Er entschloß sich, nicht weiter zu überlegen, bevor er mehr Tatsachen gesammelt hatte. Im Augenblick mußte er sich seinem eigenen Problem widmen: zu überleben. In seinen Taschen befand sich eine genügende Menge konzentrierter Nahrung, aber Wasser hatte er nicht mit sich führen können. Ob das besatzungslose Schiff Wasservorräte besaß? Er mußte an die Wachtruppe unten im Aufenthaltsraum denken. Und er überlegte auf Grund seiner neuen Informationen, was im Kontrollpunkt geschehen würde und wie er sich zu verhalten hätte.
Barrent stellte fest, daß er nicht auf seinen eigenen Nahrungsvorrat angewiesen war. In der Offiziersmesse spuckten diverse Maschinen auf einen Knopfdruck hin Essen und Getränke aus. Er konnte nicht unterscheiden, ob es natürliche oder chemisch aufgebaute Nahrung war. Sie schmeckte gut und schien ihn zu ernähren - daher kümmerte er sich nicht weiter um diese Frage.
Er erforschte die oberen Teile des Schiffes. Aber nachdem er sich mehrmals verlaufen hatte, entschloß er sich, keine weiteren unnötigen Risiken einzugehen. Das Lebenszentrum des Schiffes war sein Kontrollraum, und Barrent verbrachte die meiste Zeit darin. Er bemerkte eine Aussichtsluke. Durch Drehen des Schalters, der die Gitter öffnete, konnte er hinaus in die Weiten des Raumes blicken, mit den glühenden Sternen in der undurchdringlichen Dunkelheit. Ein Meer von Sternen erstreckte sich über den ganzen Horizont - prächtiger, als seine Phantasie es je ausgemalt hatte. Beim Anblick dieses Wunders durchdrang ihn ein bisher nie gefühlter Stolz. Hierher gehörte er, und jene unbekannten Sterne waren sein Erbe.
Die Zeit bis zum Erreichen des Kontrollpunkts schrumpfte auf sechs Stunden zusammen. Barrent sah neue Teile des Schaltpults zum Leben erwachen; sie prüften und änderten die Kräfte, die das Schiff beherrschten, bereiteten auf die Landung vor. Er wunderte sich, wie schnell er sich in diesen technischen Dingen zurechtfand - wahrscheinlich halfen ihm unbewußte Erinnerungen. Drei und eine halbe Stunde vor der Landung machte Barrent eine interessante Feststellung. Er entdeckte das zentrale Kommunikationssystem für das gesamte Schiff. Als er den Empfänger einschaltete, konnte er die Unterhaltung im Aufenthaltsraum der Wachen abhören.
Er erfuhr nicht viel, was für ihn von Nutzen gewesen wäre.
Entweder aus Vorsicht oder aus Mangel an Interesse sprachen die Männer nicht über Politik. Sie lebten in der Kontrollstation gelegentlich machten sie Fahrten mit dem Gefangenenschiff.
Manche der Dinge, die sie diskutierten, waren für Barrent unverständlich. Aber er lauschte doch weiter, interessiert an allem, was diese Menschen von der Erde zu sagen hatten.
»Baden in Florida - das ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann.«
»Ich habe Salzwasser nie gemocht.«
»Im Jahr, bevor ich zu den Wachen abkommandiert wurde, gewann ich den dritten Preis beim Orchideenfest in Dayton..«:
»Nach meiner Pensionierung kaufe ich mir eine Villa in Antarktika.«
»Wieviel Dienstjahre hast du noch vor dir?«
»Achtzehn Jahre.«
»Gerade uns haben sie eingezogen!«
»Jemand muß es ja tun.«
»Aber warum gerade ich? Und warum kriegen wir keine Ferien auf der Erde?«
»Du hast doch die Unterrichtsfilme gesehen und weißt genau, warum. Verbrechen ist eine Krankheit. Es ist ansteckend.«
»Na und?«
»Wenn du mit Verbrechern zu tun hast, läufst du Gefahr, selbst angesteckt zu werden. Du könntest jemanden auf der Erde vergiften.«
»Es ist nicht gerecht.«
»Das läßt sich nicht ändern. Die Wissenschaftler wissen schon, wovon sie reden. Außerdem ist es auf dem Kontrollpunkt auch nicht so schlecht.«
»Wenn du künstliche Dinge magst. Luft, Blumen, Nahrung...«
»Du kannst nicht alles haben. Ist deine Familie dort?«
»Meine Frau will zurück zur Erde.«
»Nach fünf Jahren Leben im Kontrollpunkt hältst du es auf der Erde nicht mehr aus, habe ich gehört. Die Schwerkraft packt dich zu stark.«
»Ich halte die Schwerkraft schon aus. Immer...«
Aus diesen Unterhaltungen ersah Barrent, daß die grimmig aussehenden Wachen menschliche Wesen waren, genauso wie die Gefangenen auf Omega. Die meisten der Posten schienen die Arbeit, die sie verrichten mußten, nicht zu mögen. Wie die Leute von Omega sehnten auch sie sich zurück zur Erde.
