»So heißt es. Er soll flußaufwärts am rechten Ufer eine regelrechte Zitadelle errichtet haben.«
»Ist der Niger schiffbar?«
Lähmendes Schweigen breitete sich aus. Keiner wollte sich ausmalen, was das Mädchen im Schilde führte.
»Verflucht noch mal…!« rief schließlich jemand aus. »Was ist das denn für eine Idee…?«
»Ich wiederhole die Frage: Ist der Niger schiffbar?«
Sie hatte den willensstarken Pedro Barbas gefragt, aber der konnte nur mit den Schultern zucken.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, murmelte er. »Vor allem dann nicht, wenn du dabei an unsere Schiffe denkst.«
»Natürlich denke ich an unsere Schiffe! Stellt euch mal vor, wir tauchen vor der Festung MulayAlis mit fast fünfzig Kanonen großen Kalibers auf und legen sie in Schutt und Asche!«
Wieder sahen sie alle an wie ein Wesen von einem anderen Stern und fragten sich: Wie konnte eine Handvoll erwachsener Männer, die alle fünf Sinne beieinander hatten, nur unter den Befehlen eines so labilen Wesens stehen?
»Redest du davon, eine Galeone und eine Fregatte in einen unbekannten afrikanischen Fluß zu steuern und gegen die Strömung flußaufwärts zu fahren?« fragte schließlich ein fassungsloser venezianischer Kapitän.
»Genau!«
»Bei Gott! Ich hatte schon Angst, dich falsch verstanden zu haben.«
»Spar dir deinen Sarkasmus!« lautete die Antwort. »Welchen Tiefgang hat dieses Schiff mit voller Ladung?«
»Zwischen sechs und acht Meter.«
Celeste wandte sich an den Navarresen.
»Und welche Mindesttiefe hat dieser Fluß?«
»Wie gesagt, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich weiß nur, daß er in einem riesigen Delta mündet. Einige seiner vielen Arme sind so dicht überwachsen, daß man nicht einmal den Himmel sehen kann. Allerdings soll der Niger weiter flußaufwärts schmal und tief sein.«
»Wer könnte das mit Bestimmtheit wissen?«
»Keiner, den ich kenne, aber das könnte ich herausfinden.«
Celeste Heredia machte eine lange Pause, studierte die nur ungenau gezeichnete Karte, die vor ihr auf dem Tisch lag, und schließlich musterte sie alle Anwesenden der Reihe nach, die sie ihrerseits anstarrten.
»Schön! Mein Vorschlag ist sehr einfach: Wenn es eine Möglichkeit gibt, flußaufwärts zu fahren, um auf die Festung dieses Hurensohns zu treffen und sie zu vernichten, dann werden wir das versuchen. Aber wenn wir zu dem Schluß kommen, daß unsere Schiffe den Fluß nicht passieren können, dann lassen wir diese Küsten hinter uns und suchen uns ein ruhiges Plätzchen, wo wir uns ausruhen können, und wir kehren zurück, wenn man uns vergessen hat. Was haltet ihr davon?«
»Klingt ganz vernünftig, wenn man bedenkt, was du uns sonst so zumutest«, räumte Gaspar Reuter gleichmütig ein. »Zugegeben, es würde mir schon sehr gefallen, das Innere eines Kontinents zu erforschen, von dem ich schon so viel gehört habe, und gleichzeitig die Gelegenheit zu nutzen, dieses üble Schwein abzusengen.«
Das Mädchen wandte sich Hauptmann Mendana zu:
»Sancho?«
Der Angesprochene zuckte mit den Schultern.
»Was mich angeht, so kann ich folgendes garantieren: Wenn man mich vor diese Festung bringt, dann werde ich keinen Stein auf dem anderen lassen. Wir haben 140 Sechsunddreißigpfünder und 80 Vierundzwanzigpfünder. Und das ist eine Menge Feuerkraft: jedenfalls mehr, als irgendein verfluchter Sklavenhändler sich leisten kann.«
»Buenarrivo?«
»Solange ich acht Meter Wasser unter dem Kiel habe, fahre ich weiter. Werden es weniger, dann kehre ich um, und weder du noch ein anderer wird mich umstimmen. Das Schiff ist viel zu schön, um es in einem verfluchten Fluß am Ende der Welt zu verlieren.«
»Papa?«
»Ich halte mich da raus.«
»Das habe ich mir schon gedacht, aber ich würde gerne deine Meinung erfahren.«
»Meine Meinung? Jahrelang hat alle Welt mich für verrückt gehalten, aber jetzt habe ich den Eindruck, daß ich hier der einzige bin, der klar bei Verstand ist.« Er hob die Arme, als wollte er so das Maß seiner Zweifel zum Ausdruck bringen. »So, wie es jetzt steht, kann ich Gott nur noch darum bitten, mich früher zu sich zu rufen als dich. Das reicht mir.«
»Einverstanden!« sagte seine Tochter, die nur mit Mühe ihre Ruhe bewahrte. »Wir kennen deine Meinung schon, aber da ich weiß, daß du kein Dummkopf bist, solltest du noch etwas sagen, was uns helfen könnte.«
»Eine Sache«, bemerkte der andere in völlig verändertem Ton. »In einer Hinsicht bin ich mit dir einverstanden, aber das soll nicht die Regel werden: Die Frauen können uns wirklich sehr hilfreich sein.«
Das fand auch die Mehrheit der Anwesenden, und so beschloß man, in drei Tagen ein großes »Kennenlernfest« zu veranstalten. Dazu waren alle Frauen eingeladen, die sich mit der Besatzung der Dama de Plata einlassen wollten. Dennoch schärfte Kapitän Buenarrivo seinen Männern unmißverständlich ein, daß dieses Fest lediglich einen ersten »gesellschaftlichen Kontakt« bedeutete. Weitergehende Kontakte waren ausgeschlossen, jedenfalls für den Augenblick.
