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Und er dachte viel an die Erde. Seit seinem Besuch im Traumladen kamen ihm zuweilen kurze Erinnerungsblitze, unzusammenhängende Bilder von einem verwitterten Steinhaus, eine Gruppe von Eichen, die Biegung eines Flusses, die durch Weidenzweige hindurchschimmerte. Diese verschwommenen Erinnerungsbilder von der Erde erfüllten ihn mit fast unerträglicher Sehnsucht. Wie bei den meisten Bewohnern von Omega bestand sein einziger wirklicher Wunsch darin, nach Hause zurückzukehren.

Und gerade das war unmöglich

Die Tage vergingen, und wenn sich Schwierigkeiten auftaten, dann immer völlig unerwartet. Eines Nachts erklang lautes Pochen an seiner Tür. Vom Schlaf noch ganz benommen, öffnete Barrent. Vier Männer in Uniform stießen die Tür weit auf und erklärten ihn für verhaftet.

»Aus welchem Grund?« fragte Barrent.

»Nichtanpassung an Drogen«, antwortete einer der Männer.

»Sie haben drei Minuten Zeit, sich anzukleiden.«

»Was ist die Strafe dafür?«

»Das werden Sie vor Gericht erfahren«, erklärte der Mann. Er winkte den beiden anderen und fügte hinzu: »Die einzige Art, einen Nichtsüchtigen zu heilen, ist Mord. Was?«

Barrent zog sich an.

Man führte ihn in einen Raum der weitläufigen Justizbehörde. Der Raum trug den Namen Känguruh-Gericht, zu Ehren alter angelsächsischer Rechtsabwicklung. Auf der gegenüberliegenden Seite der Halle befand sich die Sternenkammer. Gleich dahinter war das Gericht zur letzten Berufung.

Der Känguruh-Hof war durch eine hohe Holzwand in zwei Teile geteilt, denn auf Omega durfte der Angeklagte weder seinen Richter noch die Zeugen gegen ihn sehen.

»Der Angeklagte soll sich erheben«, ertönte eine Stimme hinter der Wand. Die Stimme war dünn, gleichmäßig und ausdruckslos und kam aus einem kleinen Lautsprecher. Barrent konnte die Worte kaum verstehen. Ton und Ausdruck waren ausgeschaltet auch das war bewußt geschehen. Selbst in der Sprache sollte der Richter anonym bleiben

»Will Barrent«, sagte der Richter, »Sie sind wegen eines Hauptvergehens, der Nichtanpassung an Rauschdrogen, und eines kleineren Vergehens, der religiösen Vernachlässigung, vor dies Gericht gestellt. Für das kleinere Vergehen haben wir die beschworene Zeugenaussage eines Priesters, für das Hauptvergehen die Zeugenaussage des Traumladens. Können Sie eine der beiden oder beide Anschuldigungen widerlegen?«

Barrent dachte einen Moment nach und sagte dann: »Nein, Sir, das kann ich nicht.«

»Im Moment«, fuhr der Richter fort, »kann Ihnen die Strafe für die religiöse Vernachlässigung erlassen werden, da es die erste Anklage dieser Art ist. Aber die Nichtsucht ist eines der Hauptvergehen gegen den Staat Omega. Die ununterbrochene

Benutzung von Rauschgift ist ein obligatorisches Vorrecht jedes freien Bürgers. Es ist allgemein bekannt, daß Vorrechte ausgenutzt werden müssen, sonst gehen sie verloren. Unsere Privilegien zu verlieren wäre gleichbedeutend mit dem Verlust des Grundsteins unserer Freiheit. Deshalb kommt die Vernachlässigung oder die Nichtinanspruchnahme eines Privilegs hohem Verrat gleich.«

Es entstand eine Pause. Die Wachen scharrten unruhig mit den Füßen. Barrent, der seine Situation als hoffnungslos betrachtete, stand aufrecht da und wartete.

»Drogen dienen vielen Zwecken«, fuhr der unsichtbare Richter erklärend fort. »Ich brauche wohl nicht ihre erstrebenswerten Qualitäten für den Benutzer aufzuzählen. Aber vom Gesichtspunkt des Staates aus betrachtet, will ich hervorheben, daß eine süchtige Bevölkerung eine loyale ist. Außerdem sind Drogen eine Haupteinnahmequelle der Steuern; sie veranschaulichen im Grunde unsere gesamte Lebensart. Hinzu kommt, daß Nichtsüchtige sich ohne Ausnahme als feindlich gegenüber den Institutionen auf Omega gezeigt haben. Ich gebe diese lange Erklärung ab, damit Sie die Strafe, die Ihnen auferlegt wird, besser verstehen können, Will Barrent.«

