»Wann beginnen wir?« fragte Barrent.
»Sofort«, antwortete Eylan.
Barrent erhielt einen kurzen allgemeinen Unterricht über den physikalischen Aufbau der Erde, ihr Klima und ihre hauptsächlichsten Bevölkerungszentren. Dann schickte man ihn zu Colonel Bray, der früher dem Raumforschungsteam der Erde angehört hatte. Bray sprach mit ihm über die wahrscheinliche militärische Macht der Erde, wie sie durch die Anzahl der Spähschiffe um Omega abgeleitet werden konnte, und über den vermutlichen Stand der wissenschaftlichen Entwicklung. Er schätzte die Streitkräfte der Erde, ihre wahrscheinliche Aufteilung in Land-, See- und Raumtruppen und ihre angenommene Leistungsfähigkeit.
Captain Carell unterrichtete ihn über Spezialwaffen, ihre möglichen Typen und Reichweiten und inwieweit sie der Bevölkerung der Erde zugänglich waren. Ein anderer Gehilfe des Colonels, Leutnant Daoud, klärte ihn über Suchvorrichtungen auf, ihre wahrscheinliche Örtlichkeit, und wie man sie meiden konnte.
Dann schickte man Barrent wieder zu Eylan zur politischen Information. Von ihm erfuhr er, daß die Erde höchstwahrscheinlich eine Diktatur war. Man erklärte ihm die Methoden einer Diktatur, ihre besonderen Stärken und Schwächen, die Rolle der Geheimpolizei, die Anwendung von Terror, das Problem der Spitzel.
Danach erklärte ihm ein kleiner Mann mit scharfen Augen das System, das die Erde zum Verlöschen der Erinnerung anwandte. In der Annahme, daß die Erinnerungszerstörung regelmäßig angewandt wurde, um die Opposition unschädlich zu machen, malte der Mann die wahrscheinliche Art einer Untergrundbewegung aus, die unter diesen Umständen arbeiten mußte. Und er riet Barrent, wie man mit ihr in Verbindung treten könnte und wie die Stärken und Schwächen einer solchen Organisation aussehen würden. Schließlich lernte Barrent noch die vollen Einzelheiten des Planes von Gruppe Zwei kennen, mit dem sie ihn auf das Schiff bringen wollten
Als der Landungstag nahte, fühlte Barrent eine gewisse Erleichterung. Er hatte es satt, sich Tag und Nacht mit Informationen vollzustopfen. Jede Art von Tätigkeit kam ihm gelegen.
Barrent beobachtete, wie das riesige Schiff langsam und geräuschlos zu Boden schwebte. Matt glänzte es in der Nachmittagssonne, ein sichtbarer Beweis für die technische Macht der Erde. Eine Luke schwang auf, eine Treppe glitt aus ihr herab.
Flankiert von Wachen kletterten die Gefangenen heraus und stellten sich auf dem Platz vor dem Schiff auf.
Wie gewöhnlich hatte sich die Bevölkerung von Tetrahyde eingefunden und bejubelte die Landungszeremonien. Barrent drängte sich durch die Menge und blieb dicht bei den Gefangenen und den Wachen stehen. Er befühlte seine Tasche, um sicher zu sein, daß sich die Nadel strahl waffe noch darin befand. Ingenieure von Gruppe Zwei hatten sie eigens für ihn angefertigt. Sie bestand aus Plastikmaterial, so daß Metallsucher sie nicht wahrnehmen konnten. Den Rest der Tasche füllten andere Ausrüstungsgegenstände. Er hoffte, die Waffe nicht benutzen zu müssen
Der Lautsprecher verlas die Namen und Zahlen der Gefangenen, genauso wie damals, als Barrent selbst angekommen war. Mit leicht gebeugten Knien lauschte er und wartete auf den Beginn des Störmanövers.
Die Verlesung des Lautsprechers näherte sich dem Ende der Liste. Nur noch zehn Gefangene waren übrig. Barrent bewegte sich noch mehr nach vorn. Vier, drei...
Als der Name des letzten Gefangenen verlesen wurde, begann es. Eine schwarze Rauchwolke verdunkelte den blassen Himmel, Barrent wußte, daß Gruppe Zwei die leeren Baracken von Block A-2 in Brand gesetzt hatte. Er wartete.
Dann geschah es. Eine gewaltige Explosion erfolgte, zwei Reihen leerer Gebäude flog in die Luft. Die Schockwelle war enorm und ließ alles ringsum erbeben. Noch bevor der Schutt niederzuprasseln begann, lief Barrent auf das Schiff zu.
Die zweite und dritte Explosion folgten, als er sich schon im Schatten des Schiffs befand. Hastig warf er die Kleidung von Omega ab. Darunter trug er eine getreue Nachbildung der Uniform der Wachen. Jetzt rannte er auf die Landetreppe zu.
