analysierte, die Leistung des einzelnen anspornte und stärkte. Es war eine Gesellschaft, in der ein Gesetzesbrecher ein Held war; eine Gesellschaft, die Verbrechen nicht nur entschuldigte,
sondern auch bewunderte und sogar belohnte; eine Gesellschaft, in der die Mißachtung der festen Regeln allein am Grad ihres Erfolges gemessen wurde. All das resultierte aus dem Paradoxon einer kriminellen Gesellschaftsordnung mit absoluten Gesetzen, die dazu da waren, gebrochen zu werden.
Noch immer hinter der Wand versteckt, erklärte der Richter all dies Barrent. Seit der Beendigung des Wettkampfes waren mehrere Stunden verstrichen, Barrent war in ein Krankenzimmer geschafft worden, wo man seine Wunden verbunden hatte. Sie waren im großen und ganzen unbedeutend; zwei angebrochene Rippen, eine tiefe Fleischwunde in der linken Schulter und etliche Schnitte und Schrammen
»Demgemäß muß das Gesetz gleichzeitig gebrochen und eingehalten werden«, fuhr der Richter fort. »Wer nie ein Gesetz bricht, kann im Rang auch nicht höher steigen. Er wird gewöhnlich auf die eine oder andere Art getötet, da ihm die notwendige Initiative fehlt, um sich zu behaupten. Für jene wie Sie, die das Gesetz mißachten, verhält sich die Sache etwas anders. Das Gesetz straft sie mit aller Härte - es sei denn, es gelingt ihnen, sich aus der Schlinge zu ziehen.«
Der Richter machte eine Pause. Dann fuhr er mit nachdenklicher Stimme fort: »Auf Omega steht derjenige am höchsten, der das Gesetz versteht, seine Notwendigkeit anerkennt, sich der Strafen für eine Übertretung bewußt ist, sie dann begeht - und darin erfolgreich bleibt! Das, mein Herr, ist der ideale Verbrecher und der ideale Einwohner von Omega. Und genau als das haben Sie sich erwiesen, Will Barrent, indem Sie den Wettkampf gewannen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Barrent.
»Ich möchte, daß Sie mich recht verstehen«, bemerkte der Richter weiter. »Das Gesetz einmal mit Erfolg überschritten zu haben, heißt noch lange nicht, daß es beim zweitenmal auch gelingt. Die Chancen sprechen dagegen - je öfter man es versucht, um so härter werden die Strafen, aber um so höher ist auch die Auszeichnung, die beim Gelingen verliehen wird. Deshalb warne ich Sie auch, Ihr neu errungenes Wissen überstürzt anzuwenden.«
»Ich werde mich vorsehen«, antwortete Barrent.
»Sehr gut. Hiermit werden Sie in den Stand eines PrivilegBürgers erhoben - mit allen Rechten und Pflichten, die das mit sich bringt. Sie dürfen Ihr Geschäft wie bisher weiterführen. Außerdem erhalten Sie eine Woche Ferien in der WolkenseeRegion
Sie dürfen diese Ferien mit einer Frau nach Ihrer eigenen Wahl verleben.«
»Wie bitte?« fragte Barrent. »Was war das letzte?«
»Eine Woche Ferien«, wiederholte der Richter, »mit einer
Frau, die Sie selbst wählen dürfen. Das ist eine hohe Belohnung, da es auf Omega sechsmal so viel Männer wie Frauen gibt. Sie dürfen sich irgendeine unverheiratete Frau aussuchen, ob sie mag oder nicht. Ich gebe Ihnen drei Tage, Ihre Wahl zu treffen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Barrent. »Ich möchte das Mädchen, das in der ersten Reihe auf der Zuschauertribüne gesessen hat. Das Mädchen mit schwarzem Haar und grünen Augen. Wissen Sie, wen ich meine?«
»Ja«, antwortete der Richter langsam. »Ich weiß, wen Sie meinen. Sie heißt Moera Ermais. Ich schlage vor, Sie wählen jemand anders.«
»Besteht dazu ein Grund?«
»Nein. Aber Sie wären besser beraten, wenn Sie jemand anders aussuchten. Mein Assistent wird Ihnen gern eine Liste geeigneter junger Damen vorlegen. Alle haben den Vorzug, gut auszusehen.
Manche haben eine Prüfung am Fraueninstitut abgelegt, das, wie Sie vielleicht wissen, einen umfassenden Kursus über die Kunst und Wissenschaft der Geishas abhält. Ich persönlich kann Ihnen ganz besonders -«
»Ich möchte Moera«, unterbrach ihn Barrent.
