfen. Vielleicht sind sie nicht die besten Kämpferinnen der Welt, dafür aber bestimmt die schlausten. In diesen Urwäldern rührt sich kein Blatt, ohne daß sie davon erfahren.«
»Ein Haufen Spione ist noch lange keine Armee.«
»Unterschätz eine Frau nicht, die ihre Söhne verteidigt«, ermahnte Celeste ihn sehr ernst. »Sie ziehen sie auf, und gleichzeitig wissen sie, daß man sie ihnen sehr bald aus den Armen reißen wird, um sie zu versklaven. Ich halte sie sehr wohl für fähig, den Räubern ordentlich zuzusetzen. Es hat bestimmt niemals ein Heer gegeben, das besser für einen Sieg motiviert war.«
»Zehn gute Motive sind vor einer schlechten Kanone nichts wert.«
»Das finde ich nicht. Außerdem haben wir ebenfalls Kanonen. Und sogar gute.«
»Hier. Auf dem Festland nicht.«
»Kanonen sind Kanonen.«
»Willst du vielleicht die Kanonen von der Dama de Plata abbauen?«
»Natürlich nicht! Wir könnten die Kanonen der Cuxhaven nehmen, aber auch das habe ich nicht vor.« Sie wandte sich an den ExJesuiten. »Wie du mir erzählt hast, liegt die Festung von MulayAli am Ufer des Niger… Stimmt das wirklich?«