»Ganz und gar nicht!« rief Arkdragen aus. »Nicht etwas so Einfaches, etwas so Gewöhnliches! In alten Zeiten pflegten sich manche Menschen auf der Erde selbst Drogen zuzuführen. Die sich daraus ergebenden Träume waren willkürlich. Man konnte nie voraussagen, worüber man träumen würde oder wie lange.
Man wußte nie, ob es ein Traum oder ein Alptraum sein würde, ob man Schrecken oder Entzücken erfahren würde. Der moderne Traumladen hat diese Ungewißheit ausgeschaltet. Heutzutage sind unsere Drogen sorgfältig abgewogen, gemischt und auf jeden Verbraucher genauestens abgestimmt. Die Traumerzeugung ist eine absolut exakte Wissenschaft, sie ist präzise und reicht von der nirvanaartigen Ruhe des Schwarzen Schlüpfers über die vielfarbigen Halluzinationen des Tri-Narkotikums bis zu den sexuellen Phantasien, die durch Morphium hervorgerufen werden; und natürlich gibt es auch die Erinnerungen hervorrufende Gruppe der Carmoide.«
»An den Erinnerungsträumen bin ich sehr interessiert«, sagte Barrent.
Arkdragen runzelte die Stirn. »Für das erstemal würde ich gerade das nicht empfehlen.«
»Warum nicht?«
»Träume über die Erde sind naturgemäß aufregender als jede andere imaginäre Produktion. Es ist für gewöhnlich ratsam, erst allmählich etwas aufzubauen. Ich würde Ihnen eine nette kleine sexuelle Spielerei für den ersten Besuch empfehlen. Gerade diese Woche haben wir noch dazu Sonderpreise für Sexualträume.«
Barrent schüttelte den Kopf. »Ich ziehe die echten Dinge vor.«
»Das würden Sie nicht mehr sagen, nachdem Sie unsere Produkte gesehen haben«, erwiderte Arkdragen mit einem wissenden Lächeln. »Glauben Sie mir, wenn man sich erst mal an diese gespielten Erlebnisse gewöhnt hat, erscheint einem das persönliche Erlebnis nur noch höchst fad und blaß beim Vergleich.«
»Kein Interesse«, sagte Barrent. »Ich will einen Traum über die Erde.«
»Aber Sie haben ja noch gar keine Erfahrung, Sie haben sich noch nie dem Rausch hingegeben!« rief Arkdragen
»Ist die Gewöhnung daran denn eine Voraussetzung?«
»Sie ist wichtig!« erklärte ihm der Assistent. »Alle unsere Drogen sind gewohnheitsfördernd, wie es das Gesetz vorschreibt. Sehen Sie, um eine Droge wirklich zu schätzen, muß man ein Bedürfnis danach heranziehen. Das erhöht das Vergnügen enorm. Deshalb schlage ich vor, daß Sie mit =«
»Ich möchte einen Traum über die Erde«, beharrte Barrent.
»Na, schön«, lenkte der Assistent widerwillig ein. »Aber wir sind nicht für ein Trauma, das daraus erwachsen könnte, verantwortlich. «
Er führte Barrent in einen langen Gang. An den Seiten befanden sich dicht nebeneinander Türen, und Barrent konnte dumpfe Ausrufe und Seufzer des Entzückens und Vergnügens vernehmen.
»Tester«, erklärte Arkdragen, ohne weiter darauf einzugehen
Er geleitete Barrent zu einem offenen Raum am Ende des Korridors. Darin saß ein freundlicher Mann mit einem Bart und einem weißen Kittel und las.
»Guten Abend, Doktor Wayn«, sagte Arkdragen. »Das ist Bürger Barrent. Erster Besuch. Er besteht auf einem Traum über die Erde.« Arkdragen drehte sich um und verließ den Raum.
»Nun«, bemerkte der Doktor, »das läßt sich, glaube ich, schon einrichten.« Er legte das Buch beiseite. »Strecken Sie sich da drüben aus, Bürger Barrent.«
In der Mitte des Zimmers stand ein langer, verstellbarer Tisch.
Darüber hing ein kompliziert aussehendes Instrument. Am Ende des Raums befanden sich Fächer aus Glas, in denen viereckige Behälter standen. Sie erinnerten Barrent an seine Antidote.
Er legte sich nieder. Doktor Wayn nahm an ihm eine allgemeine Untersuchung vor. Dann prüfte er seine Anpassungsfähigkeit, seinen hypnotischen Index, seine Reaktionen auf die elf grundsätzlichen Drogengruppen und seine Empfindlichkeit für epileptische Anfälle. Er notierte die Ergebnisse auf einem Block, überprüfte die Werte, ging zu den Fächern und begann verschiedene Pulver und Drogen zu mixen.
