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Eigentlich hatte er vorgehabt, sein Lager an der alten Stelle aufzuschlagen, aber er brachte es nicht fertig. Die Stimmen quälten ihn, die Erinnerungen waren zu gegenwärtig. Also beschloß er, auf dem Platz zu übernachten. Er schleppte Holz herbei und arbeitete den ganzen Nachmittag daran, einen großen Holzstoß aufzuschichten. Als die Nacht hereinbrach, machte er Feuer und legte immer wieder Scheite nach, damit es schön groß und hell würde. Falls Mary in der Stadt war oder sich in der Nähe aufhielt, würde sie das Feuer sehen und wissen, daß sich jemand hier befand.

Lansing entfachte noch ein zweites, kleineres Feuer, auf dem er sich Kaffee und Abendbrot kochte. Während er aß, versuchte er einen Plan über sein weiteres Vorgehen auszuarbeiten. Aber das einzige, was ihm einfiel, war, die Stadt abzusuchen, wenn nötig jede Straße; obwohl sein Verstand ihm sagte, daß dies ein sinnloses Unterfangen war, bei dem er nur Kraft und Zeit vergeudete. Falls Mary in der Stadt war oder auf dem Weg zur Stadt, würde sie geradewegs auf den Platz zueilen und sich nicht in einem Winkel verkriechen.

Bei Mondaufgang stieg der Heuler auf seinen Hügel und sang sein einsames Klagelied. Lansing lauschte ihm eine Weile, dann stimmte er in die Klage ein.

»Komm runter und setz dich zu mir ans Feuer«, rief er dem Heuler zu, »dann können wir zusammen weinen.« Bis zu diesem Augenblick war Lansing der festen Überzeugung gewesen Mary eines Tages wiederzufinden. Nun traf ihn die Vorstellung einer immerwährenden Einsamkeit so unvermittelt wie ein Schlag. Er versuchte, sich ein Leben ohne sie vorzustellen, doch bei dem Gedanken griff eine kalte Hand nach seinem Herzen. Er rückte dichter ans Feuer, aber die Flammen konnten die innere Kälte nicht vertreiben.

Er versuchte zu schlafen, es gelang mehr schlecht als recht. Am Morgen begann er mit der Suche. Er biß die Zähne zusammen und ging zu den Türen. Keine war geöffnet worden. Danach suchte er die Maschine auf. Er stieg die Treppe hinab und lauschte lange Zeit dem Singsang der Apparatur, dann verließ er die Höhle wieder. Später begann er, die Straßen abzusuchen, zufällig und planlos und in dem Bewußtsein, nur Zeit damit zu vergeuden. Aber er suchte weiter, weil diese Beschäftigung ihn irgendwie von seinen verzweifelten Gedanken ablenkte. Er suchte vier Tage lang und fand nichts. Da schrieb er Mary eine Nachricht und legte sie neben das alte Lagerfeuer im Verwaltungsgebäude. Er beschwerte den Zettel mit dem vergessenen Krug und machte sich auf den Weg zurück zum Würfel und zum ersten Gasthaus.

Wie lang mochte es her sein, seit er zum erstenmal einen Fuß in diese Welt gesetzt hatte. Er versuchte die Tage zu zählen, aber Nebelschleier lagen über seiner Erinnerung, und er brachte alles durcheinander. Ein Monat, dachte er. War es möglich, daß er sich noch nicht länger als einen Monat auf dieser Welt aufhielt? Er wußte es nicht; die Zeit hier erschien ihm so lang wie sein halbes Leben.

Lansing suchte nach markanten Punkten auf dem Pfad. Er versuchte, die alten Lagerplätze wiederzufinden, die Stelle, wo Mary die Gesichter gesehen hatte, wo Jürgens die Quelle entdeckt und er selbst Holz gehackt hatte. Aber er war sich niemals sicher, ob es die richtige Stelle war. Es war schon zu lange her - einen Monat schon.

Schließlich erreichte er einen Hügel, von dessen Gipfel aus er den Würfel erblickte. Das Gebilde war immer noch genauso hell und schön, wie Lansing es in Erinnerung hatte. Einen Moment lang war er erstaunt, den Würfel zu sehen. Er hatte zwar erwartet, ihn zu finden, aber es hätte ihn auch nicht sonderlich überrascht, wenn er verschwunden gewesen wäre. Die Welt hatte für Lansing in den letzten Tagen einen Phantomcharakter angenommen, und manchmal glaubte er, durch ein Vakuum zu schreiten.

Lansing wanderte die Serpentine hinab, bis er den Talkessel erreichte, in dessen Mitte der Würfel aufragte. Er folgte gerade der letzten Biegung des Pfades, da entdeckte er auf der Talsohle einige Gestalten. Er hatte sie vorher nicht bemerkt, doch nun sah er sie deutlich vor sich. Sie saßen mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Stein, den Mary und er freigelegt hatten, und waren in ihr niemals endendes Spiel vertieft. Die vier schienen Lansing nicht zu bemerken, als er den Weg entlang auf sie zu kam, sich neben sie stellte und ihnen beim Spiel zusah.