Die Stimme aus dem Lautsprecher befahl, Ruhe zu bewahren.
Die Wachen wimmelten aufgeschreckt durcheinander.
Die vierte Explosion warf Barrent zu Boden. Aber sofort sprang er wieder auf und sprintete die Treppe hinauf. E befand sich im Schiffsinneren. Von draußen hörte er die lauten Befehle des Captains. Die Wachen stellten sich in Reihen auf, die Waffen schußbereit auf die unruhige Menge gerichtet. Langsam zogen sie sich gegen das Schiff zurück.
Barrent hatte keine Zeit mehr zum Lauschen. Er befand sich in einem langen schmalen Gang. Er wandte sich nach rechts und raste auf den Bug des Schiffes zu. Weit hinter sich hörte er die schweren Tritte der Wachen.
Jetzt mußte die Beschreibung des Schiffes, die er erhalten hatte, genau stimmen, sonst war die Expedition beendet, noch bevor sie richtig begonnen hatte !
Er lief an langen Reihen leerer Zellen vorbei und kam zu einer Tür mit der Aufschrift AUFENTHALTSRAUM DER WACHEN. Eine erleuchtete grüne Birne über der Tür deutete an, daß die Sauerstoffversorgung in Gang war. Dahinter befand sich eine andere Tür. Barrent drückte auf die Klinke - sie war nicht verschlossen.
Dahinter war ein Raum, angefüllt mit Ersatzteilen für die Maschinen. Er trat ein und schloß die Tür hinter sich.
Die Wachen kamen den Korridor heraufgepoltert. Barrent hörte ihre Stimmen, als die Männer den Aufenthaltsraum betraten.
»Woher, glaubst du, rührten die Explosionen?«
»Wer weiß? Diese Verbrecher haben eben einen Tick.«
»Die würden den ganzen Planeten in die Luft jagen, wenn sie könnten. «
»Dann wären wir sie endlich los!«
»Na, ja, jedenfalls hat es keinen sichtbaren Schaden angerichtet.
Vor fünfzehn Jahren gab es schon mal ähnliche Explosionen.
Erinnert ihr euch?«
»Da war ich noch nicht hier.«
»Damals waren sie noch stärker. Zwei Wachen kamen dabei ums Leben und etwa einhundert Gefangene.«
»Was war die Ursache?«
»Keine Ahnung. Diesen Omeganern macht es Spaß, Dinge einfach so in die Luft zu jagen.«
»Könnten Sie nicht einmal unser Raumschiff angreifen?«
»Keine Gefahr. Denk an die Spähschiffe, die oben patrouillieren!«
»Glaubst du? Ich bin froh, wenn wir erst wieder sicher an der Kontrollstation angelangt sind.«
»Ganz meine Meinung. Das Schönste wäre ein anderer Job !
Heraus aus diesem Schiff und das Leben mal wieder ein bißchen genießen!«
»Das Leben am Kontrollpunkt ist gar nicht so schlecht. Trotzdem möchte ich lieber wieder zurück zur Erde.«
»Na, ja, man kann eben nicht alles haben.«
Die letzte Wache betrat den Aufenthaltsraum und schlug die Tür hinter sich zu. Barrent wartete. Nach einer Weile begann das Schiff zu beben. Es begann seinen Flug.
Barrent hatte ein paar wertvolle Informationen erhalten. Anscheinend verließen alle oder jedenfalls die meisten Wachen das Schiff am Kontrollpunkt. Hieß das, daß eine andere Wachmannschaft sie ablöste? Wahrscheinlich. Aber ein Kontrollpunkt brachte die Gefahr mit sich, daß das Schiff nach entflohenen Gefangenen durchsucht wurde. Wahrscheinlich wurde es nur eine oberflächliche Durchsuchung sein, da in der Geschichte von Omega noch nie ein Gefangener entflohen war. Trotzdem würde er sich ein gutes Versteck suchen müssen
Doch alles zu seiner Zeit! Jetzt spürte er das Nachlassen der Vibration und wußte, daß das Schiff die Oberfläche von Omega verlassen hatte. Er befand sich an Bord, noch immer unentdeckt, und das Schiff war auf dem Weg zur Erde. Bis jetzt war alles planmäßig abgelaufen
Während der nächsten Stunden harrte Barrent im Vorratsraum aus. Er fühlte sich sehr müde, seine Muskeln schmerzten. Die Luft in dem kleinen Raum hatte einen sauren, schlechten Geruch. Barrent mußte sich zwingen, aufzustehen und zum Ventilator zu gehen. Er hielt die Hand darüber. Nichts regte sich. Es kam keine frische Luft herein. Barrent zog ein Meßgerät aus der Tasche. Der Sauerstoffgehalt der Luft fiel schnell ab.