»Könnte es gefährlich sein?« fragte Barrent.
»Eigentlich nicht«, sagte der Doktor. »Sie scheinen ziemlich gesund. Man könnte sagen, sehr gesund sogar, mit einer starken Willenskraft. Selbstverständlich kommen epileptische Anfälle immer mal vor, wahrscheinlich wegen der sich steigernden allergischen Reaktionen. Dagegen kann man nichts machen. Und dann gibt es natürlich noch die Traumen, die manchmal in Wahnsinn oder Tod enden. Sie sind für Studienzwecke äußerst interessant.
Es kommt auch vor, daß sich einer an die Träume klammert und sich nicht mehr losreißen kann. Ich schätze, dies könnte man auch als eine Art Wahnsinn bezeichnen, obgleich es das eigentlich nicht ist.«
Der Doktor war mit dem Mischen fertig. Er füllte das Produkt in eine Spritze. Barrent waren inzwischen ernsthafte Zweifel an dem ganzen Unternehmen gekommen.
»Vielleicht sollte ich meinen Besuch doch noch etwas hinausschieben«, sagte er. »Ich bin nicht sicher, ob ich -«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte ihn der Doktor.
»Dies hier ist der beste Traumladen auf Omega. Entspannen Sie sich. Verkrampfte Muskeln können zu ernsthaften Schäden führen.«
»Ich glaube, Mister Arkdragen hatte recht«, versuchte es Barrent von neuem. »Vielleicht sollte ich wirklich nicht gleich beim erstenmal einen Traum über die Erde wählen. Er meinte, es sei gefährlich.«
»Na, und wenn schon«, antwortete der Doktor, »was wäre das Leben ohne ein kleines Risiko? Übrigens sind die am häufigsten auftretenden Schäden Gehirnverletzungen und geplatzte Blutgefäße. Und wir sind bestens darauf eingerichtet, mit diesen Dingen fertig zu werden.«
Er führte die Spritze an Barrents linken Arm.
»Ich habe meine Meinung geändert«, sagte Barrent und machte sich daran aufzustehen. Doktor Wayn stieß die Nadel tief in Barrents Arm.
»Man ändert seine Meinung nicht in einem Traumladen«, erklärte er Barrent. »Versuchen Sie sich zu entspannen...«
Barrent entspannte sich. Er lehnte sich im Bett zurück und hörte in seinen Ohren ein schrilles Singen. Er versuchte, seinen Blick fest auf das Gesicht des Doktors zu richten. Aber das Gesicht hatte sich verändert. Das Gesicht war alt, rund und fleischig. An Kinn und Hals hingen Fettsäcke. Das Gesicht schwitzte, freundlich, besorgt.
Es war das Gesicht von Barrents Berater des fünften Semesters.
»Du mußt vorsichtig sein, Will«, sagte der Berater. »Du mußt lernen, dich zu beherrschen. Du mußt, Will!«
»Ich weiß, Sir«, antwortete Barrent. »Es ist nur, weil ich so eine Wut auf -«
»Will!«
»Schon gut«, sagte Barrent. »Ich werde auf mich aufpassen.«
Er verließ das Büro der Universität und ging in die Stadt. Es war eine phantastische Stadt mit Wolkenkratzern und vielstöckigen Straßen, eine schillernde Stadt aus silbernen und glitzernden Farben, eine betriebsame Stadt, die ein weitverbreitetes Netz von Nationen und Planeten verwaltete. Barrent ging den dritten Fußgängerweg entlang. Er war noch immer wütend. Er dachte an Andrew Therkaler.
Wegen Therkaler und seiner lächerlichen Eifersucht war Barrents Bewerbung für das Raumforschungsteam abgelehnt worden.
Sein Berater konnte nichts für ihn tun; Therkaler hatte zu großen Einfluß auf die Ernennungsbehörde. Es würden drei volle Jahre vergehen, bis Barrent sich wieder bewerben konnte. Inzwischen aber war er dazu verdammt, auf der Erde zu bleiben und noch dazu ohne Beschäftigung. Sein ganzes Studium hatte der extraterrestrischen Forschung gegolten. Auf der Erde war kein Platz für ihn, und jetzt war ihm der Weg in den Raum versperrt.
Therkaler!
Barrent verließ den Fußweg und nahm die Hochgeschwindigkeitsrampe zum Sante-Distrikt. Dabei umfaßte er die kleine Waffe in seiner Tasche. Handwaffen waren auf der Erde verboten.
Er hatte diese durch nicht nachprüfbare Quellen bekommen
Er war entschlossen, Therkaler zu töten.