Die Zeit verging. Das Schiff befand sich schon in unmittelbarer Nähe des Kontrollpunkts, die gigantischen Schalttafeln flammten auf und surrten heftig; sie trafen die letzten Anordnungen für die schwierige Landung.
Schließlich war das Manöver durchgeführt, die Maschinen setzten aus. Durch die Höranlage erfuhr Barrent, daß die Wachen den Aufenthaltsraum verließen. Er folgte ihnen den Gang entlang bis zur Landungsrampe. Er hörte den letzten, der das Schiff verließ, sagen: »Da ist ja auch schon der Suchtrupp.
Na, was sagt ihr, Jungs?«
Keine Antwort. Die Wachen waren fort, und nun erscholl ein neues Geräusch in den Gängen: die schweren Tritte jener, die die Wachen die Suchtrupps nannten
Es schienen viele Menschen zu sein. Sie durchsuchten zuerst die Maschinenräume und bewegten sich systematisch nach oben. Den Geräuschen nach zu urteilen, schienen sie jede Tür zu öffnen und jedes Zimmer und jeden Schrank zu durchstöbern
Barrent hielt die Nadelstrahlwaffe in der schwitzenden Hand und fragte sich verzweifelt, wo er sich verstecken sollte. Er mußte damit rechnen, daß sie überall nachsehen würden. In diesem Fall lag die beste Chance, ihnen aus dem Weg zu gehen, darin, sich in einem Teil des Schiffs zurückzuziehen, den sie bereits durchsucht hatten.
Er stülpte sich eine Sauerstoffmaske über den Kopf und betrat den Korridor.
Eine halbe Stunde später hatte Barrent noch immer keine Möglichkeit gefunden, an der Suchtruppe vorbeizugelangen. Sie hatten die tieferen Teile des Schiffes inspiziert und bewegten sich jetzt auf den Kontrollraum zu. Barrent konnte sie die Gänge heraufkommen hören. Fast hundert Meter vor ihnen eilte er davon, verzweifelt nach einem Versteck spähend.
Am Ende dieses Korridors müßte eine Treppe sein. Auf ihr konnte er vielleicht hinuntersteigen, zu einem Teil des Schiffes, der schon durchsucht worden war. Er hastete weiter und hoffte nur, daß sich seine Hoffnung erfüllte. Noch immer hatte er nur eine vage Vorstellung der Raumverteilung des Schiffes. Wenn er sich irrte, hätte er sich selbst in eine Falle manövriert.
Er erreichte das Ende des Ganges, und die Treppe war tatsächlich vorhanden. Die Schritte hinter ihm kamen näher. Er rannte die Stufen hinunter; gelegentlich blickte er über die Schulter nach hinten.
Und dabei rannte er mit dem Kopf direkt gegen einen
gewaltigen Brustkasten.
Barrent taumelte zurück und legte die Waffe auf die enorme Gestalt an. Aber er feuerte nicht ab. Das Wesen vor ihm war kein Mensch.
Es war über einen Meter groß und trug eine schwarze Uni form, auf der vom SUCHTRUPP - ANDROID B 212 eingeprägt war.
Das Gesicht war den menschlichen Zügen nachgebildet, säuberlich geformt aus kalkfarbenem Plastikmaterial. Die Augen glühten tief rot.
Es schaukelte auf zwei Beinen, sorgfältig darauf bedacht, die Balance zu wahren. Es sah Barrent starr an und bewegte sich auf ihn zu. Barrent wich ihm aus. Er wußte nicht, ob seine Nadelstrahlwaffe den Androiden aufhalten konnte.
Er hatte keine Gelegenheit, es auszuprobieren, denn der Android ging an ihm vorbei und weiter die Treppe hinauf. Auf seinem Rücken standen die Worte SUCHABTEILUNG FÜR NAGETIERE. Dieser Android war lediglich darauf spezialisiert, nach Ratten und Mäusen zu fahnden. Die Gegenwart eines blinden Passagiers hatte auf ihn überhaupt keinen Eindruck gemacht. Folglich waren die anderen Androiden des Suchtrupps ähnlich spezialisiert.
Barrent wartete in einer Vorratskammer im unteren Teil des Schiffes, bis er die schweren Tritte der Androiden sich entfernen und das Schiff verlassen hörte. Dann lief er eilig zurück zur Steuerzentrale. Wachen kamen nicht an Bord. Genau nach Zeitplan verließ das Schiff den Kontrollpunkt.