So endete die Predigt. Barrent erwachte sofort, als die geheiligten Symbole herausgebracht und der ehrfurchtsvollen Gemeinde dargereicht wurden - ein Dolch mit einem roten Griff und der Gipsabdruck einer Kröte. Während des langsamen Beschreibens des magischen Fünfecks schlief er wieder ein.
Schließlich näherte sich die Zeremonie ihrem Ende. Die Namen der bösen Dämonen wurden verlesen - Bael, Forcas, Buer, Marchocias, Astaroth und Behemoth. Ein Gebet wurde aufgesagt, um die Wirkung des Guten zu verscheuchen. Und
Onkel Ingemar entschuldigte sich dafür, daß er keine Jungfrau zur Verfügung hatte, um sie auf dem roten Altar zu opfern.
»Unsere Fonds reichen nicht aus«, sagte er, »um eine von der Regierung bestätigte Peon-Jungfrau zu erwerben. Ich bin jedoch sicher, daß wir die volle Zeremonie am nächsten Montag nachholen können. Mein Assistent wird jetzt zu Ihnen kommen... «
Der Assistent reichte den schwarzumränderten Sammelteller herum. Wie die anderen Anwesenden spendete Barrent großzügig.
Es schien klug, das zu tun. Onkel Ingemar war offensichtlich sehr verärgert, daß er keine Jungfrau zum Opfern hatte. Wenn sich sein Zorn noch verstärkte, könnte er es sich in den Kopf setzen, irgend jemanden aus der Gemeinde zu opfern, ganz gleich, ob Jungfrau oder nicht...
Barrent blieb nicht zum Chorsingen und zum Gemeinschaftstanz.
Als der offizielle Gebetsteil des Abends vorüber war, steckte er vorsichtig den Kopf durch den Türspalt nach draußen. Die Temperatur war wieder stark gestiegen, das Eis war inzwischen schon getaut. Barrent schüttelte dem Priester die Hand und eilte heimwärts.
Barrent hatte fürs erste genug von den Schrecken und Überraschungen, die Omega zu bieten hatte. Er entfernte sich kaum von seinem Laden, arbeitete im Geschäft und hielt die Augen offen.
Allmählich gewann er den für Omega typischen Blick: ein schmales, argwöhnisches Blinzeln, eine Hand stets nahe dem Abzug, die Füße bereit zum Sprinten. Wie die älteren Bewohner entwickelte er einen sechsten Sinn für Gefahren.
Des Nachts, wenn alle Türen und Fenster fest verschlossen waren, lag er auf seinem Bett und versuchte sich an die Erde zu erinnern. Er erforschte die entlegensten Winkel seines
Gedächtnisses und fand dort quälende Hinweise und Andeutungen, Teile von Bildern. Er sah eine breite Straße, die im Licht der Sonne lag; Teile einer ungeheuer großen, vielstöckigen Stadt; die genaue Ansicht des Rumpfes von einem Raumschiff. Aber diese Bilder waren nicht stabil. Sie tauchten für Bruchteile von Sekunden auf und verschwanden wieder.
Den Samstagabend verbrachte Barrent mit Joe, Danis Foeren und seinem Nachbarn Tem Rend. Joes Pokerspiel hatte Erfolg gehabt, und er war zu einem freien Bürger aufgerückt. Foeren war zu gerade und zu plump dazu; er war noch nicht aufgestiegen.
Aber Tem Rend versprach, den grobschlächtigen Fälscher als Assistenten anzustellen, sobald die Mordgilde seinen Antrag annahm.
Der Abend begann sehr gemütlich, aber er endete, wie gewöhnlich, mit einer Diskussion über die Erde.
»Wir alle wissen, wie die Erde aussieht«, begann Joe. »Sie setzt sich aus vielen gigantischen schwimmenden Städten zusammen.
Sie sind auf künstliche Inseln gebaut, in den verschiedensten Meeren -«
»Nein, die Städte befinden sich auf dem Land«, wandte Barrent ein.
»Auf dem Wasser«, widersprach Joe. »Die Menschen der Erde sind ins Meer zurückgekehrt. Jeder trägt besondere Sauerstoffmasken, um im Salzwasser atmen zu können. Die Landgebiete werden überhaupt nicht mehr benutzt. Die See stellt alles zur Verfügung, was -«
»Das kann nicht stimmen«, unterbrach ihn Barrent. »Ich erinnere mich an gewaltige Städte, aber sie waren alle auf dem Festland.«
»Ihr habt beide nicht recht«, mischte sich Foeren ein. »Was sollte die Erde schon mit Städten anfangen? Sie hat sie schon vor vielen Jahrhunderten aufgegeben. Die Erde ist heute wie ein großer Park. Jeder besitzt sein Haus mit einigen Morgen Land ringsherum.