Nach einer Weile sagte Lansing: »Ich glaube, ich sollte Ihnen danken, meine Herren, daß Sie mir das Seil zugeworfen haben.« Bei diesen Worten blickten sie auf. Vier weiße Porzellangesichter starrten Lansing an, Gesichter mit dunklen, brauenlosen Augenhöhlen, aus deren Tiefe schwarze Edelsteine funkelten, Gesichter, mit einem Schlitz anstelle des Mundes und einem Doppelschlitz anstelle der Nase.

Die vier sagten nichts, starrten Lansing nur ausdruckslos an, obwohl er meinte, etwas wie Verärgerung auf den glatten, weißen Gesichtern zu entdecken. Wie polierte Türknäufe, dachte er, auf die irgend jemand Gesichter gemalt hat. Schließlich sagte einer der vier: »Würden Sie bitte zur Seite gehen Sie stehen uns im Licht.«

Lansing trat einen Schritt zurück. Nach einer Weile zog er sich so weit zurück, daß er wieder auf dem Weg stand. Aber da hatten sich die vier Kartenspieler schon wieder in ihr Spiel vertieft.

Mary war nicht in der Stadt gewesen, dachte Lansing. Sonst hätte sie sein Feuer bemerkt. Und hier war sie auch nicht. Er wußte keinen Ort mehr, wo er sie suchen konnte. Trotzdem stapfte er verbissen weiter. Er hatte keine Hoffnung mehr, wollte seine Suche aber auch nicht abbrechen, bevor er nicht jeden Winkel ausgekundschaftet hatte.

Bei Einbruch der Nacht erreichte er das Gasthaus. Die Fenster waren dunkel, kein Rauch quoll aus dem Schornstein. Irgendwo draußen im Wald schrie eine Eule.

Lansing ging zur Tür und drehte am Knauf; er rührte sich nicht. Offensichtlich war die Tür abgeschlossen. Er klopfte, erhielt aber keine Antwort. Er klopfte lauter und hielt dann inne, um zu lauschen, ob er keine Schritte vernähme. Als er nichts hörte, begann er mit beiden Fäusten zu hämmern. Unvermittelt öffnete sich die Tür, und Lansing stolperte über die Schwelle. Mine, der Wirt, stand im Schankraum, eine Hand auf der Klinke, in der anderen einen Kerzenstummel. Er hob die Kerze, damit er den Gast besser sehen konnte.

»Ach Sie sind es«, sagte er. Seine Stimme hatte einen bedrohlichen Unterton. »Was wollen Sie?« »Ich suche eine Frau. Mary. Erinnern Sie sich an sie?« »Sie ist nicht hier.«

»War sie hier und ist dann wieder abgereist?« »Seit Ihrem Aufbruch habe ich sie nicht mehr gesehen.« Lansing ging an dem Wirt vorbei quer durch den Schankraum und ließ sich auf einen Stuhl am Kamin fallen. Seine Energie war aufgebraucht. Er fühlte sich plötzlich schwach und unnütz. Das war das Ende. Jetzt konnte er nirgendwo mehr suchen. Mine schloß die Tür und folgte ihm. Er stellte die Kerze auf dem Tisch neben Lansing ab.

»Sie können nicht bleiben«, sagte er. »Ich verlasse das Gasthaus. Im Winter ist hier geschlossen.«

»Herr Wirt«, sagte Lansing, »wo bleiben Ihre Manieren? Sie verletzen die Gastfreundschaft. Ich werde heute nacht hierbleiben, und Sie werden mir etwas zu essen beschaffen!« »Ich habe kein Bett für Sie«, erwiderte Mine. »Die Betten sind schon alle für den Winter hergerichtet, und ich werde kein neues beziehen. Wenn Sie wollen, können Sie auf dem Boden schlafen.«

»Gern«, sagte Lansing. »Und wie steht es mit dem Essen?« »Ich habe mir einen Topf Suppe gekocht. Davon können Sie eine Schüssel haben. Außerdem könnte ich Ihnen noch Hammelbraten anbieten, beziehungsweise das, was von dem Braten übrig ist. Ein Brotkanten wird sich wohl auch noch finden lassen.«

»Schön«, sagte Lansing, »das wird reichen.«

»Aber Sie wissen, daß Sie nicht bleiben können. Morgen früh müssen Sie gehen.«

»Ja, ich weiß«, sagte Lansing, zu müde, um zu streiten. Von seinem Platz aus beobachtete er, wie Mine zur Küche schlurfte, in der schwaches Licht brannte. Abendbrot, dachte er, danach der Fußboden zum Schlafen, und morgen früh mußte er wieder fort. Wohin sollte er gehen, wenn er das Gasthaus verlassen hatte? Höchstwahrscheinlich würde er den Weg zurückgehen, am Würfel vorbei und wieder zur Stadt, immer noch auf der Suche nach Mary, aber mit immer geringerer Hoffnung, sie jemals wiederzufinden. Und am Ende bliebe ihm nur noch das Lager am Fluß, wo die anderen Gestrandeten ihr karges Dasein fristeten. Eine trostlose Aussicht, eine, die er sich nicht gern vor Augen führte. Aber ihm blieb wohl keine andere Wahl. Und falls er Mary doch noch fände, was dann? Müßten sie dann gemeinsam im Lager Zuflucht suchen? Ihn fröstelte bei dem Gedanken.