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»Wenn die Festung wirklich aus Lehmziegeln besteht, dann brauchen wir keine Sechsunddreißigpfünder, um die Mauern zu zerstören.«

»Wenn du das sagst…«, meinte das Mädchen, entschlossen, sich mit Geduld zu wappnen.

»Nicht weil ich das sage«, beharrte der andere. »Sondern weil das so ist. Eine dieser Granaten aus diesen Kanonen durchschlägt eine Stampflehmmauer aus einer Meile Entfernung…« Er pfiff bewundernd. »Und so schwer muß sie ja gar nicht sein!«

»Bist du endlich mal so nett und erklärst mir, wovon du redest,« zum Teufel?« wollte das Mädchen ungeduldig wissen. »So wie ich das sehe: je leichter man diese Mauern durchschießen kann, desto besser… Oder nicht?«

»Natürlich!« räumte der Artillerist ein. »Dennoch, wenn wir Granaten mit gleichem Durchmesser, aber mit weniger Gewicht laden, dann wird die Reichweite noch viel größer… Oder vielleicht nicht?«

»Klingt logisch!«

»Natürlich ist das logisch! Je leichter, desto weiter.«

»Was soll die ganze Diskutiererei«, protestierte sie. »Woher zum Teufel nehmen wir mitten im Urwald Granaten mit gleichem Durchmesser, aber geringerem Gewicht?«

»Von nirgendwo«, tönte es überzeugt zurück. »Aber wir können sie selbst machen.«

»Sie selbst machen?« fragte Celeste Heredia verblüfft. »Wie das denn?«

»Mit den Kettenkugeln«, konstatierte Mendafia, dessen Hirn auf Hochtouren zu arbeiten schien. »Wenn wir die Ketten auflösen und die Schrapnellhülsen miteinander verbinden, dann bekommen wir eine hohle Granate mit wesentlich größerer Reichweite…« Er wartete die Antwort nicht ab, denn während er noch redete, kletterte er schon die steile Treppe zur Pulverkammer hinunter und murmelte in sich hinein: »Das muß funktionieren! Das muß einfach funktionieren!«

Als er feststellte, daß der zweite Schuß fast eine halbe Meile weiter ging als der erste, machte er Luftsprünge und stimmte eine Art Triumphmarsch an, bei dem er lärmend mit den nackten Füßen auf das Deck trommelte.

»Ich bin ein Genie!« wiederholte er immer wieder. »Einfach ein Genie!«

Caspar Reuter, der ihn vom Achterkastell aus betrachtete, kommentierte gleichmütig:

»Du weißt ja, daß es gefährlich ist, sich vor Anbruch der Dunkelheit zu besaufen. Offenbar kriegst du gerade einen Sonnenstich, und du solltest damit nicht scherzen.«

»Mach dich nur lustig…!« lautete die Antwort. »Mal sehen, wie du dreinschaust, wenn meine >Feuerspukker< hohle Granaten abschießen…«

Zwei Tage später kehrte Pater Barbas zurück. Er war fast eine Woche mit seiner von ihm unzertrennlichen Eingeborenentruppe vorausmarschiert und sah aus, als hätte er drei Nächte kein Auge zugetan.

»Wir sind bis zum einen Fort gelangt, das genau am Übergang zwischen Urwald und Savanne liegt«, war das erste, was er sagte. »Ab dort beginnt der Herrschaftsbereich von MulayAli. Wie es scheint, hat er ein halbes Dutzend ähnlicher Festungen am Fluß entlang errichtet. Die meisten Männer dieser Garnisonen sind vom Stamm der Yoruba, daher behandeln sie die Frauen der Region, die vom Stamm der Ibo sind, schlimmer als Schweine. Ibos und Yorubas sind sich schon seit ewigen Zeiten spinnefeind. Ibos brachten es fertig, in einer einzigen Nacht gut und gerne tausend Yorubas zu verspeisen.«

»Zu verspeisen?« entsetzte sich Miguel Heredia. »Wollt Ihr uns weismachen, daß sie Kannibalen waren?«

»Von wegen >waren<…«, korrigierte der ExJesuit. »Sie sind es immer noch. Benin liegt nur etwa acht Tagesmärsche entfernt und war schon immer eine Hochburg des Kannibalismus. Nicht, daß sie es aus reiner Notwendigkeit tun, weil sie satt werden müssen. Es handelt sich vielmehr um ein Ritual. Die Ibos glauben, wenn sie einen Yoruba verschlingen, dann kann kein anderer Yoruba sie mehr töten, denn er würde ja gewissermaßen teilweise einen von seinem eigenen Stamm umbringen.«

»Was für eine Barbarei!« knurrte Mendana. »Das erinnert mich an die karibischen Inselbewohner, von denen mir mein Großvater erzählt hat.«

»Wir konnten es damals kaum glauben«, fügte Gaspar Reuter hinzu.