Die Wälder und Dschungel dürfen sich wieder frei entwickeln.
Die Menschen leben mit der Natur, anstatt sie zu erobern.
Stimmt das etwa nicht, Tem?«
»Fast, aber doch nicht ganz«, antwortete Tem Rend. »Es gibt zwar noch Städte, aber sie befinden sich unter der Oberfläche. Es sind gewaltige unterirdische Fabriken und Industriegebiete.«
»Es gibt überhaupt keine Fabriken mehr«, sagte Foeren hartnäckig. »Man braucht sie nicht mehr. Alle Güter, die der Mensch benötigt, können durch Gedankenkontrolle produziert werden.«
»Und ich sage euch, daß ich mich gut an die schwimmenden Städte erinnere«, begann Joe wieder von vorne. »Ich habe im Nimui-Gebiet gelebt, auf der Insel Pasephae.«
»Soll das etwa ein Beweis sein?« fragte Rend. »Ich erinnere mich, daß ich im achtzehnten Stockwerk unter der Erde gearbeitet habe - in Nueva Chicaga. Meine Arbeitsquote war zwanzig Tage im Jahr. Die übrige Zeit verbrachte ich draußen, in den Wäldern -«
»»Aber das kann nicht stimmen, Tem«, setzte sich Foeren wieder ein. »Es gibt keine unterirdischen Stockwerke. Ich bin ganz sicher, daß mein Vater ein Kontrolleur war - dritter Klasse.
Meine Familie zog in einem Jahr mehrere hundert Meilen durchs Land. Wenn wir irgend etwas brauchten, dachte es mein Vater einfach herbei, und schon war es da. Er versprach mir, es mir auch beizubringen, aber anscheinend ist es nie dazu gekommen.«
»Jedenfalls scheinen einige von uns völlig falsche
Erinnerungen und Vorstellungen zu haben«, sagte Barrent.
»Das ganz gewiß«, stimmte Joe zu. »Fragt sich nur, wer recht hat.«
»Das werden wir nie herauskriegen«, bemerkte Rend. »Es sei denn, wir kämen zurück zur Erde.«
Das machte der Diskussion ein Ende.
Gegen Ende der Woche erhielt Barrent eine weitere Einladung des Traumladens, diesmal noch bestimmter abgefaßt als das erstemal. Er entschloß sich, noch am gleichen Abend dieser Pflicht Genüge zu tun. Er prüfte die Temperatur und stellte fest, daß sie stark gestiegen war. Klüger geworden, packte er einen kleinen Beutel voll Kaltwetterkleidung ein und machte sich auf den Weg
Der Traumladen lag im exklusiven Tod-Viertel. Barrent ging hinein und betrat einen kleinen, prächtig ausgestatteten Raum. Ein schlanker junger Mann hinter einem polierten Schreibtisch lächelte ihm gekünstelt zu.
»Kann ich etwas für Sie tun?« fragte er Barrent. »Ich heiße Nomis J. Arkdragen und bin der Assistent des Managers für Nachtträume.«
»Ich möchte gern einiges erfahren«, sagte Barrent, »wie man Träume bekommt, welche Art von Träumen und all diese Dinge.«
»Natürlich«, antwortete Arkdragen. »Unsere Tätigkeit kann leicht erklärt werden, Bürger -«
»Barrent. Will Barrent.«
Arkdragen nickte und hakte einen Namen auf der Liste vor ihm an. Er blickte wieder auf und fuhr fort: »Unsere Träume werden durch die Wirkung einer Droge auf das Gehirn und die zentralen Nervenzellen produziert. Es gibt viele Drogen, die den gewünschten Erfolg tätigen. Die nützlichsten sind Heroin, Morphium, Opium, Coca, Hanf und dergleichen. All dies sind
Produkte der Erde. Aber es gibt auch eine andere Gruppe, die nur auf Omega produziert wird. Alle bewirken jedoch Träume.«
»Ich verstehe«, sagte Barrent. »Dann verkaufen Sie also Drogen.«