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»Vielleicht bin ich zu stolz«, sagte sie sich. »Vielleicht bin ich dem allen in Wahrheit nicht gewachsen, und ich habe meine Kräfte nicht richtig eingeschätzt.«

Was erwartete sie wirklich an den Ufern des Niger?

Wer war dieser MulayAli, der über so viele Krieger verfügte, auf so viele Gewehre und Kanonen zählen konnte, und inwieweit waren seine Spione über alle ihre Schritte auf dem laufenden?

Oft fragte sie sich, ob sie es nicht noch bitter bereuen würde, nur wie ihr Bruder auf die Macht des Schicksals vertraut zu haben. Schließlich waren ihre Männer, von einem knappen Dutzend abgesehen, nur einfache Seeleute. Keiner konnte sagen, bis zu welchem Punkt sie bereit waren, ihr Leben auf dem Festland zu riskieren.

Was kümmerten diese Männer schließlich die Sklaven?

Tag für Tag und Nacht für Nacht plagten sie Millionen Zweifel, doch je verwirrter sie sich fühlte, um so verzweifelter klammerte sie sich an eine Idee: Wenn ein einziges Schiff mit einer Besatzung aus entschlossenen Menschen in der Lage war, der widerwärtigsten aller menschlichen Aktivitäten Einhalt zu gebieten, dann würden sich vielleicht andere Männer, die dieser ekelhafte Handel ebenso abstieß, ebenfalls entschließen, sich zu engagieren.

»Es darf nicht sein!« redete sie sich immer wieder ein. »Es darf nicht sein, daß die gesamte Menschheit Zeuge und Komplize solchen Unrechts ist. Irgendwo muß es doch Menschen voller Mitleid geben, die diese Barbarei ebenso wie ich verabscheuen.«

Aber wie kam man mit denen in Kontakt?

Seit fast anderthalb Jahrhunderten überquerten Sklavenschiffe mit ihrer grausigen Fracht die Ozeane, und niemand hatte bisher auch nur einen Finger gerührt, um das zu verhindern.

Anderthalb Jahrhunderte!

Millionen von Opfern waren das Ergebnis dieses grauenvollen Handels, und nicht ein einziger Mensch mit Sinn für Gerechtigkeit schien darauf zu reagieren!

Warum?

Warum waren nur Bruder Pedro Maria Claver, Bruder Anselmo de Avila, Pater Barbas und der eine oder andere Rebell Rufer in der Wüste eines Meeres versteinerter Herzen?

Waren die Schwarzen wirklich so andere Menschen?

Sie dachte an ihre langen Gespräche mit Yadiyadiara im Schatten eines Mangobaums, und sie fragte sich, worin sich die Gefühle der leidenden Yoruba von denen so vieler Frauen unterschieden, die sie auf Jamaika oder Margarita kennengelernt hatte, oder von denen der Frauen im alten Europa, von dem man sich soviel erzählte. Schließlich und endlich liebte Yadiyadiara ihre Söhne und sehnte sich ebenso wie jede andere Margaritena nach ihrem Ehemann, und sie betete zu ihren Göttern mit dem gleichen Glauben und der gleichen Hoffnung wie die Gläubigen in der Kathedrale von La Asuncion.

Wo war also der Unterschied?

Nur in der Hautfarbe.

War die Hautfarbe so wichtig?

Wenn die Seele von Yadiyadiara ein so erlesenes und zartes Juwel war wie ihre eigene, warum war dann die Leibesfrucht der Afrikanerin weniger wert, als es eines Tages Celestes eigene sein würde?

Einmal mehr lauschte sie den Trommeln. Deren Sinn blieb ihr verborgen, und doch wußte sie, was sie sagen wollten, denn ihr Widerhall in den Wipfeln der Bäume erinnerte an das Weinen eines Neugeborenen, das die schreckliche Gewißheit hatte, eines Tages ans andere Ufer des Meers verschleppt zu werden, wo man ihm den Rücken mit Peitschenhieben zerschlagen würde, bis es schließlich starb.

Die Trommeln Afrikas stöhnten, und Celeste Heredia hörte ihnen schweigend zu, bis sie im ersten Morgengrauen alle auf einmal verstummten.

Und es breitete sich Schweigen aus: die Stille vor dem Tod.

Ein Schweigen, das mehr sagte als das innigste Wort.

Der leidenschaftlichste Abschied.

Eine halbe Stunde später läutete eine Glocke.

