»Du hättest eine Menge wunderbarer Dinge tun können, ohne hierherzukommen.«
»Wie das?« fragte sie aggressiv. »Als Ehefrau und Mutter, die dir einen Haufen Enkel schenkt und ihr Geld unter den Armen verteilt? Das haben wir schon ausdiskutiert, danach strebe ich nicht.« Sie ging zu ihrem Sessel zurück und wies ausholend nach draußen, um unbefangen hinzuzufügen: »Vielleicht will ich einfach nur beweisen, daß eine einfache Frau in der Lage ist, in das Herz Afrikas vorzudringen, um dem grausamsten seiner Sklavenhändler die Stirn zu bieten. Was danach kommt, ist nicht wichtig.«
»Mir schon. Ich möchte nicht sehen, wie du stirbst.«
»Wenn zwei Menschen sich lieben, wird fast immer einer von beiden die traurige Erfahrung machen, den anderen sterben zu sehen«, erinnerte ihn das Mädchen. »Und ehrlich gesagt, es ist mir lieber, wenn du das erlebst.«
Als ihr Vater gegangen war, bereute Celeste ihren harten Ton. Es schmerzte sie, daß sie diesen in letzter Zeit kaum noch vermeiden konnte.
Sie war reich, respektiert, mächtig, jung und attraktiv, und doch war ihr bewußt, daß sie seit dem Tod ihres Bruders nicht mehr sonderlich am Leben hing. Irgendwie fühlte sie sich wie ein riesiger Baum mit mächtiger Krone, starken Ästen und saftigen Früchten, dem die Wurzeln fehlten.
Mit Mitgefühl, das wußte sie sehr gut, kam man als Anführer nicht weit. Schon eher beflügelte einen der Wunsch nach Ruhm, Geld oder Macht. Und doch war dieses Mitgefühl ihre einzige Antriebsfeder, die etablierte Ordnung mit Blut und Feuer zu bekämpfen.
Aber wenn dieses zarte Gefühl der Liebe für die Schutzlosen schwächer wurde, was nur zu oft geschah, dann stürzte alles wie ein Kartenhaus zusammen. Celeste war sich bewußt, daß angesichts einer unmittelbar bevorstehenden brutalen Schlacht, deren Ausgang so ungewiß war, viele ihrer Männer sich fragten, ob es sich wirklich lohnte, das Leben für etwas so Vages wie Mitgefühl einzusetzen.
Im Grunde blieben für die meisten dieser rauhen Abenteurer aus allen möglichen Ländern die Schwarzen Schwarze und die Sklaven Sklaven.
Und kein Mädchen, sosehr es auch davon träumen mochte, würde an dieser Meinung etwas ändern.
Als die brütende Mittagshitze nachließ, entwarf Kapitän Buenarrivo einen Plan, um die Schiffe vor einem Angriff zu schützen. Da er auf dem Niger kaum Möglichkeiten zum Manövrieren hatte, sah dieser ganz anders aus als die Strategie, die er für eine Seeschlacht gewählt hätte.
Die erste und vielleicht größte Schwierigkeit lag darin, die Galeone in der Mitte des Stroms völlig quer zu legen. Dafür benutzte er die zwei Anker sowie mehrere schwere Gewichte, die man am Bug und am Heck in den schlammigen Grund versenkte. So rührte sich das Schiff keinen Meter von der Stelle, obwohl die volle Strömung an seine Steuerbordseite drückte.
Auf diese Weise deckten die drei Steuerbordbatterien den gesamten Horizont flußaufwärts ab, während die Backbordgeschütze flußabwärts den Süden bestreichen konnten.
Etwas später ging auch die Sebastian vor Anker. Allerdings stand die Fregatte quer zur Dama de Plata. Fast berührten sich die beiden Galionsfiguren. So konnten die Backbordkanonen der Fregatte das rechte, die Steuerbordgeschütze das linke Ufer bedrohen.
Schließlich verankerte man eine gute halbe Meile entfernt primitive Flöße, auf die man Fackeln steckte. Diese erleuchteten in fast gespenstischer Weise die schwarze Nacht. Außerdem befahl man, die Wachen zu verdoppeln. So achteten vierzig Augenpaare auf jede noch so geringe Bewegung, die sich im Umkreis der Schiffe zeigte.
»Beim geringsten Verdacht ohne Warnung feuern«, lautete der lapidare Befehl des Venezianers. »Lieber eine Kugel verschwenden, als zu riskieren, daß uns ein geheimnisvoller Schwimmer Ärger macht.« Mit erhobenem Zeigefinger fügte er hinzu: »Und verdreifacht die Wachen in den Pulverkammern.«
Bei Anbruch der Nacht erdröhnten die Trommeln.
