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»Ich hätte mir nie träumen lassen, daß du einmal so mit mir sprechen könntest«, erwiderte Miguel Heredia bekümmert.

»Ich auch nicht, aber so bin ich nun mal jetzt«, gab das Mädchen mit eisiger Gelassenheit zurück. »Denk daran: Wenn wir uns dazu entschließen, die Sklavenhändler zu bekämpfen, dann legen wir uns mit den mächtigsten Leuten unserer Zeit an. Da werden wir uns nicht an das Gesetz halten können, denn die Gesetze, die diesen Handel unterstützen, sind offensichtlich ungerecht. Entweder brechen wir sie, oder wir kommen zu nichts.«

»Wir werden lediglich auf dem Schafott enden.«

»Noch bleibt dir Zeit, das zu umgehen.«

»Du weißt, daß das nicht stimmt. Wenn das deine Entscheidung ist, werde ich sie akzeptieren. Was sollte ich in meinem Alter denn sonst machen?«

»Du kannst hier einen ruhigen Lebensabend verbringen. Der Ort ist wunderschön.«

»Während du auf hoher See dein Leben aufs Spiel setzt…? Was für ein Unsinn! Ich werde stets an deiner Seite bleiben, auch wenn ich mit deinen Methoden nicht einverstanden bin.«

Vorläufig ließen sie die Angelegenheit ruhen. Doch drei Tage später erfuhren sie, daß die riesige, prunkvolle Galeone des eleganten Frauenhelden Laurent de Graaf in der Bucht von Port-Royal vor Anker gegangen war. Bestürzt hatten Kapitän und Mannschaft feststellen müssen, daß die schöne, ausgelassene Stadt auf der Landzunge nur noch ein Ruinenhaufen war.

Sein einst stolzes, schimmerndes Schiff hatte bösen Schaden genommen, war schmutzig und angekokelt, sein Besanmast zersplittert und der Rumpf unter der Wasserlinie wie ein Sieb durchlöchert. Der Angriff auf Maracaibo war fehlgeschlagen: Die Piraten hatten eine demütigende Niederlage erlitten, bei der über ein Dutzend Schiffe gesunken waren.

Zu allem Überfluß kam dann auch noch Oberst James Buchanan an Bord und teilte dem demoralisierten Holländer kurzerhand mit, daß er binnen sechs Tagen seine Fahne abzugeben und ein Dokument zu unterzeichnen hätte, in dem er sich verpflichtete, sein »verbrecherisches« Tun für immer aufzugeben. Ansonsten hätte der Pirat Jamaika für immer den Rücken zu kehren.

»Und warum das?« wollte De Graaf wissen.

»Weil die Seeräuberei tot ist.«

»Wer sagt das?«

»Ich. Und in Jamaika gebe jetzt ich die Befehle.«

»Über den Kopf des Gouverneurs hinweg?«

»Der Gouverneur ist tot. General Maxwell ebenso. Jetzt gebe ich die Befehle, und so lauten sie… Werdet Ihr Eure Fahne abgeben?«

»Ich muß darüber nachdenken.«

»Tut das, aber denkt daran, Ihr habt nur eine Woche Zeit. Danach habt Ihr Euch entweder aus dem Staub gemacht oder Ihr hängt am Großmast, eingewickelt in Eure Fahne.«

Noch vor einigen Monaten hätte der stolze Pirat einfach die Luken seiner Kanonenschächte geöffnet, das stinkende Nest Kingston von der Landkarte gefegt, und sein berühmtes Orchester hätte dazu Siegesmärsche intoniert. Doch jetzt hatte er nur mit Mühe und Not die rettende Küste Jamaikas erreicht, und weder sein Schiff noch seine Männer waren in der Lage, auch nur einer elenden Schaluppe schmutziger Freibeuter die Stirn zu bieten.

Die ganze Nacht grübelte er über sein Unglück nach und fragte sich, was er tun sollte. Auf dem verwahrlosten Tortuga, das wußte er nur zu gut, würde man ihn keinesfalls mit offenen Armen empfangen. Die stinkenden, blutdürstigen Bukaniere dort würden jede Gelegenheit nutzen, ihn im Schutz der Dunkelheit zu überfallen, seiner Mannschaft die Kehle durchzuschneiden und sich wie Geier über die Reste seiner glanzvollen Vergangenheit hermachen.

Stets hatte er vorgehabt, seinen gefährlichen Beruf ein für allemal an den Nagel zu hängen und seine wohlverdienten Schätze mit den schönen Pariserinnen zu teilen, für die er eine besondere Schwäche hatte. Doch ausgerechnet jetzt hatte er nicht den geringsten Schatz zu verteilen. Nur ein mächtiges, allerdings bös zugerichtetes Kriegsschiff und eine geduldige Mannschaft waren ihm geblieben, und die hatte im letzten Jahr nicht die elendste Beute gesehen.

