»Das bezweifle ich«, erwiderte sie. »Ich habe einen Mann mit meinen eigenen Händen aufgehängt.«
»Er wird es sicher verdient haben«, befand der Bärtige. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und sah ihr direkt in die Augen, während er sein Gesicht zu einer Grimasse verzog, die ein Lächeln darstellen sollte. »Ich kenne dich«, fügte er hinzu. »Und ich glaube nicht, daß jemand ein reineres Herz hat als du. Vergiß deine Befürchtungen! Und vergiß die Beichte! Was du zu sagen hast, das sag dem Herrn persönlich, denn du mußt eine sehr direkte Beziehung zu ihm haben. Mit mir wird er wahrscheinlich nicht mehr reden wollen.«
»Mit einer so überheblichen Person wie mir wohl auch nicht«, murmelte Celeste und ließ sich in den riesigen handgeschnitzten Sessel fallen, der einmal Laurent de Graaf gehört hatte. »Meine Arroganz hat mich und über zweihundert Männer in diese Falle geführt, und ich fürchte, morgen kommt ihr Blut über mich.« Fest erwiderte sie seinen Blick. »Nicht mein Tod schreckt mich, sondern der Tod so vieler da draußen.«
»Soweit ich weiß, ist keiner zu dieser Reise gezwungen worden«, erinnerte sie Pedro Barbas. »Und soweit ich weiß, wußten alle sehr gut, worauf sie sich einließen. Ob du willst oder nicht, die meisten von ihnen sind schlichte Abenteurer, die nur an sich selbst denken. Aber aus den Kneipenschlägern sind mit der Zeit Freiheitskämpfer geworden, und ich bin sicher, daß der liebe Gott sie mit offenen Armen empfangen wird, wenn sie in dieser Schlacht fallen.«
Letztlich war das nur ein schwacher Trost für Celeste, die tagtäglich dabei zusah, wie starke junge Männer voller Tatkraft über Strickleitern kletterten oder in dreißig Meter Höhe herumturnten. Und jetzt mußte sie daran denken, daß diese Männer vielleicht sehr bald tot sein würden, weil sie allzu leichtsinnig auf einem unerforschten afrikanischen Fluß in die Höhle des Löwen gefahren waren.
Unruhig wie sie war, fand Celeste keinen Schlaf und beschloß daher nach Mitternacht, auf dem Achterkastell frische Luft zu schöpfen. Von dort aus betrachtete sie gedankenverloren die fernen Feuer, die auf dem Wasser schwammen und kaum die Finsternis einer warmen Nacht durchdrangen, die besonders dunkel und nebelig war.
Dann schweifte ihr Blick über das weite Deck, auf dem die meisten Männer der Besatzung, denen es unter Deck zu heiß geworden war, ihre Hängematten aufgespannt hatten. Ihre Augen blieben an der hohen Gestalt von Sakhau Ndu hängen, der genau unter einer der Steuerbordfackeln stand und fast flüsternd mit seiner Frau sprach.
Eine Weile entspannte sich Celestes Gesicht. Fast spielte ein Lächeln um ihre Lippen. Allein dieses herrliche Paar anzusehen war ihr ein Genuß, der sich nur mit dem Anblick einer schönen Landschaft oder eines schönen Kunstwerks vergleichen ließ.
Schon für sich allein waren Sakhau Ndu und Zeud Sekature zwei prachtvolle Exemplare der Gattung Mensch. Die Natur hatte über sie nicht nur ein Füllhorn ausgeschüttet, sondern offenbar gleichzeitig den weisen Entschluß gefaßt, beide zu vereinen, um den Gipfel der Perfektion dazustellen.
Ein genialer Künstler schien Jahre damit verbracht zu haben, zwei majestätische Statuen aus schwarzem Marmor für das Gemach einer Göttin zu meißeln, aber als diese sah, wie perfekt sie geworden waren, schien sie beschlossen zu haben, ihnen Leben einzuhauchen und sie auf die Erde zu schicken, um aller Welt zu zeigen, was die Götter vermochten, wenn sie nur wollten.
Und aus den verstohlenen Blicken, die ihnen die Männer der Besatzung von Zeit zu Zeit zuwarfen, konnte man schließen, daß alle, die ohnehin nicht mehr recht glauben wollten, daß die schwarze Rasse ihnen unterlegen war, jetzt mit zwei handfesten Argumenten in ihrer Ansicht bestärkt wurden. Sakhau und Zeud waren nicht nur in ästhetischer Hinsicht bewundernswert, sondern erwiesen sich auch als intellektuell überlegen.
In den tiefen Augen des Mannes konnte man eine Million unergründlicher Rätsel entdecken, während in den Augen der Frau sanftes Verständnis und liebenswerte Zärtlichkeit zu lesen waren.
