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Sein Sohn JeanClaude — so viele hatte er gehabt mit so vielen Frauen! — kam eines schönen Tages in die Pubertät, und das mit der Gewißheit, daß sich sein geiziger Erzeuger um keinen einzigen Menschen auch nur einen Deut scherte und er, JeanClaude, selbst nur einer der vielen verwahrlosten Knaben war, von denen es auf den Innenhöfen und Terrassen nur so wimmelte. Er brauchte nur auf einen der häufigen Augenblicke zu warten, in denen der weinselige Tyrann ihn im Suff an den erstbesten seiner gierigen Sklavenkapitäne verkaufen würde, mit denen er seine langen und lärmenden Orgien feierte.

Er hatte gesehen, wie viele seiner Stiefbrüder die lange Reise ohne Wiederkehr angetreten hatten und wie der Vater manche Stiefschwester, die schon »zu abgenutzt« war, Seeleuten geschenkt oder an der Küste ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen hatte. So machte er sich niemals Illusionen, was seine Zukunft betraf, auch wenn Gaston Barriere versichert hatte, daß er, JeanClaude, sein »Lieblingssohn« sei, weil er mit etwas hellerer Haut geboren worden war.

Wenn sich der schmutzige Junge gelegentlich traute, danach zu fragen, wo seine Mutter geblieben war, dann sah ihn der verblüffte Korse lediglich an, wie man einen Schimpansen ansieht, der plötzlich das Sprechen gelernt hat.

»Und woher zum Teufel soll ich das wissen?« fuhr er ihn barsch an. »War doch nur eine Negerin.«

Mulatte oder Schwarzer, da gab es eigentlich keinen Unterschied, und wenn doch, dann scherte es die Herren von CasaMar wenig. Die waren alle weiß, in der Mehrheit Franzosen und bis zum letzten ungebildeten Kerl davon überzeugt, daß glattes Haar und helle Haut sie in diesem gottverlassenen Winkel eines Kontinents voller stinkender Barbaren zu Halbgöttern machte.

Aus diesem Grund und weil er völlig sicher war, daß er bald in den Laderäumen einer Brigg landen würde, nutzte JeanClaude Barriere an einem heißen Morgen nach einer besonders wilden Nacht mit viel Rum und Frauen seine Chance. Während Gaston Barriere den rauhen Kapitän verabschiedete, mit dem er die Nacht durchgefeiert hatte, schlich sich der Sohn in das riesige Schlafzimmer und verbarg sich in einer Kiste voller luxuriöser Gewänder, mit denen der Vater während prunkvoller Zeremonien gelegentlich seinen Gästen imponierte.

Geduldig wartete er darauf, bis der erschöpfte Alte zurückkehrte und wie immer die schwere Tür aus Zedernholz hinter sich verriegelte. Dann hielt er den Atem an, bis er schließlich Wasser plätschern hörte.

Er schlüpfte leise aus seinem Versteck, schlich zum Eingang der Zisterne und blickte verstohlen hinunter.

Da war er, der verhaßte Alte, trieb mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, den Nacken auf die Strickleiter gestützt, genoß sein Geld und sein Wasser und wartete darauf, daß sein von Alkohol benebeltes Hirn langsam klar wurde.

Ohne ein Geräusch zu machen holte der künftige König vom Niger eine scharfe Machete aus dem Gürtel und schnitt ganz sachte die beiden Enden der Strickleiter durch.

Als diese ins Leere fiel, blickte Gaston Barriere auf. Plötzlich war er hellwach.

»Was ist los?« fragte er aufgeschreckt, und als er sah, wie ihn der Junge von oben betrachtete, fügte er barsch hinzu: »Was zum Teufel machst du da?«

»Ich sorge dafür, daß du mich nicht verkaufst«, lautete die Antwort.

»Wer hat dir denn weisgemacht, daß ich dich verkaufen werde?« wollte der andere wissen.

»Niemand«, räumte sein Sohn ein. »Und das braucht mir auch keiner zu sagen, denn du springst mit deinen Leuten um, wie du willst.« Er blinzelte ihn schelmisch an, während er nach dem anderen Ende der Strickleiter griff. »Aber damit ist Schluß.«

»Was hast du vor?«

»Dich da unten zu lassen, bis du ersäufst. Und dabei bedeutet das Wasser für dich doch Leben.«

»Du könntest deinen eigenen Vater umbringen?« heuchelte Gaston Barriere Empörung. Es war ein verzweifelter Versuch, sich aus seiner überaus mißlichen Lage zu befreien.

»Natürlich!« lautete die ehrliche Antwort. »Und ich schwöre dir, niemals mehr werde ich einen Menschen mit soviel Genuß töten.«

»Wir sehen uns in der Hölle!«

»Da kannst du sicher sein.«

Er schloß die Falltür, ließ ihn in der Finsternis zurück, schob den schweren Bolzen vor, verriegelte das Schloß und verbarg den Schlüssel in einem Krug.

