Celeste Heredia nickte mehrmals. Was die Eingeborene sagte, überzeugte sie.
»Einverstanden«, beendete sie die Diskussion. »Wir werden ihnen einen tüchtigen Schrecken einjagen, aber dafür sorgen wir, daß sie sich an den Tag, an dem wir bei ihnen vorbeigekommen sind, als an den glücklichsten ihres Lebens erinnern werden.«
Am nächsten Morgen tauchte die Sebastian in der Lagune auf, gab einige Warnschüsse ab, und wie erwartet stoben die Einwohner des elenden Dorfs in Panik in den tiefsten Urwald davon, den sie erst wieder verließen, als sie ganz sicher waren, daß von den »weißen Teufeln« und ihren ungeheuerlichen »schwimmenden Häusern« nichts mehr zu sehen war.
Aber als sie nach und nach zurückkehrten, entdeckten sie, daß sich zum ersten Mal in ihrem bitteren Leben, in dem es nur Elend und Schmerz zu teilen gab, die Götter der Güte und des Überflusses an sie erinnert hatten, denn das Flußufer war völlig bedeckt mit den schönsten und prachtvollsten Dingen, von denen sie je geträumt hatten. Dazu gab es alle möglichen Leckereien aus der Bordküche und drei Fässer dunkles Bier, mit denen man fröhlich den unerwarteten Besuch feierte.
Männer, Frauen und Kinder, die sich die Wunden mit Lumpen bedeckten und Tag für Tag nichts anderes als den ewig gleichen gegrillten Fisch aßen, sahen sich plötzlich als Besitzer von meterlangem rotem Tuch, Kasserollen, Messern, Äxten, Macheten und Körben voller Kekse, Käse, Dörrfleisch und sogar Krügen mit einem süßen Kompott, das sie vorher nicht gekannt hatten.
Und an Bord der Schiffe waren rauhe Männer zum ersten Mal seit langer Zeit stolz auf sich selbst und über das Scherflein, das jeder von ihnen zur Freude der freudlosesten Geschöpfe dieser Erde beigetragen hatte.
An diesem Nachmittag änderte der Spottsänger sein Lied.
»Männer an die Ruder!«
»Männer an die Ruder!«
»Rudert, Süßwassermatrosen!«
»Rudert, Süßwassermatrosen!«
»Ist der Arm auch noch so müde!«
»Ist der Arm auch noch so müde!«
»Hüpft uns doch das Herz vor Freude!«
»Hüpft uns doch das Herz vor Freude!«
Die Schiffe rührten sich.
»Wir suchen diesen Hurensohn!«
»Wir suchen diesen Hurensohn!«
»Und den, der ihn zum Teufel schickt!«
»Und den, der ihn zum Teufel schickt!«
Immer stärker schlugen die Ruder im Takt.
»Unsere Silberdame…!«
»Unsere Silberdame…!«
»Wird’s ihm geben…!«
»Wird’s ihm geben…!«
Er machte eine lange Pause, in der alle amüsiert lachten und gespannt warteten.
»Sein gottverfluchtes Herz…!«
»Sein gottverfluchtes Herz…!«
»Oder ‘ne traurige Dublone…!«
Man hörte Rufe, Pfiffe und Proteste, aber die gute Laune hielt sich, bis der alte Malteser plötzlich aufsprang und auf einen Punkt vor sich zeigte. Sofort ließ man die Ruder fahren, und alles blieb mucksmäuschenstill, um das Schauspiel vor ihren Augen zu betrachten.
Eine Herde mit über vierzig Elefanten tollte am Flußufer. Ein mächtiger Bulle mit riesigen Stoßzähnen schüttelte die Ohren und trompetete, während er geräuschvoll einen Haufen nach dem anderen auf die Erde fallen ließ. Das sollte wohl die Eindringlinge davon abhalten, seine zahlreiche Familie zu belästigen.
Über eine Stunde regte sich kein Mensch. Alles bewunderte die prächtigen Tiere, von denen man schon so viel gehört hatte, die aber noch keiner, auch nicht im Traum, aus solcher Nähe gesehen hatte. Als der große Elefantenbulle schließlich kehrtmachte und im Dickicht verschwand, gefolgt von seiner gesamten Herde, beschloß Celeste, daß es an der Zeit war, die Anker zu werfen, um an dieser Stelle die Nacht zu verbringen.
