»Die Antwort wird Ihnen sicher nicht gefallen«, antwortete sie.
»Ich hätte sie doch gern gewußt.«
»Nun, Sie sahen so lächerlich schutzlos aus, damals bei der Gilde der Opfer. Ich hätte jedem geholfen, der so aussah.«
Barrent nickte etwas verlegen. »Und beim zweitenmal?«
»Da hatte ich bereits ein Interesse an Ihnen. Kein romantisches Interesse - verstehen Sie mich nicht falsch! Ich bin nicht im geringsten romantisch veranlagt.«
»Was für ein Interesse war es dann?« fragte Barrent.
»Ich dachte mir, Sie würden gutes Rekrutierungsmaterial abgeben.«
»Darüber hätte ich gern mehr gehört.«
Moera schwieg eine Weile und sah ihn mit ihren grünen Augen gerade an. »Da gibt es nicht viel zu sagen. Ich gehöre einer Organisation an. Wir sind ständig auf der Suche nach geeigneten Leuten. Gewöhnlich holen wir sie uns direkt von den Gefangenenschiffen. Außerdem sehen sich die Anwerber, zu denen auch ich gehöre, nach allem um, was brauchbar scheint.«
»Nach was für einer Art Menschen suchen Sie?«
»Nicht nach Ihrem Typ, Will. Tut mir leid.«
»Und warum nicht?«
»Zuerst habe ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, Sie anzuwerben«, sagte Moera. »Sie schienen mir genau die Art von Mensch zu sein, die wir benötigen. Dann aber habe ich Ihre Vergangenheit überprüft.«
»Und?«
»Wir nehmen keine Mörder. Manchmal engagieren wir sie für spezielle Aufgaben, aber wir nehmen sie nicht in unsere Organisation auf. Höchstens akzeptieren wir gelegentlich
mildernde Umstände. Aber davon abgesehen haben wir das Gefühl, daß jemand, der auf der Erde einen vorsätzlichen Mord verübt hat, nicht der richtige Mann für uns ist.«
»Ich verstehe«, brummte Barrent. »Würde es etwas nützen, wenn ich Ihnen sage, daß ich nicht die Einstellung zum Morden habe, wie sie auf Omega üblich ist?«
»Das weiß ich«, antwortete Moera. »Wenn es nach mir ginge, würde ich Sie auch aufnehmen. Aber darüber habe ich nicht zu bestimmen.. Will, sind Sie sicher, daß Sie einen Mord begangen haben?«
»Ich glaube, ja«, sagte Barrent. »Wahrscheinlich ist es so.«
»Schade. Trotzdem - die Organisation benötigt Leute, die eine hohe Überlebensfähigkeit besitzen, ganz gleich, was sie auf der Erde begangen haben. Ich will sehen, was ich tun kann. Aber es würde viel helfen, wenn Sie herausfinden könnten, warum Sie einen Mord begangen haben. Vielleicht gibt es doch mildernde Umstände.«
»Vielleicht«, stimmte Barrent zu, ohne seine Zweifel zu unterdrücken. »Ich will mich bemühen, es herauszufinden.«
Kurz bevor er an diesem Abend einschlief, öffnete Moera die Verbindungstür und trat in sein Zimmer. Schlank und warm schlüpfte sie zu ihm unter die Decke. Als er etwas sagen wollte, legte sie ihm eine Hand auf den Mund. Und Barrent hatte gelernt, Pech und Glück ohne Fragen hinzunehmen
Die Ferien vergingen viel zu schnell. Das Thema Organisation wurde nicht mehr berührt, aber dafür blieb, vielleicht als Ausgleich, die Verbindungstür stets offen. Spätabends am siebenten Tag kehrten Barrent und Moera nach Tetrahyde zurück.
»Wann werde ich dich wiedersehen?« fragte Barrent.
»Ich werde von mir hören lassen. «
»Das ist keine sehr befriedigende Vereinbarung.«
»Mehr kann ich nicht versprechen«, antwortete Moera. »Es tut mir leid, Will. Ich will sehen, was sich wegen der Organisation machen läßt.«
Barrent mußte sich damit zufriedengeben. Als ihn das Fahrzeug vor seinem Laden ab setzte, wußte er immer noch nicht, wo sie wohnte oder welcher Art von Organisation sie angehörte. In seiner Wohnung dachte er noch einmal eingehend über die Einzelheiten seines Traums nach. Es war alles da: seine Wut auf Therkaler, die unerlaubte Waffe, die Begegnung, die Leiche und danach der Spitzel und der Richter. Nur ein Stück fehlte. Er konnte sich nicht an den Augenblick des eigentlichen Mordes entsinnen, und auch nicht an das Anlegen der Waffe und an den Schuß. Der Traum brach in dem Moment ab, in dem er Therkaler gegenüberstand, und setzte erst nach dessen Tod wieder ein.
