Aber es donnerte heftig, und das Wasser klatschte wie wild auf die Blätter der Bäume. Das erstickte jedes andere Geräusch, als ob sich die Götter darin gefielen, ihm ein weiteres Mal zu zeigen, daß sie die einzigen Herren über das Schicksal von Männern waren, die sie mit einem einfachen Gewitter blind und taub machen konnten.
Dort, sehr nah, kaum einen halben Tagesmarsch vom Tor seiner geliebten Zitadelle entfernt, entschied sich das Schicksal seiner Herrschaft und seines eigenen Lebens, und dennoch hatte die absurde Laune eines idiotischen Gewitters, das zur unpassendsten Zeit kam, sein wohlorganisiertes Kommunikationssystem zum Erliegen gebracht, die Trommeln verstummen lassen und ihn daran gehindert, Befehle zu geben oder Nachrichten zu empfangen.
Er blickte auf die angespannte Miene der Kanoniere, die an den Lafetten standen und naß bis auf die Knochen waren. Die Mündungen der Geschütze hatte man mit dicken Stoffetzen verhüllt, damit kein Wasser hineinlief. Dann richtete er seinen Blick auf die fünfzig Reiter, die mit stolzer Gelassenheit unter der dunklen Markise des großen Innenhofs warteten.
Ihre Anwesenheit beruhigte ihn: Diese fanatischen Fulbe, tapfere Kämpfer und überzeugte Moslems, hatten sich sein Vertrauen über viele Jahre hinweg verdient. Daher waren sie zu seiner treuen Leibgarde geworden, von der er sich niemals trennte.
Er wußte, solange sie in seiner Nähe waren, hatte er nichts zu fürchten, denn wenn ein Fulbe einer »Geißel der Ungläubigen« den Treueschwur geleistet hatte, dann gab er für diesen Mann sein Leben hin, egal, wie die Umstände waren.
Eine Stunde verging.
Es regnete.
Eine weitere.
Es regnete noch immer.
Und die dritte.
Das Gewitter zog allmählich nach Westen.
Aber es regnete noch immer.
Schließlich tauchte ein schneeweißes Pferd mit einem pechschwarzen Reiter auf.
Es war ein Fulbe, kein Zweifel, denn nur ein Fulbe, der daran gewohnt war, in der Wüste zu reiten, konnte so galoppieren.
MulayAli, allmächtiger König vom Niger, Herr über das Leben und den Besitz von vielen tausend Menschen, bemühte sich, seine Eleganz zu wahren, als er die steilen Stufen hinunterstieg, um etwas vor dem atemlosen Reiter den Innenhof zu erreichen.
»Was ist geschehen?« wollte er wissen, als der Reiter knapp zwei Meter vor ihm zum Stehen kam.
Der Mann, dessen schweißüberströmtes Antlitz und aus den Höhlen tretende Augen die Größe seines Entsetzens und seiner Erschöpfung zeigten, warf ihm einen langen verächtlichen Blick zu, spuckte aus und knurrte:
»Allah möge dich verfluchen! Sie sind tot!«
»Tot?« wiederholte der Mulatte ungläubig. »Wie viele?«
»Alle!«
»Alle?« fragte er entsetzt. »Wie ist das möglich?«
»Frag das den Weisen des Feuers!« lautete die barsche Antwort. »Vielleicht wissen es sein Götzen.«
Ohne einen Fuß auf die Erde zu setzen, sprang er auf ein frisches Pferd, dem er wie wild die Sporen gab, während er ausrief:
»Wir brechen auf!«
Die fünfzig Reiter folgten ihm, und einige Minuten später waren sie nur noch ein bunter Fleck, der sich in der Ferne, Richtung Norden, verlor.
Als hätte dieser Befehl nicht nur den Fulbe gegolten, sondern allen, den Wachen, Dienern und Kanonieren, beeilten sie sich, ihre Posten zu verlassen, überstürzt flußaufwärts zu fliehen und sich so weit wie möglich von den weißen Dämonen zu entfernen, die in der Lage gewesen waren, auf einen Schlag über tausend gut bewaffneter Krieger auszulöschen.
JeanClaude Barriere machte keinerlei Anstalten, sie zurückzuhalten.
Er wußte sehr gut, daß alles vorbei war.
Und das hatte er schon gewußt, bevor der Reiter am Horizont aufgetaucht war, sogar lange bevor seine Truppen aufgebrochen waren, um dem Feind entgegenzutreten; denn von dem Augenblick an, als er den Palast von Sakhau Ndu verlassen hatte, war ihm völlig klar gewesen, daß seine Zeit vorbei war und seine Augen das Lächeln des neuen Monds nicht mehr sehen würden.
