Mit diesem Geld unterhielt er sein Heer und bezahlte die Kleinkönige. Diese arrangierten Kriege, die für den Nachschub an menschlicher Ware sorgten. Zur gleichen Zeit leistete er sich immer mehr Konkubinen und baute seine schöne Zitadelle aus, die allmählich zur wichtigsten menschlichen Enklave am rechten Ufer des Niger aufstieg.
Doch plötzlich drängelten sich an der früher viel befahrenen Küste keine Schiffe mehr, die auf Sklaven warteten, niemand zahlte für sie, und da man sie nicht in ihre fernen Herkunftsorte zurückschicken konnte, mußte man sie Tag für Tag ernähren. Dabei konnte keiner mit Sicherheit sagen, wann die Käufer wieder in die geschützten Buchten einlaufen würden.
Und ein junger, starker Sklave aß viel.
Und wenn man ihn nicht gut ernährte, dann hatte er bald schon keine Kraft mehr.
Und wenn er keine Kraft mehr hatte, dann zahlte am nächsten Morgen keiner auch nur eine müde Guinee für ihn. Diese Goldmünze hatten die Engländer einst geprägt, um mit ihr den Preis für einen Sklaven aus Guinea zu entrichten.
Monatelang über zweitausend junge Männer durchzufüttern und darauf zu hoffen, daß die Sklavenschiffe vielleicht eines Tages zurückkehren würden, war auf alle Fälle ein ruinöses Geschäft, und JeanClaude Barriere war an ruinöse Geschäfte nicht gewohnt.
Von seinem Vater, dem kleinwüchsigen, verschlagenen, grausamen Gaston Barriere, hatte er eines gelernt, als er noch fast ein Kind war. Im schwierigen Sklavengeschäft galt nur eine Devise: einen Haufen Geld zu verdienen, auch wenn man dabei über die Leiche seiner eigenen Mutter gehen mußte.
MulayAli hatte seine Mutter nie gekannt, aber stets vermutet, daß sein Vater Gaston Barriere sie als Sklavin verkauft hatte, als er sie satt hatte.
Ehrlich gesagt, Gaston Barriere hatte alle seine Mätressen verscherbelt, und die meisten seiner Söhne gleich dazu.
Er hatte ja so viele!
Im Frühjahr 1642 war Gaston Barriere in das stark befestigte, majestätische CasaMar gekommen, als Verwalter mit Generalvollmacht der Compagnie Marseillaise de l’Afrique Oecidentale. Schon als er das erste Mal über die glitschige Treppe der Festung stieg, mußte er sich eines in den Kopf gesetzt haben: Lebend würde ihn dort keiner mehr herausschaffen.
Zu dieser Zeit war CasaMar noch eine moderne, imposante Festung, eine regelrechte mittelalterliche Burg. Man hatte sie auf einer kleinen steilen Insel errichtet, die wie ein natürlicher Wachturm die Sklavenküste beherrschte. An ihre Meerseite donnerten die wütenden Wellen des Atlantiks, zur Landseite hin öffnete sich eine weite stille Bucht.
Ähnliche Festungen hatten Franzosen, Holländer, Engländer und Portugiesen entlang der gesamten afrikanischen Küste errichtet, vom Südrand der Sahara bis zu den dichten Urwäldern Angolas, aber keine war für den Sklavenhandel so gut geeignet wie CasaMar, keine besaß eine so perfekte Lage.
Ihre dicken glatten Mauern waren über dreißig Meter hoch und mit über fünfzig großkalibrigen Kanonen gespickt. Nicht einmal eine Armee Lebensmüder hätte es geschafft, auch nur einen Fuß in die unbezwingbare Festung zu setzen, denn CasaMar war ein eigenes winziges Königreich.
Der ehrgeizige Mestize Gaston Barriere begriff das sofort. Schon nach einem Jahr kappte er die Bande mit dem Mutterhaus und schwang sich zum unangefochtenen Alleinherrscher auf dem Felsen auf. Wer bereit war, ihm dabei zu helfen, den bestach er mit Geld, wer auch nur den geringsten Widerstand zeigte, den ließ er von den Mauern ins Meer werfen und weidete sich daran, wie er von Haien zerfleischt wurde.
Schließlich schickte er Abgesandte zu den Kleinkönigen und arabischen Händlern im Inneren des Kontinents und machte ihnen folgendes Angebot: Er sei bereit, den bislang bezahlten Preis für einen Sklaven zu verdoppeln.
Außerdem würde er eine schöne Stange Geld für jede schöne Jungfrau drauflegen, die man der Sendung beifügen würde.