»Junger Mann, Sie machen einen Fehler.«
»Das muß ich riskieren.«
»Also gut«, gab der Richter nach, »Ihre Ferien beginnen morgen früh um neun Uhr. Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Glück.«
Wachen geleiteten ihn aus dem Gerichtssaal und zurück zu seinem Laden. Seine Freunde, die bereits seine Todesanzeige erwartet hatten, kamen, um ihn zu begrüßen. Sie waren begierig, alle Einzelheiten des Wettkampfs zu erfahren. Aber Barrent hatte inzwischen gelernt, daß geheimes Wissen der Weg zum Erfolg war.
Er schilderte ihnen nur den Vorgang im großen.
Es gab an diesem Abend noch einen weiteren Grund zum Feiern. Tem Rends Bewerbung war endlich doch von der Mördergilde angenommen worden. Und wie er es versprochen hatte, engagierte er Foeren sogleich als seinen Assistenten.
Am darauffolgenden Morgen, als Barrent aufstand, war ein Fahrzeug vor der Tür. Die Justizbehörde hatte es ihm für die Ferien zur Verfügung gestellt. Auf dem Hintersitz lehnte wunderhübsch und leicht verärgert Moera.
»Sind Sie von Sinnen, Barrent?« begrüßte sie ihn. »Glauben Sie denn, ich hätte für derartige Dinge Zeit? Warum haben Sie gerade mich ausgewählt?«
»Sie haben mir das Leben gerettet«, antwortete Barrent.
»Und jetzt glauben Sie wohl, ich wäre an Ihnen interessiert? Sie irren sich - das bin ich nicht im geringsten. Wenn Sie nur ein Fünkchen Dankbarkeit besitzen, dann sagen Sie jetzt sofort dem Fahrer, Sie hätten Ihre Meinung geändert. Sie können noch immer ein anderes Mädchen wählen.«
Barrent schüttelte den Kopf. »Sie sind das einzige Mädchen, an dem mir etwas liegt.«
»Dann werden Sie es sich also nicht noch einmal überlegen?«
»Ganz bestimmt nicht.«
Moera seufzte und lehnte sich im Sitz zurück. »Haben Sie denn wirkliches Interesse an mir?«
»Weitaus mehr als nur Interesse«, antwortete Barrent.
»Also, dann«, seufzte Moera, »wenn Sie unbedingt nicht anders wollen, muß ich mich wohl mit Ihnen abfinden.« Sie wandte sich zur Seite, aber Barrent vermeinte ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen.
Der Wolkensee war Omegas schönster Erholungsort. Beim Betreten mußten alle Waffen am Haupteingang abgegeben werden.
Zweikämpfe waren unter gar keinen Umständen erlaubt. Streite wurden vom nächsten Barmixer ganz willkürlich geschlichtet, und ein Mord wurde durch den sofortigen Verlust von Rang und Stellung bestraft.
Am Wolkensee gab es jede Art von Vergnügungen. Es fanden Fechtduelle statt, Stierkämpfe und Bärenringen. Man konnte Sportarten wie Schwimmen, Klettern und Skilaufen nachgehen.
Am Abend gab es Tanzveranstaltungen im großen mit mehrfachen Glaswänden umschlossenen Saal, die die einfachen Ränge von den Bürgern und diese wieder von der Elite trennten. Es waren gutausgerüstete Rauschgiftbars vorhanden, die alles führten, was sich ein Süchtiger nur wünschen konnte, wie auch einige neue Errungenschaften auf diesem Gebiet. Für gesellige Typen fand jeden Mittwoch- und Samstagabend in der Satyrengrotte eine Orgie statt. Für die Scheuen arrangierten die Veranstalter maskierte Stelldicheins in den dämmrigen Wandelgängen vor dem Hotel. Aber das Schönste waren die sanften Hänge und schattigen Wälder zum Spazierengehen - frei von der Anspannung des täglichen Existenzkampfes von Tetrahyde.
Barrent und Moera bewohnten zwei aneinandergrenzende Zimmer, deren Zwischentür unverschlossen war. Während der ersten Nacht allerdings benutzte Barrent diese Tür nicht. Moera hatte ihm kein Zeichen gegeben, daß sie das wünschte; und auf einem Planeten, auf dem Frauen leichten Zugang zu allen möglichen Giften hatten, mußte ein Mann zweimal überlegen, bevor er einer Frau seine Gesellschaft aufzwang, die sie vielleicht gar nicht schätzte. Selbst der Inhaber eines Antidotenladens mußte mit der Möglichkeit rechnen, die Symptome an sich selbst nicht rechtzeitig zu erkennen. Am zweiten Tag kletterten sie in den Bergen herum. Sie nahmen an einem mit weichen Gräsern bewachsenen Hügel ein mitgebrachtes Picknick ein und schauten hinunter auf den grauen See. Nach dem Essen fragte Barrent Moera, warum sie sein Leben gerettet hatte.