Und jetzt kam dieser verdammte Engländer und stellte Bedingungen.

Der Mond schien auf die Stelle, an der noch vor kurzem die berühmte Schenke »Die Tausend Jakobiner« gestanden hatte. Mit Wehmut dachte De Graaf an die zahllosen Nächte, in denen er dort mit vollen Händen sein Geld beim Glücksspiel zum Fenster hinausgeworfen und verächtlich die vielen Frauen abgeschüttelt hatte, die nichts anderes als die hochgeschätzte Ehre im Sinn hatten, den Piraten in ihr Bett zu lotsen.

Das alles lag nun unwiederbringlich hinter ihm. Plötzlich überfiel ihn das Gefühl, alt geworden zu sein, müde und besiegt: nicht von den Kanonenkugeln Maracaibos, die ein ums andere Mal mit teuflischer Präzision auf seinem Schiff eingeschlagen hatten, sondern von der Zeit und dem Schicksal, die seit jeher die erbittertsten Feinde des Menschen waren.

Wer hätte sich denn auch ausmalen können, daß die verfluchten Einwohner von Maracaibo so hartnäckig Widerstand leisten würden und daß die Erde binnen drei Minuten eine ganze Stadt verschlingen konnte?

Dabei hätte es ihm noch schlimmer ergehen können, versuchte er sich zu trösten. Schließlich könnte er jetzt auf dem Grund der Bucht liegen. Kein einziges Schiff hatte der durch das Erdbeben ausgelösten Flutwelle widerstanden. Doch es konnte nur ein magerer Trost sein, daß er nun der Einäugige unter den Blinden war.

Er legte sich zum Schlafen an Deck, machte aber kaum ein Auge zu. Das ferne Gelächter und Stimmengewirr aus den lärmenden Bordellen und Spielhöllen Port-Royals fehlte ihm. Um so erstaunter war er, als sich im ersten Morgengrauen eine Schaluppe steuerbords näherte und ein schönes Mädchen voller Respekt um Erlaubnis bat, an Bord kommen zu dürfen.

»Was willst du?« fragte er barsch. Ein verzweifeltes Freudenmädchen, dachte er, das die Katastrophe überlebt hatte und nun an seine legendäre Großzügigkeit appellieren wollte.

»Dein Schiff kaufen«, tönte es selbstsicher zurück.

»Mein Schiff kaufen?« wiederholte der Pirat verblüfft. »Hast du auch nur den geringsten Schimmer, was so ein Schiff wie dieses hier kostet?«

»Habe ich nicht und ist mir auch egal«, stellte Celeste Heredia trocken klar. »Jedenfalls reicht mein Geld, um hundert davon zu kaufen, also entweder läßt du mich jetzt an Bord kommen, oder ich verschwinde wieder.«

Der Holländer Laurent de Graaf, so munkelte man, hatte in seinem Leben mehr Frauen um ihre Unschuld gebracht als das gesamte Heer seines Landes. Verblüfft betrachtete er das freche Mädchen, das sich von oben in den provozierenden Ausschnitt blicken ließ, ohne sich dabei auch nur im geringsten zu genieren. Mit den Frauen, die im Lauf seines Lebens mit ihm das Bett geteilt hatten, hatte dieses seltsame Geschöpf jedenfalls wenig gemein.

»Komm an Bord!«

Celeste sprang an Deck, brachte ihr Kleid in Ordnung, schüttelte ein wenig das wallende Haar, das ihr unverwechselbares Gesicht mit den neugierigen Augen umrahmte, holte ein Dokument mit Stempel und Lacksiegel hervor und hielt es ihrem Gegenüber unter die Nase.

»In diesem Kreditbrief steht, daß ich allein auf einer Bank in deinem Land Geld genug habe, um zehn Schiffe damit auszurüsten. Reicht dir das, um Verhandlungen zu beginnen?«

»Das diskutieren wir doch lieber in der Kajüte.«

»Wir bleiben besser an Deck. In den Kajüten wird über Dinge geredet, zu denen ich bislang keine Lust hatte.«

»Wie du willst«, erwiderte der andere sarkastisch. »Ich hätte dir gern eine Erfrischung angeboten, doch leider habe ich nicht einmal mehr Zitronen an Bord.«

Trotz allem spielte er den Kavalier, holte ihr einen Stuhl und nahm ihr gegenüber Platz. Dann blickte er ihr erneut tief in die Augen, als wolle er seine gesamten Verführungskünste spielen lassen, und lächelte:

»Laß deinen Vorschlag hören.«

»Ganz einfach: Ich will dein Schiff kaufen. Du nennst den Preis. Finde ich ihn angemessen, lege ich dir die Summe sofort auf den Tisch. Bist du zu teuer, warte ich auf ein anderes Schiff. Nur diskutieren werde ich nicht.«