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»Ja, ich werde es ihr bestimmt sagen«, versicherte Joe und verließ, traurig den Kopf schüttelnd, den Antidotenladen.

Drei Tage danach erhielt Barrent den Besuch eines großen, würdigen alten Mannes, der sich so aufrecht und steif hielt, als hätte er das zeremonielle Schwert, das er an seiner Hüfte trug, verschluckt. Er trug einen Umhang mit einem hochstehenden steifen Kragen. An seiner Kleidung erkannte ihn Barrent als einen hohen Regierungsbeamten. »Die Regierung von Omega überbringt Ihnen ihre Grüße«, begann der Beamte. »Ich bin Norins Jay, stellvertretender Minister für Spiele. Durch das Gesetz bin ich beauftragt, Sie von Ihrem großen Glück zu unterrichten. «

Barrent nickte bedachtsam und bat den alten Mann näherzutreten. Aber Jay, aufrecht und korrekt, zog es vor, im Laden zu bleiben. - »Gestern abend fand die alljährliche Lotterieziehung statt«, sagte Jay. »Sie, Bürger Barrent, sind einer der Gewinner.

Ich gratuliere Ihnen. «

»Was ist der Preis?« fragte Barrent. Er hatte schon von der jährlichen Lotterie gehört, besaß aber nur eine vage Vorstellung von ihrer Bedeutung.

»Der Preis«, verkündete Jay, »ist Ehre und Ruhm. Ihnen werden die bürgerlichen Ehrenrechte zuerkannt. Ihre Morde werden schriftlich beglaubigt und der Nachwelt erhalten bleiben. Konkret gesprochen:    Sie erhalten eine neue Nadelstrahlwaffe von der Regierung, und hinterher werden Sie mit dem silbernen Sonnenkreuz ausgezeichnet werden.«

»Hinterher?«

»Natürlich. Das silberne Sonnenkreuz wird immer erst nach dem Tode verliehen. Die Ehre ist deshalb nicht geringer.«

»Natürlich nicht«, antwortete Barrent. »Gibt es sonst noch etwas?«

»Nur noch das eine«, antwortete Jay. »Als Lotteriegewinnerwerden Sie an der symbolischen Zeremonie der Jagd teilnehmen, die den Beginn der jährlichen Spiele verkündet. Die Jagd, wie Sie wohl wissen, verkörpert unsere Lebensart von Omega. In der Jagd erkennen wir all die komplizierten Faktoren des dramatischen Aufstiegs und Abfalls von der Gnade, kombiniert mit dem erregenden Erlebnis des Duells und der Spannung der Treibjagd. Selbst Peons ist es gestattet, an der Jagd teilzunehmen; denn dies ist der einzige Feiertag, der für alle in gleicher Weise gilt, und auch der Feiertag, an dem der gewöhnliche Mann Gelegenheit hat, sich über die ihm durch seinen Rang auferlegten Schranken zu erheben.«

»Wenn ich es richtig verstanden habe«, sagte Barrent, »so bin ich einer der Männer, die gejagt werden sollen.«

»Jawohl«, bestätigte Jay.

»Aber Sie erwähnten, daß die Zeremonie symbolisch sei. Bedeutet das nicht, daß niemand getötet wird?«

»Aber ganz und gar nicht!« rief Jay aus. »Auf Omega ist das Symbol und das, was symbolisiert wird, ein und dasselbe. Wenn wir von einer Jagd sprechen, dann meinen wir auch eine echte Jagd. Sonst wäre das Ganze ja nur Theater.«

Barrent dachte einen Augenblick über die Situation nach. Sie erschien ihm nicht vergnüglich. In einem Kampf von Mann zu Mann hatte er eine ausgezeichnete Chance. Die jährliche Jagd aber, an der sich die gesamte Bevölkerung von Tetrahyde beteiligte, ließ ihm nicht die geringste Möglichkeit zu überleben. Auf eine derartige Sache hätte er sich vorbereiten müssen

»Auf welche Weise wurde ich ausgewählt?« fragte er.

»Durch eine öffentliche Ziehung«, antwortete Norins Jay.

»Das ist die einzig faire Methode gegenüber den Gejagten, die ihr Leben für den Ruhm Omegas hergeben.«

»Ich kann nicht glauben, daß ausgerechnet ich rein zufällig ausgewählt wurde.«

»Die Wahl blieb dem Zufall überlassen«, wiederholte Jay.

»Natürlich beschränkte sie sich auf einige geeignete Kandidaten.