Dann ging er seelenruhig zu einem schweren Tisch aus Mahagoni, öffnete eine kleine Schublade und nahm zwei schwere Pistolen mit Perlmuttgriff heraus. Mit denen hatte sich der Tyrann gerne geschmückt, wenn er die Größe seiner Macht demonstrieren wollte.

Mit den Waffen in der Hand ging er in das Zimmer, in dem der stellvertretende Kommandeur der Casa schnarchte, ein lüsterner Türke mit einem Kranichgesicht. Er drückte ihm ein Kissen aufs Gesicht und schoß ihm das Hirn in Stücke.

In einem engen Gang traf er auf einen fetten schmierigen Dänen, dem er wortlos mit der Machete den Bauch aufschlitzte. Zwei Griechen, die kurz darauf seinen Weg kreuzten, schnitt er hinterrücks die Kehle durch, bevor sie auch nur Piep sagen konnten.

Danach schlich er auf Zehenspitzen die steile Steintreppe hinunter, um von innen die schwere Eisentür zu blockieren, die zur Dachterrasse hinausführte. Schließlich versammelte er ein Dutzend seiner Stiefbrüder und führte sie zur Waffenkammer, wo er jedem von ihnen ein Gewehr in die Hand drückte.

»Jetzt sind wir die Herren«, sagte er. »Massakriert die Weißen!«

Keiner blieb am Leben. Zwar verbarrikadierten sich die zehn Wachposten auf der Terrasse, doch am dritten Tag zwang sie der Durst, sich ins Meer zu stürzen, um schwimmend die ferne Küste zu erreichen.

Erschöpfung und Haie machten ihnen den Garaus.

So endete die Tyrannei des Königs von CasaMar, und es begann die seines Sohnes, des künftigen Königs vom Niger, denn die Tatsache, daß die Brüder Barriere ihre Herren vernichtet hatten, bedeutete keineswegs, daß sie auch nur im entferntesten daran gedacht hätten, den lukrativen Sklavenhandel zu beenden.

Zwar waren sie Mulatten, die sich in der Hautfarbe nicht übermäßig von ihren Nachbarn an der Küste unterschieden, doch auch für sie waren die »Schwarzen« nach wie vor eine wertvolle Ware. Weiße Kapitäne zahlten dafür, ohne auf die Hautfarbe des Verkäufers zu achten. So blieb CasaMar auch weiterhin ein wichtiges Zentrum dieses Tauschhandels, wie es das schon zu Lebzeiten seines verabscheuten Vaters gewesen war.

Nur die Zahlungsweise änderte sich. JeanClaude Barriere verlangte für das wertvolle Menschenfleisch keine edlen Weine, luxuriösen Kleider, Silberteller oder schweren Möbel, sondern einzig und allein Goldmünzen oder die modernsten Waffen, die man auf dem Markt finden konnte.

Als er siebzehn Jahre alt geworden war, hatte er weder jemals das Festland betreten noch einen Baum aus der Nähe gesehen, aber er bereitete sich ganz bewußt auf den Tag vor, an dem er sich dazu entscheiden sollte, einen ganzen Kontinent zu erobern.

Er war ein ehrgeiziger und aufgeweckter Junge.

So ehrgeizig und aufgeweckt, daß er eines bald begriff: Der Sklavenhandel lag in der Hand der weißen Kapitäne und der arabischen Kaufleute. Ein weißer Kapitän konnte er nun einmal nicht werden, aber die arabischen Händler sahen die vielen Schwarzen vom Stamm der Fulbe, die zum Islam übergetreten waren, als gleichrangig an, und so sah er den Augenblick für gekommen, sich öffentlich zum glühenden Anhänger Allahs zu erklären.

Von heute auf morgen verlangte er, daß man ihn MulayAli nennen sollte, Diener Allahs des Großen, Einzigen und Barmherzigen, und Geißel der Ungläubigen.

In seiner leidenschaftlichen Bekehrung riß er die meisten seiner Stiefbrüder, Sbirren, Ehefrauen und Konkubinen mit sich, denn die Weinfässer seines Vaters hatte er gleich nach seiner Machtübernahme ins Meer werfen lassen, dessen Geliebte jedoch mitnichten.

Kurz darauf ließ er aus dem fernen Ibadan einen bekannten Marabut kommen, den er mit Reichtümern überhäufte, damit dieser ihm Weisheit eintrichterte. Schließlich wog er noch die Dienste eines schottischen Oberst in Gold auf, damit dieser einige »Freiwillige« in den Kriegskünsten unterwies. Exerziert werden mußte auf der von Zinnen gesäumten Dachterrasse.