Aus dem Norden waren beunruhigende Signale zu vernehmen. Allerdings machte es die sanfte Brise aus Südwesten sehr schwer, genau zu verstehen, was sie verkündeten. Dennoch bat Sakhau Ndü, der es sich lieber unter dem Zeltdach an Deck bequem gemacht und freundlich die ihm vom Ersten Offizier angebotene Kajüte abgelehnt hatte, Pater Barbas, näher zu kommen, um ihm etwas mitzuteilen:
»MulayAli zieht seine Männer im Norden und Westen zusammen.«
»Wie viele?«
»Das weiß ich nicht, aber vermutlich viele.«
»Wann werden sie angreifen?«
»Nicht vor Morgengrauen.«
»Bist du sicher?«
»Kein Krieger würde es wagen, bei Neumond durch die Savanne zu marschieren und zu riskieren, daß ihn plötzlich ein tollwütiges Tier anfällt«, kam es überzeugt zurück. »Die Sonne wird bereits am Horizont stehen, bevor wir den ersten von ihnen zu Gesicht bekommen.«
Das klang logisch, trotzdem wurde die Spannung an Bord immer größer, als die Dunkelheit über dem Fluß hereinbrach. Zwar servierte man das Abendessen mit dem üblichen Protokoll, doch keinem in der Offiziersmesse schienen die ausgezeichnete gebackene Gazellenkeule, die köstlichen fritierten Flußfische oder die frischen pochierten Wildenteneier mit Fenchel so recht zu schmecken.
»Eine wahre Henkersmahlzeit«, kommentierte Kapitän Buenarrivo mit seinem Galgenhumor, der vor nichts haltmachte. »Wenn wir aus der Sache heil herauskommen, dann lasse ich den Koch die Peitsche schmecken, weil er das Beste seiner Kunst für das letzte Abendmahl aufgehoben hat.«
»Wir können immer noch umkehren…«, gab ihm Pater Barbas zu bedenken. »Ein Rückzug zur rechten Zeit kann ein Sieg sein, heißt es.«
»Ein Rückzug zur rechten Zeit ist nichts weiter als eine unblutige Niederlage«, gab der Venezianer zurück und machte eine abschätzige Geste. »Ich setze auf den Sieg, aber das hindert mich nicht daran, zu erkennen, daß ich noch niemals in so prekärer Situation habe kämpfen müssen.«
»Ich ebenfalls nicht«, gab Hauptmann Mendana zu. »Aber wenn die Schützen nicht die Nerven verlieren und hurtig nachladen, dann fegen wir diese Wilden hinweg.«
»Was ist von dem Weißen bekannt, der sie befehligt?« fragte plötzlich Celeste. »Wer ist er und woher kommt er?«
»Wie es heißt, ist er ein Schotte, homosexuell, grausam und ein Renegat«, erwiderte der Jesuit mit sichtlicher Verachtung. »Aber offenbar ist er ein glänzender Stratege, schlau und tapfer. Wenn wir ihn erwischen, dann werden seine Männer laufen wie die Hasen.«
»Ich nehme an, er wird nicht schwer auszumachen sein, als einziger Weißer unter all den vielen Schwarzen«, murmelte Miguel Heredia und verließ seine Gedankenwelt für einen Augenblick. »Er wird auffallen wie eine Fliege in der Milch.«
»Er malt sich schwarz an.«
Alles sah den Bärtigen an, der diese seltsame Behauptung aufgestellt hatte.
»Was meint Ihr?«
»Daß er kein Idiot ist und sich schwarz färbt, wenn es in die Schlacht geht«, beharrte der andere.
»Wenn das so ist, dann geht das hier ein als die Schlacht des Falschen Negers«, meinte Sancho Mendana nicht ohne einen gewissen Sinn für Humor. »Ich werde meine Leute anweisen, auf einen wilden Krieger im Schottenrock zu achten und ihm das Licht auszupusten.«
Als das Abendessen beendet war, bat Celeste Pater Barbas, ihr in ihre Kajüte zu folgen. Dort angelangt, schloß sie die Tür und kam ohne Umschweife zur Sache:
»Ich möchte beichten.«
»Wie das?« zeigte sich der andere überrascht.
»Ich habe eine böse Vorahnung.«
»Vorahnungen sind nichts weiter als Aberglauben, kein vernünftiger Grund, um ein Sakrament zu erbitten«, stellte der Navarrese klar. »Abgesehen davon glaube ich, daß ich nicht die Gnade Gottes besitze, um dir die Absolution zu erteilen. Wenn es darum geht, Schuld zu beichten, dann dürften meine Sünden unendlich größer sein als die deinigen.«