Nicht jeder eignet sich als Jagdbeute. Man muß schon ein gehöriges Maß an Zähigkeit und Begabung bewiesen haben, bevor das Komitee der Spiele daran denkt, ihn in Betracht zu ziehen. Gejagt zu werden, ist eine Ehre. Diese Gunst wird nicht leicht jemandem zuteil.«

»Ich kann es nicht glauben«, sagte Barrent. »Ihr in der Regierung habt schon lange darauf gewartet, mich fertigzumachen, jetzt scheint es euch gelungen zu sein. So einfach ist das also.«

»Aber nicht doch! Ich kann Ihnen versichern, daß Ihnen niemand von uns in der Regierung auch nur das geringste Böse wünscht. Vielleicht sind Ihnen lächerliche Geschichten von bösartigen Beamten zu Ohren gekommen - aber sie sind nicht wahr.

Zwar haben Sie das Gesetz gebrochen, aber das geht die Regierung nichts an. Es ist eine Angelegenheit zwischen Ihnen und dem Gesetz.«

Jays eisige blaue Augen blitzten auf, als er vom Gesetz sprach.

Sein Rücken versteifte sich, und seine Lippen zogen sich zu schmalen Strichen zusammen

»Das Gesetz«, fuhr er in fanatischem Tonfall fort, »steht über dem Verbrecher und dem Richter, es regiert beide. Dem Gesetz kann niemand entrinnen, denn eine Handlung ist entweder gesetzlich oder ungesetzlich. Das Gesetz, so könnte man wohl sagen, hat ein eigenes unbegrenztes Leben, eine Existenz, die sich von dem beschränkten Dasein der Wesen, die es verwalten, ganz erheblich unterscheidet. Das Gesetz regiert jeden Aspekt des menschlichen Benehmens: deshalb ist das Gesetz im gleichen Ausmaß, in dem die Menschen gesetzliche Wesen sind, selbst menschlich. Und durch diese Menschlichkeit wiederum ist das Gesetz besonders empfindlich - genau wie der Mensch.

Für jeden Bürger, die dem Gesetz gehorchen, ist es schwer zu finden

Für jene aber, die es verletzen und mißachten, erhebt es sich aus seiner muffigen Grabstätte und greift nach ihnen.«

»Deshalb hat man mich für die Jagd ausgewählt?« fragte Barrent.

»Gewiß«, antwortete Jay. »Wenn man Sie nicht auf diese Weise ergriffen hätte, so hätte das eifrige und stets wachsame Gesetz andere Mittel und Wege gefunden, hätte alle ihm zur Verfügung stehenden Instrumente benutzt.«

»Nett, daß Sie mir das sagen«, antwortete Barrent. »Wieviel Zeit habe ich? «

»Bis zur Morgendämmerung. Dann beginnt die Jagd, und sie endet beim Sonnenaufgang des folgenden Tages.«

»Was geschieht, wenn ich die Jagd lebend überstehe?«

Norins lächelte. »Das geschieht nicht oft, Bürger Barrent. Ich bin sicher, daß Sie sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen brauchen.«

»Aber es kommt doch gelegentlich vor, oder?«

»Ja. Diejenigen, die die Jagd überleben, nehmen automatisch an den Spielen teil.«

»Und wenn ich die Spiele überlebe?«

»Lassen wir das doch!« sagte Jay in freundlichem Ton.

»Aber wenn es mir nun doch gelingt?«

»Glauben Sie mir, Bürger Barrent, das ist äußerst unwahrscheinlich. «

»Ich möchte es aber trotzdem gern wissen.«

»Diejenigen, die die Spiele überleben, stehen außerhalb der Reichweite des Gesetzes.«

»Hört sich vielversprechend an«, bemerkte Barrent.

»Das ist es aber nicht. Das Gesetz, wenn es auch noch so hart erscheint, bewacht Sie. Ihre Rechte mögen wenige sein, doch das Gesetz achtet darauf, daß sie eingehalten werden. Das Gesetz verbietet mir, Sie schon in diesem Augenblick zu töten.« Jay öffnete seine geballte Faust, darin lag eine winzige Einschußwaffe. »Das Gesetz setzt Grenzen und wirkt ausgleichend auf das Verhalten der Gesetzesbrecher und derjenigen, die es befolgen. Um sicher zu sein, ordnet das Gesetz jetzt an, daß Sie sterben müssen. Aber alle Menschen müssen sterben. Aber das Gesetz ist ernsthaft und wägt seine Entscheidungen wohl ab; deshalb läßt es Ihnen einen ganzen Tag Zeit, bis Sie sterben müssen. Ihnen bleibt wenigstens ein Tag - ohne das Gesetz bliebe Ihnen keine einzige Minute.«

»Was geschieht«, begann Barrent von neuem, »wenn ich die Spiele überlebe und dem Gesetz nicht mehr unterstehe?«

»Dann bleibt nur eines«, antwortete Jay nachdenklich, »und das ist der Schwarze in eigener Person. Wer vom Gesetz befreit ist, gehört ihm. Aber es wäre besser, tausendmal zu sterben, als in die Hände des Schwarzen zu geraten.«