»Segel setzen…! Wir brechen auf!«

Segel- und Toppsgasten kletterten flink die Strickleitern hinauf und an den Haltetauen entlang, um zunächst die unteren und oberen Segel des Masten zu fieren und das Schiff auf den Augenblick vorzubereiten, in dem der Kapitän befahl, die Anker zu lichten. Dann würde man das Rahsegel setzen, damit die Schiffe ungehindert Fahrt aufnehmen konnten.

Die Yorubafrauen gingen an Bord der Fregatte, die Schaluppen wurden an ihrem Platz vertäut, und langsam, sehr langsam brachen die beiden Schiffe auf zu ihrem neuen Abenteuer an der fernen und geheimnisvollen Mündung des Niger.

Während die Galeone draußen auf offener See segelte und stets auf der Lauer lag, blieb die Sebastian stets in unmittelbarer Nähe der Küste. Beim leisesten Anzeichen von Gefahr hätte sie Zuflucht in einer stillen Bucht suchen können. So segelte man voran, die besten Männer saßen im Auslug und suchten in den folgenden drei Tagen und drei langen Nächten unermüdlich den Horizont im Westen ab, bis ihnen schließlich das lange schlanke Kanu des stets vor Begeisterung glühenden Pater Barbas entgegenkam.

»Es gibt eine Passage!« rief er aus vollem Halse, bevor er das Deck betrat. »Es gibt eine Passage!«

»Seid Ihr sicher?« fragte gleich der mißtrauische Buenarrivo. »Wie tief?«

»Im Schnitt acht Meter«, entgegnete der ExJesuit und grinste von einem Ohr zum anderen. »Um die Tiefe brauchen wir uns weniger Gedanken zu machen als um die Enge.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Daß uns die Äste einiger Bäume an den Ohren kratzen werden«, gab der Pater belustigt zurück.

»Seid Ihr vielleicht verrückt geworden?«

»Natürlich nicht!« verneinte der andere. »Das bin ich schon seit vielen Jahren.« Aufmunternd klopfte er seinem Gegenüber auf die Schulter. »Macht Euch keine Sorgen. Wenn wir die Masten abmontieren, können wir passieren.«

»Und wie soll ich mit einem Schiff ohne Masten manövrieren?« wollte der Venezianer wissen. Er wollte immer noch nicht glauben, was er da hörte.

»Manövrieren ist überflüssig!« lautete die rasche Antwort. »Wir werden auf unserem Weg durch das Delta rudern.«

»Wie viele Meilen?«

»Etwa fünfzig.«

»Gott steh uns bei!«

Diesmal hatte der Venezianer alles Recht, sich zu beklagen, und als er am folgenden Tag den schmutzigen Flußarm erblickte, durch den der Navarrese die Schiffe lotsen wollte, schossen ihm fast die Tränen in die Augen.

»Nicht möglich!« schluckte er. »Dieser Irre kann mich doch nicht zwingen, hineinzufahren! Sagt mir, daß das nicht wahr ist, Senora!«

Celeste Heredia begriff, daß sie wieder einmal eine sehr schwere Entscheidung zu treffen hatte. Wie der ExJesuit gescherzt hatte, würden ihnen »die Äste einiger Bäume an den Ohren kratzen«, und niemand konnte garantieren, daß ihnen nicht einer dieser Äste oder eine dicke Wurzel den Rumpf durchlöchern würde.

Sie nahm sich daher fast eine Stunde Zeit, um gründlich darüber nachzudenken. Dann gab sie ihre Meinung kund.

»Die Fregatte wird den Weg frei machen. Und wenn wir sie verlieren, dann haben wir eben Pech gehabt. Die Galeone dagegen fährt nur weiter, wenn wir absolut sicher sein können, daß keine Gefahr für sie besteht.«

»Das hilft mir gar nichts!« protestierte der Venezianer sofort und nicht ohne guten Grund. »Die Dama de Plata hat viel mehr Tiefgang, und sie ist breiter.«

»Wir werden Ballast abwerfen und einen Teil ihrer Ladung auf die Sebastian schaffen«, lautete die Antwort. »Der Fluß ist ruhig, und wenn wir keine Segel setzen, brauchen wir keinen Ballast… Oder täusche ich mich da?«

»Nein, natürlich nicht!« räumte Buenarrivo zähneknirschend ein. »In ruhigen Gewässern und ohne Segel im Wind spielt der Tiefgang keine Rolle. Wir werden schaukeln wie Verbrecher am Galgen, aber ich glaube nicht, daß wir Gefahr laufen, zu kentern.«

»Na dann, frisch ans Werk!«