»Sir«, sagte Barrent, »ich habe falsch gehandelt, als ich die Drogen mied. Ich möchte mich nicht mit Unkenntnis der Lage entschuldigen, denn ich weiß, daß das Gesetz diese Entschuldigung nicht anerkennt. Aber ich bitte Sie ergebenst um eine weitere Chance. Ich bitte Sie zu bedenken, daß für mich noch immer die Möglichkeit besteht, süchtig zu werden und mich zu rehabilitieren.«

»Das Gericht erkennt das an«, antwortete der Richter. »Aus diesem Grund freut es sich, rechtliche Gnade im vollsten Ausmaß walten zu lassen. Anstatt totaler Hinrichtung dürfen Sie zwischen zwei geringeren Strafarten wählen. Die erste besagt, daß Sie wegen Ihres Verbrechens gegen den Staat die rechte Hand und das linke Bein verlieren sollen, aber nicht das Leben.«

Barrent schluckte und fragte: »Und die zweite Art, Sir?«

»Die zweite ist keine Strafe. Sie können sich einer Prüfung der höheren Mächte unterziehen. Und wenn Sie diese Prüfung überleben, werden Sie in der Gesellschaft wieder mit angemessenem Rang und geeigneter Stellung aufgenommen werden.«

»Ich unterziehe mich dieser Prüfung«, sagte Barrent.

»Sehr gut«, antwortete der Richter. »Der Fall läuft also weiter.«

Barrent wurde aus dem Raum geführt. Hinter sich hörte er ein rasch wieder unterdrücktes Lachen eines der Wachtposten. Hatte er falsch gewählt? Konnte eine solche Prüfung schlimmer sein als eine direkte Verstümmelung?

Auf Omega, so erzählte man sich wenigstens, konnte man zwischen ein Gerichtsverfahren und die Ausführung des Urteils nicht einmal die Klinge eines Messers schieben. Barrent wurde sofort in einen großen, runden, mit Steinen ausgemauerten Saal geführt. An der hohen, gebogenen Decke hingen weiße Lampen. Darunter befand sich eine Öffnung in der Wand, die eine Tribüne für Zuschauer enthielt. Die Tribüne war fast voll, als Barrent in den Raum trat. Ausgaben des gerichtlichen Tageskalenders wurden verkauft.

Einen kurzen Augenblick stand Barrent allein auf dem Steinboden. Dann glitt eine Öffnung in der Steinwand zurück, und eine kleine Maschine rollte herein.

Ein Lautsprecher nahe der Zuschauerrampe ertönte: »Meine Damen und Herren, Ihre Aufmerksamkeit, bitte! Sie erleben jetzt den Ausscheidungskampf Ö42-BG223 zwischen Bürger Will Barrent und GME 213. Nehmen Sie Ihre Plätze ein! Der Kampf beginnt in wenigen Minuten.«

Barrent betrachtete seinen Gegner. Es war eine glitzernde schwarze Maschine von der Form einer Halbkugel, die fast eineinhalb Meter hoch war. Unruhig rollte sie auf kleinen

Rädern vor und zurück. Ein Muster von roten, grünen und bernsteinfarbenen Lichtern aus vertieften Glasbirnen flackerte über ihre glatte Metalloberfläche. In Barrent weckte sie die Erinnerung an ein Meereswesen von der Erde.

»Für jene, die unsere Galerie zum erstenmal besuchen«, fuhr der Lautsprecher fort, »geben wir eine kurze Erklärung ab. Der Gefangene Will Barrent hat diese Prüfung aus freien Stücken gewählt. Das Instrument der Gerechtigkeit, in diesem Fall GME 213, ist ein Beispiel bester schöpferischer Ingenieurkunst, die Omega hervorgebracht hat. Die Maschine - oder Max, wie viele ihrer Freunde und Bewunderer sie nennen - ist eine Mordwaffe von exemplarischer Tüchtigkeit; sie ist fähig, nicht weniger als dreiundzwanzig verschiedene Mordarten auszuüben, viele davon sind äußerst schmerzhaft. Zum Zwecke eines Ausscheidungskampfes ist sie darauf eingestellt, nach zufälligen Prinzipien zu operieren. Das bedeutet, daß Max keine Wahl über die Methode des Tötens hat. Die Formen sind ausgewählt und nach einem Randomgesetz von dreiundzwanzig verschiedenen Zahlen eingebaut, das an eine Random-Zeiteinheit von einer bis zu sechs Sekunden angeschlossen ist.«

Max bewegte sich plötzlich auf die Mitte des Raumes zu; Barrent wich zurück.

»Es liegt in der Macht des Gefangenen, die Maschine außer Funktion zu setzen; in diesem Fall gewinnt der Gefangene den Kampf und erlangt die vollen Rechte seines Ranges und seiner Stellung zurück. Die Methode, die Maschine außer Funktion zu setzen, ändert sich von Typ zu Typ. Theoretisch ist es für einen Gefangenen immer möglich zu gewinnen. Die Praxis zeigt, daß es einem Durchschnitt von 3,5 Prozent gelingt.«