Er verließ den Innenhof, um auf seinem großen Thron aus Gold und Elfenbein Platz zu nehmen. Dort oben hatte er früher gern die Huldigungen der Kleinkönige entgegengenommen.
Er war allein.
So allein, wie es sein Vater in der dunklen Zisterne gewesen sein mußte, während er den Tod erwartete, wie ihn alle erwarteten, die in diesem Leben nur Geld und Macht gescheffelt hatten.
Sein Königreich, das er auf dem Fundament von vielen tausend Toten errichtet hatte, war in einem einzigen Augenblick zusammengebrochen, die Menschen haßten ihn, die Götter verachteten ihn, und er besaß nicht einmal so viel Mut, um sich eine Waffe zu holen und sich eine Kugel in den Kopf zu schießen.
Er schloß die Augen und versuchte, sich mit der Erinnerung an die magischen Augenblicke seiner ruhmvollen Jahre zu trösten.
Viele waren es nicht gewesen, dafür aber sehr intensive.
Man hatte ihm Reichtümer, Frauen und Macht im Übermaß zugestanden, und das war etwas, wovon ein elender Mulatte nicht einmal zu träumen gewagt hätte, der Sohn einer Sklavin, der anfänglich dazu verdammt schien, den größten Teil seines Lebens in Ketten zu verbringen.
Es hatte sich gelohnt.
Lüge, Raub, Mord, Verrat, Sklaverei, Folter und Vergewaltigung: Alles hatte sich gelohnt, wenn man damit das erreichte, was er erreicht hatte. Nur die alten Götter seiner Rasse hätte er nicht verleugnen dürfen. Denn was man den Menschen antut, ist in dem Augenblick vergessen, wenn diese Menschen sterben, aber die Götter sterben niemals, und ihre Rache währt tausend Jahre.
Und jetzt hatten diese Götter sein Heer ausgelöscht.
»Elegba, Elegba…!« rief er innerlich aus. »Warum hast du mich angespuckt?«
Ein Geräusch alarmierte ihn, er schlug die Augen auf und sah in die strengen Augen von dreißig Frauen.
»Was sucht ihr?« fragte er müde.
»Rache.«
Er lächelte verächtlich.
»Ich bin zu wenig, um euch alle zufriedenzustellen«, murmelte er, als wolle er sich über sich selbst lustig machen. »Ich habe nur ein Leben. Wer will es mir nehmen?«
»Wir wollen dein Leben nicht«, erwiderte die stolze Frau, die sie anzuführen schien. »Dein Leben ist nichts wert. Wir wollen deinen Geruch.«
»Meinen Geruch?« fragte er verwundert, obwohl ihn unter diesen Umständen eigentlich nichts mehr überraschen konnte. »Was ist so besonders an meinem Geruch?«
»Daß er der Geruch von verbranntem Fleisch ist«, lautete die seltsame Antwort. »Der Geruch, der mich jedesmal heimsuchte, wenn deine Männer meine Söhne markierten.« Yadiyadiara zeigte ihm das rotglühende Eisen, das sie hinter ihrem Rücken versteckt hatte. »Erkennst du es wieder?« fragte sie. »Erinnerst du dich daran, wie viele tausend Male du es gegen wehrlose verschreckte Kinder eingesetzt hast?«
In diesem Augenblick verstand JeanClaude Barriere, was ihm der Schamane über seinen schrecklichen Tod hatte sagen wollen, aber selbst jetzt hatte er nicht die Kraft, seinem Schicksal einen Streich zu spielen. Er ließ zu, daß ihm vier Frauen die Arme festhielten, während die rachsüchtige Yadiyadiara ihn mit seinem eigenen Eisen auf der Brust markierte.
Er biß die Zähne zusammen und sog, näher als jemals zuvor, den vertrauten Gestank verbrannten Fleisches ein, den er so oft in den Zeiten seines Ruhms gerochen hatte.
Seine Leute mit einer Krone und seinem Initial zu markieren hatte er stets als bestialische, aber wirksame Methode angesehen, um seine Macht zu bekräftigen und dafür zu sorgen, daß sein Name selbst am anderen Ufer des Ozeans anerkannt, gehaßt und gefürchtet wurde. Stets war er zutiefst stolz darauf gewesen, daß Tausende von Menschen sich bis zum Tag ihres Todes an ihn erinnern würden und sein Brandzeichen mit ins Grab nehmen würden.
Und jetzt war er der Gebrandmarkte.