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Natürlich konnte ein gewisser Prozentsatz an Aufsteigern nicht verhindert werden. Aber das Vorwärtskommen ließ sich hinauszögern und außerordentlich gefährlich machen. Die Art, wie man auf Omega Gesetzen und Bräuchen gegenübertreten mußte, war ein riskanter Prozeß von Versuch und Irrtum.

Obgleich der Antidotenladen ihn die meiste Zeit in Anspruch nahm, setzte Barrent seine Versuche fort, das Mädchen zu finden. Aber es gelang ihm nicht einmal, nur den geringsten Hinweis zu erhalten, daß sie überhaupt existierte.

Er freundete sich mit den Ladenbesitzern an, die neben ihm wohnten. Einer von ihnen, Demond Harrisbourg, war ein forscherjunger Mann mit einem Schnurrbart, der ein Lebensmittelgeschäft unterhielt. Es war ein prosaisches und ziemlich albernes Unternehmen, wie sich Harrisbourg auszudrücken pflegte, aber, so fügte er stets hinzu; selbst Verbrecher mußten essen. Und dazu waren nun einmal Bauern, Transporteure, Großhändler und Lebensmittelgeschäfte notwendig. Harrisbourg behauptete, daß sein Beruf in keiner Weise denen nachstand, die sich mit Morden und ähnlichem auf Omega befaßten. Außerdem war der Onkel seiner Frau Minister für öffentliche Arbeit. Durch ihn erhoffte Harrisbourg ein MordZertifikat zu erhalten. Mit diesem überaus wichtigen Dokument konnte er sechs Monate lang morden und sich bis zum PrivilegBürger hinaufarbeiten.

Barrent nickte zustimmend. Aber innerlich zweifelte er nicht daran, daß Harrisbourgs Frau, eine dürre, ruhelose Person, noch vorher versuchen würde, ihn zu vergiften. Sie schien nicht mit ihm zufrieden, und Scheidung war auf Omega verboten.

Sein anderer Nachbar, Tem Rend, war ein schmächtiger Mann Anfang Vierzig. Eine Brandnarbe zog sich von seinem linken Ohr bis fast zum Mundwinkel über das Gesicht, ein Andenken, das ihm ein hoffnungsvoller Anwärter auf eine Verbesserung seines Ranges verabreicht hatte. Aber anscheinend war er an den Falschen geraten. Tem Rend besaß eine Waffenhandlung, übte sich unaufhörlich und trug stets einige seiner Verkaufsgegenstände mit sich herum. Nach den Aussagen der Zeugen hatte er einen perfekten Gegenmord verübt. Tem träumte davon, einmal Mitglied der Mordgilde zu werden. Sein Antrag auf Beitritt in diese alte und strenge Organisation lief schon, und er hatte die berechtigte Hoffnung, innerhalb der nächsten Monate aufgenommen zu werden.

Barrent kaufte von ihm eine Handwaffe. Auf Rends Rat hin entschied er sich für eine Jamiason-Tyre-Nadelstrahl-Pistole. Sie war schneller und treffsicherer als jede Projektilwaffe und hatte die gleiche Durchschlagskraft wie eine schwerkalibrige Kugel. Der Sicherheit halber hatte sie nicht die Streubreite wie die Hitzewaffen, die die Hadjis verwendeten und die noch bis zu einer Entfernung von eineinhalb Metern töteten. Aber weitstreuende Strahler waren nicht so genau. Es waren Waffen, die zu sorglosen Charakteren paßten. Jedermann konnte eine Hitzepistole abfeuern, aber um eine Nadelstrahlpistole wirkungsvoll zu gebrauchen, mußte man ständig üben. Und diese Übung machte sich bezahlt. Ein guter Nadelstrahl-Mann konnte leicht mit zwei Gegnern mit weitstreuenden Hitzepistolen fertig werden.

Barrent nahm sich diesen Ratschlag zu Herzen, um so mehr, als er von einem Anwärter auf die Mördergilde und gleichzeitig dem Besitzer einer Waffenhandlung kam. Er verbrachte viele Stunden an Rends Keller-Schießstand, beschleunigte seine Reaktionen und gewöhnte sich an den Schnellschuß-Halfter.