»Ihr dürft die Mädchen kennenlernen, ihre Sympathie wecken, aber ihre Partner suchen sie sich selbst aus. Ich will keine Probleme haben, und daher warne ich euch: Wer meine Befehle nicht befolgt, wandert eine Woche in den Kielraum und kann künftige Landgänge vergessen.«
»Eine Frage noch«, meinte Jeremias Centeno, der schlaue Wachposten am Davit, der seine Münzen in einer Börse mit gemahlenem Pfeffer aufbewahrte. »Stimmt es, daß die Negerinnen bei der Liebe unersättlich sind?«
»Das mußt du schon selber herausfinden, Söhnchen«, lautete die ironische Antwort. »Bei deinem Alter würde ich mir darum keine Gedanken machen.« Der Venezianer lachte. »Wenn Not am Mann ist, sag mir Bescheid, und ich werde sehen, ob ich dir helfen kann.«
»Und wenn zwei Männern die gleiche gefällt?« fragte ein Toppsgast, der mehr von einem Affen als von einem Menschen hatte. »Was machen wir dann?«
»Ob zwei Männern die gleiche Frau gefällt, ist unerheblich. Ein Problem gibt es lediglich, wenn zwei Frauen den gleichen Mann haben wollen.« Er zwinkerte ihm zu. »Aber ich habe den Eindruck, bei dir wird das nicht passieren.«
»Das weiß man nie! Es heißt, daß die Neger nicht behaart sind und ihre Frauen daher dicht behaarte Männer attraktiv finden.«
»Dann bist du ja fein raus, allerdings empfehle ich dir ein gutes Bad, denn Behaarung ist eines, Schmutz etwas anderes.«
An diesem Morgen wurde tatsächlich viel gebadet. Man schnitt sich die Haare, parfümierte sich mit billigen Wässerchen und zog saubere Kleidung an. Als sich die Männer schließlich auf Deck zur üblichen Inspektion vor dem Landgang einfanden, konnte sich Celeste Heredia ein Lächeln nicht verkneifen: Statt einer Besatzung rauher Seeleute hatte sie eine Gruppe ungeduldiger Knaben vor sich, die sich auf den Tanz bei einem großen Fest freuten.
Kurz darauf schritt der Obermaat ihre Reihen ab und ließ sie die Fingerspitze in einen Topf mit Brennesselsud tauchen. Wer sah, wie sie zurückzuckten, laute Schreie ausstießen und sich sofort auf die brennende Stelle pusteten, hatte keine Zweifel, daß sie es sich zweimal überlegen würden, die Regeln zu überschreiten.
»Das wird für uns alle ein sehr bedeutender Tag, und ihr wißt ja schon, was euch erwartet, wenn ihr meine Anweisungen nicht haargenau befolgt«, sagte Celeste schließlich. »Wir wollen diesen Menschen, denen wir soviel Leid zugefügt haben, zeigen, daß nicht alle Weißen Teufel sind, die sie nur versklaven wollen. Sie sollen verstehen, daß wir ihre Freunde sein können, ihre Brüder, ihre Liebhaber, ja sogar die Väter ihrer Kinder, und daß wir nichts mit den Kanaillen gemein haben, die sie peitschen und in Lagerräume pferchen, um sie fern ihrer Heimat zu verschleppen. Ich möchte, daß zwei Rassen eine neue Form des Zusammenlebens finden. Jeder von euch soll ein Botschafter des guten Willens sein, auf den ich stolz sein kann.« Sie machte eine kurze Pause, ihre Augen schossen Blitze ab, und schließlich herrschte sie die Männer an: »Und ich schwöre bei Gott, wer mich enttäuscht, den kastriere ich.«