Vielleicht hatte er diesen Moment des Mordens aus seinem Gedächtnis verbannt. So konnte er noch hoffen, daß es irgendeinen verständlichen Grund für seine Tat gegeben hatte -vielleicht war er angegriffen worden. Er mußte es herausfinden.
Es bestanden nur zwei Möglichkeiten, Informationen über die Erde zu erlangen. Die eine lag in den schreckerfüllten Visionen des Traumladens, und er war entschlossen, diesen nie wieder aufzusuchen. Die andere Möglichkeit lag im Besuch eines wahrsagenden Mutanten.
Barrent hegte die allgemeine Abneigung gegen Mutanten. Sie waren eine völlig andere Rasse, und ihr Status der Unantastbarkeit war kein einfaches Vorurteil. Es war wohlbekannt, daß Mutanten häufig fremdartige und unheilbare Krankheiten hatten. Sie wurden gemieden und hatten sich auch selbst nach außen abgekapselt. Sie lebten in dem Mutantenviertel, das eine eigene Welt innerhalb von Tetrahyde bildete. Vernünftige Bürger blieben diesem Viertel fern, vor allem des Nachts; jedermann wußte, daß Mutanten rachsüchtig sein konnten - manchmal an der ganzen Menschheit.
Aber nur Mutanten besaßen die Fähigkeit, die Vergangenheit zu erforschen. Ihre verunstalteten Körper bargen ungewöhnliche Kräfte und Talente, seltsame und abnorme Fähigkeiten, die der normale Mensch verabscheute, manchmal aber doch ganz gut gebrauchen konnte. Man sagte den Mutanten nach, daß sie bei dem Schwarzen in besonderer Gunst standen. Manche Leute glaubten, daß die große Kunst der Schwarzen Magie, mit der die Priester prahlten, nur von einem Mutanten ausgeübt werden konnte; aber das erwähnte man natürlich nie in Gegenwart eines Priesters.
Die Mutanten standen wegen ihrer seltenen Talente in dem Ruf, mehr über die Erde zu wissen als jeder normale Mensch. Sie konnten sich nicht nur an die Erde im allgemeinen erinnern, sondern sie waren auch fähig, das Leben eines einzelnen durch Raum und Zeit zurückzuverfolgen, die Mauer des Vergessens zu durchbrechen und ihm zu sagen, was wirklich mit ihm geschehen war.
Andere wieder waren der Meinung, daß Mutanten überhaupt keine besonderen Fähigkeiten besaßen. Sie betrachteten sie als schlaue Betrüger, die von der Leichtgläubigkeit der anderen lebten.
Barrent entschloß sich, das selbst herauszufinden. Eines Abends machte er sich, eingehüllt in einen weiten Umhang und gut bewaffnet, auf den Weg zum Mutantenviertel.
Die eine Hand stets an der Waffe, schritt Barrent durch die schmalen, gewundenen Gassen des Viertels. Er kam an Lahmen und Blinden vorbei, an Idioten, die brüllend, mit Schaum vor dem Mund, durch die Straßen liefen oder auch an den Ecken kauerten und vor sich hinwimmerten. Er traf einen Jongleur, der mit einer dritten Hand, die aus seiner Brust wuchs, zwölf brennende Fackeln hochwarf und wieder auffing. Da waren Händler, die Kleider, Tand und billigen Schmuck anboten, Karren mit unsauber aussehenden Lebensmitteln: Er geriet in die Bordellgasse mit ihren buntbemalten Fassaden. In den Fenstern drängten sich Mädchen und kreischten hinter ihm her; ein Mann mit vier Armen und sechs Beinen erklärte ihm, er käme gerade zu den Delphin-Riten zurecht.
Barrent wandte sich von ihm ab und wäre fast an eine unheimlich fette Frau gerannt, die ihre Bluse aufriß und acht schlaffe Brüste zum Vorschein brachte. Er machte einen Bogen um sie und eilte an einem siamesischen Vierling vorbei, der ihn mit sehr vielen großen, traurigen Augen anstarrte. Barrent bog um eine Ecke und blieb stehen. Ein hochgewachsener, zerlumpter alter Mann mit einem weißen Stock blockierte den Weg. Er war fast blind; über der Stelle, an der einmal sein linkes Auge gesessen hatte, wuchs weiche, haarlose Haut. Sein rechtes Auge jedoch blickte starr und böse. »Wünschen Sie die Dienste eines ehrlichen Wahrsagers?« fragte der Alte.