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»Ich fürchte, unsere einzige Hoffnung, uns zu retten, besteht darin, so bald wie möglich die Sebastian aufzugeben und uns von der Strömung forttragen zu lassen in der Hoffnung, daß es aufhört zu regnen.«

»Aber als Falle taugt sie jetzt nichts mehr!« wandte der Venezianer ein. »Bei so viel Wasser sind die Lunten bestimmt feucht.«

»Das kann ich mir vorstellen, aber ich sehe keine andere Lösung.«

Der kleine Mann nickte und wandte sich an den Obermaat, der auf Befehle wartete. Sichtlich bemüht, nicht zu zeigen, wie fassungslos er war, befahl er:

»Sie sollen Boote zu Wasser lassen und die Fregatte aufgeben!«

Ein weiteres Mal ertönte der Pfiff, und jetzt läutete die Glocke geradezu hysterisch.

Mit bewundernswerter Gelassenheit organisierte der Erste Offizier den Rückzug von der Sebastian. Er sorgte dafür, daß seine Männer in Reih und Glied auf die Galeone gingen, nachdem sie auch noch die letzte Kanone in den Fluß geworfen hatten.

Die Kanus streiften bereits die Bordwände der Fregatte, als der Erste Offizier über den Klüverbaum des Bugs der Galeone kletterte. Nachdem sie sich mit wiederholten Pfiffen versichert hatten, daß keiner zurückgeblieben war, gab er ein Zeichen, die Taue zu kappen, die beide Schiffe miteinander verbanden.

Fast gleichzeitig befahl der Obermaat den Männern, die mit erhobenen Äxten bereitstanden, die dicken Taue der Anker und der schweren Gewichte der Dama de Plata zu kappen. Plötzlich wurde sie, von ihren Fesseln befreit, die sie verankert hielten, von der Strömung mitgerissen und machte einen abrupten Schwenk um 90 Grad. Dabei knallte ihre Backbordseite heftig gegen die Steuerbordseite der Fregatte, riß Splitter fort und zerstörte Masten und Taue. Dann driftete sie führerlos flußabwärts und schlingerte dabei hin und her, denn sie trieb mit dem Heck voraus. Das schwere Steuerruder war plötzlich nur noch ein absurdes überflüssiges Stück Holz.

Seeleute, die gelassen Wirbelstürmen und turmhohen Wellen getrotzt hatten, fühlten sich jetzt wie wehrlose Kinder. Ein sanfter Fluß spielte mit ihnen, drohte sie ans nahe Ufer zu werfen, um sie dort gefangenzuhalten und der Gnade ihrer Feinde auszuliefen. Einige lange Minuten, die ihnen vorkamen wie Stunden, liefen daher zweihundert Männer kopflos hin und her.

»Focksegel hissen und Ruder steuerbord!« brüllte schließlich der Venezianer. Der war bleich geworden, als er den Verlust jeglicher Manövrierfähigkeit entdeckt hatte. »Entweder bringen wir den Bug nach Süden, oder wir laufen auf Grund. Ihr da…! Bindet dieses Tau an die Kanone und werft sie über Bord.«

»Über Bord?« fragte der Verantwortliche für besagte Kanone erschreckt. Der seltsame Befehl schien ihm unverständlich. »Warum?«

»Diskutiere nicht, sondern mach, was ich dir sage, Idiot!« Kapitän Buenarrivo lehnte sich über die Reling des Achterkastells und rief den drei Männern zu, die vergeblich versuchten, ihre Musketen nachzuladen: »Laßt das und bindet das andere Tauende an das Heck! Schnell!«

Der Befehl wurde sofort ausgeführt: Die riesige Kanone stürzte ins Wasser und versank wie Blei. Einige Meter schleifte sie noch über den Grund, bis sie im dichten Schlamm steckenblieb.

Das Tau spannte sich, ächzte jämmerlich, als wollte es in tausend Stücke zerspringen, aber es hielt dem Zug stand, mit dem Erfolg, daß sich die schwere, jetzt am Heck verankerte Galeone langsam um ihre eigene Achse drehte und dabei gefährliche Schlagseite bekam.

Jeder Mann klammerte sich an das, was ihm am nächsten war, während die Dama de Plata vom Kiel bis zum Mastkorb knirschte, allmählich mit dem Bug nach Süden drehte und damit wieder der Strömung folgte.

Noch immer regnete es.

Sintflutartig.

Jetzt aber schüttete es auf ein schweres Schiff, das man schon fast wieder unter Kontrolle hatte wie ein bockiges Pferd, das man mit dem Zaumzeug bändigte, auch wenn dieses »Zaumzeug« jeden Augenblick reißen konnte.