»Einen Augenblick…!« mischte sich Kapitän Buenarrivo ins Gespräch. »Zu welchem Stamm gehören die Frauen, die uns begleiten?«

»Die meisten sind Yorubas«, konstatierte der Navarrese.

»Wollt Ihr damit sagen, daß wir YorubaFrauen mitgebracht haben, damit sie den Ibos als Abendessen dienen?« entsetzte sich der Venezianer.

»Mitnichten…!« gab der ExJesuit ungerührt zurück. »Um ehrlich zu sein, sie laufen nicht mehr Gefahr, als Abendessen zu dienen, als jeder einzelne von uns. In diesen Breiten sind es die Männer der Yoruba, die Frauen vom Stamm der Ibo versklaven und vergewaltigen, aber da MulayAli sehr schlau ist, hat er seine Kräfte verteilt. Im Westen sind es Soldaten der Ibo, die YorubaFrauen versklaven, schänden und gelegentlich verschlingen, während in den nördlichen Regionen die Fulbe die Kanuro unterdrücken und umgekehrt. Wir dürfen nicht vergessen, daß allein an der Sklavenküste zwei Dutzend verschiedene ethnische Gruppen zusammenleben, die sehr unterschiedliche Dialekte sprechen. Die Sklavenjäger, Europäer wie Araber, wußten diese Umstände stets auszunutzen, indem sie alte Streitigkeiten wieder anfachten oder neue provozierten. So hat ihnen der ständige Kampf zwischen Nachbarn stets Gefangene beschert. Sie brauchten nur ruhig an der Küste zu warten, und es kümmerte sie nicht, daß für jeden einzelnen dieser Gefangenen mindestens drei Männer in den Kriegen starben, die sie selbst angezettelt hatten.«

»Das ist widerlich!« beklagte sich Sancho Mendafia. »So etwas Abscheuliches habe ich noch nie gehört. Dagegen kommen mir die Barbareien von Mombars, dem Todesengel, vor wie Bubenstreiche. Wenigstens war der nur ein Irrer, dem sich von Zeit zu Zeit das Hirn vernebelte, aber diese Hundesöhne handeln mit eiskalter Berechnung.«

»Verstehst du jetzt, warum wir bis zum Ende gehen und ein für allemal mit diesem verfluchten König vom Niger Schluß machen müssen?« fragte Celeste bewußt.

»Und wie lange wird es dauern, bis ein neuer >König vom Niger< geboren wird?« wollte der Margariteno wissen.

»Keine Ahnung«, gestand das Mädchen. »Wahrscheinlich nicht lange, aber wenigstens haben wir gezeigt, dass man ihn besiegen kann. Meiner Meinung nach liegt das Problem vor allem darin, daß diese Menschen, von welchem Stamm sie auch immer sein mögen, die Sklaverei als etwas ansehen, wogegen kein Kraut gewachsen ist. Wie die Lämmer lassen sie sich zur Schlachtbank führen und glauben, daß sie dagegen ohnmächtig sind. Aber ein großer Sieg über jemanden, der so mächtig ist wie MulayAli, wird ihre Moral stärken und ihnen die Kraft geben, es mit diesen Kanaillen selbst aufzunehmen.«

»MulayAli in seinem eigenen Reich zu vernichten wäre tatsächlich ein Meilenstein in der Geschichte der afrikanischen Sklaverei, und vielleicht ändert das ja wirklich ihren Verlauf«, fiel Pater Barbas zustimmend ein. »Vergessen wir nicht, daß die Situation seit über einem Jahrhundert Jahr für Jahr immer schlimmer geworden ist, und das demoralisiert bestimmt auch den Tapfersten.«

»Da sind wir wohl alle einer Meinung«, mischte sich Gaspar Reuter ein, so gelassen wie immer. »Aber langsam beginne ich zu glauben, daß es nicht ausreicht, nur eine Schlacht für uns zu entscheiden. Wir müssen den Krieg gewinnen.«

»Den Krieg gewinnen?« wunderte sich Sancho Mendana. »Wie denn?«

»Indem wir aus einem Reich des Schreckens und der Sklaverei ein Reich des Friedens und der Freiheit machen«, beharrte der Engländer. »Wenn wir MulayAli besiegen und anschließend wieder abziehen, dann wird bald alles wieder so sein wie vorher. Aber wenn wir MulayAli vernichten und an seiner Stelle eine Zuflucht schaffen, die allen Sklaven Afrikas offensteht, die nach Freiheit streben, dann säen wir wirklich die Keime einer neuen Zukunft.«

»Eine Zuflucht des Friedens und der Freiheit? Ein Land der Befreiten?« fragte Celeste erstaunt, doch es war offensichtlich, daß sie diese Idee faszinierte.