In den folgenden Jahren wurden Tausende von jungen Sklaven in den »Warenlagern« der riesigen Kauffahrtei umgeschlagen, und Hunderte zarter junger Mädchen gingen durch das riesige Bett des Korsen und wurden seine bedingungslosen und dankbaren »Untertanen«.
Das waren glorreiche Zeiten.
Die Schiffe aus Europa hatten Wein, Rum, Möbel, Silberteller, Goldguineen, edle Kleidung und alles, was ein Mensch sonst noch begehren konnte, an Bord. Vollgepackt mit »Ebenholz« bester Qualität, segelten sie weiter, nachdem man zwei Wochen lang in den prunkvollen Salons wilde Orgien gefeiert hatte, und das in einer äußerlich so streng wirkenden Festung, die innen allerdings eher einem irrsinnigen Bordell glich.
In dieses sittenlose Umfeld wurde der spätere allmächtige König vom Niger hineingeboren. Hier wuchs er auf: in einer Welt voller Trunkenbolde, nackter Frauen und Paare, die sich in jeder Ecke schamlos der Wollust hingaben. In dieser Welt der Dekadenz, der Korruption und des kollektiven Irrsinns gab es nur zwei Faustregeln: Stets hatten zehn Männer auf der uneinnehmbaren Terrasse Wache zu schieben, und niemals durfte man zulassen, daß die Trinkwasserreserven unter einen bestimmten Pegel fielen.
Beim Trinkwasser nahm es der alte Gaston Barriere sehr genau. Der einzige Zugang zur riesigen Zisterne, die man in den Felssockel der Festung geschlagen hatte, befand sich in der Mitte seines Schlafgemachs, und niemand hatte dort Zutritt, unter keinen Umständen.
Die Rinnen der schrägen Dächer mußten immer sauber und frei gehalten werden, damit das Regenwasser ungehindert in die Zisterne laufen konnte. Und wenn zu Beginn der Trockenheit der Brunnen nicht bis zum Überlaufen voll war, dann mußten die schwarzen Diener Wasser aus den Küstenflüssen holen. Denn wenn der Korse vor etwas Angst hatte, dann davor, daß ihm eines Tages sein geliebtes Regenwasser fehlen könnte.
»In Afrika verbirgt sich der Tod im Wasser«, wiederholte er ein ums andere Mal geradezu besessen. »Im Wasser lauert der Tod, aber mich wird dieses Wasser niemals umbringen.«
CasaMar lag weitab von der Küste und den Moskitos. Eine sanfte Seebrise sorgte für ein recht mildes Klima, und da die Festung mit dicken Mauern und intelligent angelegten Luftschächten errichtet worden war, die einer natürlichen Klimaanlage gleichkamen, hatte das Leben dort nichts mit dem Leben auf dem Festland gemein. Daher war der energische Korse mehr als gerüstet, dafür zu sorgen, daß sein Reich weiterhin das blieb, was es in Wahrheit auch war: eine Insel fernab der Welt.
Wenn in den heißesten Stunden der heißesten Tage nicht einmal mehr das leiseste Lüftchen das Innere seines riesigen »Palasts« kühlte, dann schloß er sich in seinem Schlafzimmer ein, hob die viereckige Falltür, die mit einem dicken Riegel gesichert war und den Zugang zur Zisterne bildete, ließ eine Strickleiter hinunter und tauchte bis zum Hals in eisiges, sauberes Süßwasser ein. Dort blieb er gern so lange, bis ihm die Haut an den Fingern schrumpelig wurde.
»Das ist das Leben!« murmelte er dann, während er mit dem Nacken an die Leiter gelehnt vor sich hin döste. »Das ist das Leben!«
Das Bad war ihm ein doppelter Genuß, denn auf dem Grund dieser Zisterne hütete er eifersüchtig Tausende von Goldguineen, die er in seinem langen Leben als Menschenhändler angehäuft hatte.
Über ihnen im Wasser zu treiben verschaffte ihm eine krankhafte Befriedigung. Ebenso faszinierend fand er es, eine Fackel bis zur Oberfläche des kristallklaren Wassers hinunterzulassen, so daß die schwarzen Felswände den märchenhaften goldenen Schimmer unzähliger Münzen, die auf dem Grund lagen, tausendfach zurückwarfen.
Anschließend schlief er über Wasser und Gold: seinen am meisten geschätzten Reichtümern. Solange er der Herr über beide Dinge war, davon war er überzeugt, konnte ihm nichts Schlimmes widerfahren.