Der Anblick von so viel Gelassenheit besänftigte Celestes aufgewühlten Geist, und so rührte sie sich nicht einmal, als nach einer Weile Zeud ihre Anwesenheit zu fühlen schien, aufsah und ihre Blicke sich kreuzten.
Obwohl die beiden Frauen aus sehr unterschiedlichen Welten mit völlig verschiedenen Sprachen waren, brauchten sie sich nur respektvoll zuzunicken, um sich auch ohne ein Wort zu verstehen.
Als sich das Mädchen schließlich zurückzog, blickte Zeud Sekature ihren Mann an und fragte ihn mit einem bohrenden Ton, den sie, ohne dabei weniger ehrerbietig zu sein, nur dann gebrauchte, wenn ihr etwas wirklich wichtig war:
»Wird sie wirklich Königin werden?«
Die Antwort ihres Partners, der doch sonst für alles stets eine überzeugende Erklärung parat hatte, verwirrte sie ein wenig.
»An diesem Morgen habe ich dir versichert, daß sie es sein würde, aber heute nacht bin ich da nicht mehr so sicher.« Der Bamileke wies mit dem Kinn auf die Fakkeln, die das Deck der beiden Schiffe erleuchteten, und fügte hinzu, als ob es ihn schmerzte, seine Unwissenheit gestehen zu müssen: »Sosehr ich mich auch anstrenge, ich kann die Bedeutung dieser Feuer nicht erkennen; auf diesem Schiff sprechen sie von Freude und Sieg, auf jenem kleinen dort jedoch von Tod und Niederlage. Auf diesem Schiff reisen die Götter und auf jenem die Dämonen, und doch springen die Weißen vom einen auf das andere, als ob sie nicht den kleinsten Unterschied erkennen könnten…« Er sah sie an, als könnte sie seine Zweifel deuten. »Wie erklärt sich das?« wollte er wissen.
»Vielleicht wissen die Weißen nicht die Feuer zu lesen«, wagte sich seine Frau ohne rechte Überzeugung vor.
»Was für ein Unsinn…! Wie können sie so mächtige Waffen und so riesige Schiffe besitzen, ohne gelernt zu haben, das Feuer zu lesen?«
»Vielleicht liegt das daran, daß sie andere Götter haben«, gab ihm Zeud mit viel Logik zu bedenken. »Auch die Moslems sollen unglaublich mächtig sein, obwohl auch sie nicht gelernt haben, das Feuer zu lesen.«
»Das ist wohl wahr«, räumte der Schamane nachdenklich ein. »Die Moslems haben einen blinden Glauben an einen einzigen unsichtbaren körperlosen Gott, obwohl der niemals herabsteigt, um mit ihnen zu sprechen. Vielleicht ist das mit den Christen ebenso.«
»Ich glaube nicht, daß sie so dumm sind, auf einen unsichtbaren, körperlosen und stummen Gott zu vertrauen«, flüsterte die Frau, als fürchtete sie, daß einer der Schnarcher in der Nähe sie hören konnte. »Nicht einmal der unwissendste Jäger in den Bergen würde in eine solche Falle gehen. Was hilft dir ein Gott, wenn du nicht in Augenblicken der Not auf ihn zurückgreifen kannst?«
Sakhau Ndu hatte auf diese Frage ebensowenig eine Antwort wie auf die meisten, die er sich stellte, seit er seinen Fuß auf jenes »Gottesschiff« gesetzt hatte, in dessen Holz, Tauen, Segeln und Kanonen der Geist des Gerechtigkeitsgottes Chahad zu wohnen schien. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich ohnmächtig, wo es darum ging, die Pläne der Götter zu interpretieren, und das löste bei ihm eine tiefe Unruhe aus. Nur mit Mühe bezwang er seine Panik.
Warum schickten die Feuer der Galeone eine Nachricht in den Himmel und die der Fregatte eine ganz andere?
Aus welch seltsamem Grund suchten Engel und Dämonen gleichzeitig den Fluß heim und segelten nebeneinander her, als ob sie keine unversöhnlichen Feinde, sondern treue Verbündete wären?
Und über wen würde am folgenden Tag die seltsame Frau mit ihren wasserfarbenen Augen und ihrem glatten Haar herrschen, in deren sichtbarer Aura sich alles Gute und Schlechte dieser Welt zu konzentrieren schien?
Je später die Nacht, desto mehr flaute die sanfte Brise aus Süden ab. Um so deutlicher sprachen die Trommeln von Krieg. Diese Botschaft war nun wirklich leicht zu interpretieren, denn das waren nur Befehle, die auch dem dümmsten Krieger sagten, worauf er sich zu konzentrieren hatte, wie und von wo aus er seinen Feind anzugreifen hatte.