Nun erst konnte der größte Teil der Besatzung hinter sich sehen. Erleichtert stellten sie fest, daß die Krieger sich dazu entschlossen hatten, ihre wilde Attacke für einen Augenblick zu unterbrechen.

Wie eine Heuschreckenplage hatten sie sich auf die wehrlose Fregatte gestürzt, die bereits über eine halbe Meile entfernt war, und inzwischen glich das Schiff einer treibenden menschlichen Masse.

Die Männer MulayAlis drängten sich an Deck, kletterten auf die Masten, balancierten auf den Mastbäumen und Strickleitern, stießen enthusiastisches Siegesgeheul aus und reckten ihre Waffen in die Luft. Inzwischen näherten sich weitere Boote von flußaufwärts der Fregatte, gingen längsseits und ließen ebenso begeistert die jubelnde Riesengestalt von Ian MacLean hochleben, der sich selbstzufrieden und stolz am Steuerruder zeigte und glücklich über den überwältigenden Sieg lächelte.

»Dein Vater hatte recht…«, flüsterte Gaspar Reuter Celeste Heredia ins Ohr, die mit tränenfeuchten Augen die entmutigende Szene verfolgte. »Es wäre ein prächtiger Köder gewesen!«

»Bist du sicher, daß die Lunten wirklich feucht geworden sind?« wollte das verbitterte Mädchen wissen, das binnen Minuten um zehn Jahre gealtert schien. »Gibt es keine Hoffnung mehr, daß sie Feuer fangen?«

»Keine, meine Kleine. Ich habe sie selbst ausgelegt und leider nicht im Traum daran gedacht, daß es derart schütten könnte.«

»Wie schade! Es wäre ein großartiges Schauspiel gewesen, zu sehen, wie sie in die Luft fliegt.« Plötzlich verzerrte sich das schöne Antlitz Celestes, während sie sich nach allen Richtungen umsah. »Wo ist mein Vater?« wollte sie wissen. »Wo ist er?«

Der Engländer wurde ebenso unruhig, ließ seinen Blick über Deck schweifen, und kurz darauf stürzte er in die Offiziersmesse. Als er wieder auftauchte, schüttelte er den Kopf.

Celeste Heredia beugte sich sofort über die Reling und rief hinunter:

»Mein Vater! Hat jemand meinen Vater gesehen?«

Die demoralisierten Männer schauten sich an, als wollte jeder in seinem Nachbarn die Züge von Miguel Heredia sehen. Schließlich zeigte der Portugiese Silvino Peixe zur schon fernen Sebastian hinüber und rief:

»Das letzte Mal habe ich ihn gesehen, wie er in die Pulverkammer hinunterstieg!«

»Gütiger Himmel!« schluchzte das Mädchen, jetzt das Schlimmste befürchtend. »Wer hat ihn da wieder herauskommen sehen?«

Wieder sahen sich alle an, und schließlich schüttelten alle den Kopf.

Celeste Heredia spürte, wie ihr die Beine versagten. Sie ließ sich auf den nassen Boden sinken, wobei sie versuchte, sich an der Reling festzuhalten. Schließlich stieß sie einen Schmerzensschrei aus, während sie flehte:

»O nein, lieber Gott! Laß nicht zu, daß er sich diese Idee in den Kopf gesetzt hat. Bitte, lieber Gott…! Bitte!«

Ein feuriger Hauch fuhr ihr durch das Haar, und fast gleichzeitig brüllte ein Donner los, der mächtiger war als der Donner der schlimmsten Gewitter über dem Niger. Das ehedem so stolze holländische Schiff zerstob in eine riesige Feuerkugel.

Über tausend Krieger, die gerade noch Triumphgesänge angestimmt hatten, flogen in die Luft und stürzten ins Wasser, durch das sofort zahlreiche riesige Krokodile glitten. Kurz darauf färbte sich die aufgewühlte Strömung des großen Flusses rot mit Blut, während entstellte und zerfetzte Leichen und Leichenteile sachte an der Dama de Plata vorbeitrieben.

Erst jetzt verstand der Schamane Sakhau Ndu, warum die Feuer der Fregatte ihm in der Nacht zuvor von Schmerz, Niederlage und Tod gesprochen hatten, die Feuer der Galeone dagegen von Leben, Sieg und Freude.

JeanClaude Barriere stand auf dem höchsten Turm seiner majestätischen Festung und ließ sich vom Regen durchnässen, während er den Blick starr in die Ferne richtete und sich vergeblich auszumalen versuchte, was flußabwärts gerade passierte. Gleichzeitig spitzte er die Ohren, um zu hören, was die Trommeln von der wilden Schlacht berichteten, die mit dem ersten Licht des Morgenrots begonnen haben mußte.