Es gab eine Menge zu tun und zu lernen, nur um überhaupt zu überleben. Barrent scheute keine harte Arbeit, solange sie auf ein erstrebenswertes Ziel hinführte. Er hoffte, daß es für eine Weile ruhig bleiben würde, so daß er sein Wissen so weit wie möglich dem der älteren Bewohner anpassen konnte. Aber auf Omega blieben die Dinge nie lange ruhig. Eines Tages, als er am späten Nachmittag gerade seinen Laden zuschloß, trat ein ungewöhnlich aussehender Besucher zu ihm. Es war ein fünfzigjähriger schwer gebauter Mann mit harten und dunklen Gesichtszügen. Um die Hüfte trug er einen Gürtel, an dem ein kleines schwarzes Buch und ein Dolch mit schwarzem Griff baumelten. Er machte den Eindruck ungewöhnlicher Stärke und Autorität. Barrent konnte seinen Rang nicht erkennen

»Ich wollte gerade schließen, Sir«, sagte Barrent, »aber wenn Sie irgend etwas kaufen wollen?«

»Ich bin nicht gekommen, um etwas zu kaufen«, erwiderte der Besucher. Er erlaubte sich ein schwaches Lächeln. »Ich bin gekommen, um etwas zu verkaufen.«

»Verkaufen?«

»Ich bin ein Priester«, erklärte der Mann. »Sie sind neu in meinem Distrikt. Ich habe Sie nie beim Gottesdienst bemerkt.«

»Ich hatte nicht gewußt -«

Der Priester hob die Hand. »Bei dem heiligen Gesetz ist Unwissenheit keine Entschuldigung für die Nichterfüllung einer Pflicht. Im Gegenteiclass="underline" Unwissenheit kann als ein Akt mutwilliger Vernachlässigung bestraft werden, das stützt sich auf das Gesetz der völligen persönlichen Verantwortlichkeit von 23, ganz zu schweigen vom Kleinen Kodizill.« Wieder lächelte er. »Jedoch ist bis jetzt noch kein Grund zur Züchtigung gegeben.«

»Ich bin froh, das zu hören, Sir«, antwortete Barrent.

»>Onkel<ist die richtige Form der Anrede«, erklärte der Priester.

»Ich bin Onkel Ingemar und bin gekommen, um Ihnen von der orthodoxen Religion auf Omega zu erzählen. Das ist die Verehrung des reinen, transzendenten Teufelsgeistes, der unsere Inspiration und unseren Komfort bildet.«

»Ich würde mich freuen, mehr über die Religion des Bösen zu erfahren, Onkel. Wollen wir in den Wohnraum gehen?«

»Gewiß, Neffe«, sagte der Priester und folgte Barrent in die Wohnung im hinteren Teil des Ladens.

»Das Böse«, begann der Priester, nachdem er es sich in Barrents bestem Sessel bequem gemacht hatte, »ist die Kraft in uns, die uns dazu anregt, stark und duldsam zu sein. Die Verehrung des Bösen ist grundsätzlich die Verehrung unseres eigenen Ichs; und deshalb ist es auch die einzige wahre

Verehrung. Das Ich, das man anbetet, ist das soziale Wesen; der Mensch begnügt sich mit seiner Stellung in der Gesellschaft, jedoch greift er nach jeder Gelegenheit, sie zu verbessern. Der Mensch, der dem Tod mit Würde begegnet, tötet doch selbst mit dem erniedrigenden Gefühl von Mitleid. Das Böse ist grausam, da es eine echte Wiederspiegelung des sorglosen und unvernünftigen Universums ist.

Das Böse ist unendlich und unabänderlich, obgleich es in den verschiedensten Lebensformen zu uns kommt.«

»Möchten Sie einen Schluck Wein, Onkel?« fragte Barrent.

»Danke, das ist sehr aufmerksam«, antwortete Onkel Ingemar.

»Wie geht das Geschäft?«

»Recht gut. Diese Woche ein wenig zögernd.«

»Die Leute hegen nicht mehr das gleiche Interesse für Vergiftungen«, bemerkte der Priester, während er genußvoll an seinem Glas nippte. »Jedenfalls nicht so sehr wie zu meiner Jugend, als ich noch fast als Knabe von der Erde deportiert wurde. Doch ich sprach gerade über das Böse.«

»Ja, Onkel.«

»Wir verehren das Böse«, fuhr Onkel Ingemar fort. »In der fleischlichen Form des Schwarzen, dem gehörnten und furchtbaren Gespenst unserer Tage und Nächte. In dem Schwarzen finden wir die sieben Hauptsünden, die vierzig Kapitalverbrechen und die einhundertundein Vergehen. Es gibt kein Verbrechen, das der Schwarze noch nicht begangen hat -fehlerfrei, wie es seine Natur befiehlt. Deshalb eifern wir Unvollkommenen seiner Vollkommenheit nach. Und manchmal belohnt uns der Schwarze, indem er in seinem glühenden Fleisch vor uns erscheint. Ja, Neffe, ich selbst genieße den Vorzug, ihn gesehen zu haben. Vor zwei Jahren erschien er beim Abschluß der Spiele, und auch in dem Jahr davor.«

Einen Augenblick lang brütete der Priester über diese anbetungswürdige Erscheinung nach. Dann sagte er: »Da wir im Staat das höchste Potential für das Böse erkennen, verehren wir auch ihn als etwas Übermenschliches, obgleich weniger göttlich, schöpferisch.«