Der Tag war unvergeßlich gewesen, und in der Nacht schlief kaum einer. Wie aufgeregte kleine Jungen kommentierten sie die vielen Überraschungen des Tages.
Am nächsten Mittag erblickten sie schließlich den großen Fluß, weit, tief und majestätisch: den wunderbaren Niger, von dem man annahm, daß er sich an einem fernen Ort, weit jenseits der Wüste, mit dem mythischen Nil vereinte, der an den Pyramiden vorbeifloß und ins Mittelmeer mündete.
»Ein Fluß kann nicht in zwei Richtungen zugleich fließen«, befand Gaspar Reuter überzeugt. »Entweder fließt er nach Norden oder nach Süden.«
»Und wenn die beiden am selben Ort entspringen?« wollte Sancho Mendana wissen. »Stell dir nur einen riesigen See mit zwei Abflüssen vor. Der eine fließt nach Norden und bildet den Nil, der andere fließt nach Süden bis hierher. Wenn wir seinem Lauf folgen, werden wir diesen See überqueren und bis nach Ägypten kommen.«
»Absurd!«
»Abermöglich!«
»Trotzdem absurd!«
Die Diskussion war lang und hitzig. Keiner der beiden Streithähne wollte nachgeben, also mußte Celeste Heredia eingreifen.
»Wir sind nicht gekommen, um das Landesinnere eines Kontinents zu kartographieren, sondern um einen Sklaven jagenden Bastard zu erledigen, also vergessen wir lieber den Nil und machen die Schiffe klar. Wir haben eine schwierige Fahrt vor uns.«
Man richtete die Masten wieder auf, straffte die Taue, setzte die Segel und sorgte dafür, daß auch noch das geringste Lüftchen dazu beitragen konnte, die Schiffe stromaufwärts zu treiben.
Der Venezianer war zweifellos ein ausgezeichneter Seemann, dem niemals die Ideen ausgingen. So befahl er, mehrere besonders dicke Taue zusammenzuknoten. Das eine Ende ließ er an einem stämmigen Baum am luvseitigen Ufer befestigen, das andere am unteren Teil des Großmasts.
Dann fierte er die Segel in einem sehr engen Winkel. Wenn dann der Wind stärker wurde, trieb er das Schiff fast quer über den Fluß. Dieses beschrieb dann einen weiten Halbkreis, dessen Radius so lang wie das starke Tau war, wobei dieses Tau verhinderte, daß der Wind das Schiff ans gegenüberliegende Ufer warf.
War man am Ende des Halbkreises angekommen, stabilisierte man das Schiff von Land aus, während eine Schaluppe das Tauende zu einem anderen Baum brachte, der weiter voraus lag.
Auf diese Weise ging es von Halbkreis zu Halbkreis voran. Gemeinsam überwanden Wind und Ruderer die sanfte Strömung.
»Kein Zweifel, wir kommen voran«, konstatierte Celeste am zweiten Tag. »Aber das geht zu langsam. Bald wird einer MulayAli unsere Ankunft melden.«
»Auf den Überraschungseffekt habe ich mich nie verlassen«, gab ihr Sancho Mendana zu bedenken. »Meiner Meinung nach müssen wir nur die Chance bekommen, die Batteriestellungen dieser Festung aus weiter Entfernung zu zerstören.« Mit dem Kopf wies er auf die großen blitzenden Kanonen der Galeone und fügte hinzu: »Ich bezweifle, daß es ihnen gelungen ist, Kanonen dieses Kalibers durch Urwälder und über Berge zu schleppen. An Feuerkraft sind wir ihnen jedenfalls überlegen…«
Er hielt plötzlich inne, als wäre ihm gerade eine Idee durch den Kopf geschossen, und als Celeste den Mund aufmachen wollte, unterbrach er sie mit einer Geste.
»Warte!« bat er. »Sag nichts…!«
Das Mädchen sah ihren wie belämmert wirkenden Freund etwas perplex an. Nach einiger Zeit konnte sie sich die Frage nicht mehr verkneifen.
»Darf man wissen, was mit dir los ist, zum Teufel?«
»Hat Pater Barbas nicht gesagt, daß die Zitadelle von MulayAli nicht im europäischen Stil aus Steinen, sondern nach afrikanischer Art mit Lehmziegeln gebaut worden ist?«
»Das stimmt«, räumte sie ein. »Er hat einmal davon gesprochen. Ist ja auch ganz normal, daß man in Afrika afrikanisches Baumaterial verwendet… Und das ist gut für uns?«