»Warum haben wir nicht auch solche Kreaturen? Warum haben wir keine Worns, die für uns kämpfen?«, murrte König Berro.
»Wahrscheinlich hatten die Weißen keine Zeit, selbst welche zu züchten«, erwiderte Guire besänftigend.
»Sie sind widernatürliche Gräuel«, knurrte eine Frau.
Mehrere Köpfe wandten sich zu der Sprecherin um. Traumweberin Raeli sah sie mit kaltem Blick an. »Wenn eure Weißen derart verderbte Bestien geschaffen hätten, wären sie dann auch nur um einen Deut besser als diese Pentadrianer?«, fragte sie. Die beiden Könige blickten nachdenklich drein, obwohl klar war, dass ihre Worte Berro nicht vollends überzeugt hatten.
»Sie züchten stattdessen Träger«, sagte Meeran. »Und mein Volk hat sie mit kleinen Helfern ausgestattet.« Er deutete auf den Käfig, den Danjin in der Hand hielt. Danjin blickte auf Unfug hinab. Der Veez war bisher während der Schlacht sehr still gewesen. Danjin hatte es nicht gewagt, Unfug zurückzulassen, weil er davon überzeugt war, dass der Veez in diesem Falle entflohen wäre und sich auf die Suche nach Auraya gemacht hätte.
»Reyna und Veez?«, schnaubte Berro. Er blickte nach links, wo Stallburschen die fünf weißen Träger bereithielten, für den Fall, dass die Weißen sie benötigen sollten. »Nur die Weißen haben Träger, und sie benutzen sie nicht einmal – und welchen Sinn sollte ein Haustier schon im Krieg haben?«
»Raus«, sagte Unfug.
Der Veez war an eine andere Stelle des Käfigs gerutscht. Danjin blickte hinab. »Nein. Bleib.«
»Raus«, beharrte Unfug. »Weg. Laufen.«
»Nein. Auraya wird später zurückkommen.«
Der Veez begann in dem Käfig in Kreisen zu laufen, so dass der Käfig hin und her schwankte. »Laufen! Böse Dinge kommen. Laufen! Verstecken! Laufen!«
Danjin runzelte die Stirn. Die Erregung des kleinen Tieres wuchs. Vielleicht war der Entführer des Veez in der Nähe. Danjin ließ den Blick über die Gesichter um sich herum gleiten. Diejenigen, die am nächsten standen, betrachteten den Veez voller Neugier. Dann wandte Danjin sich von dem Kreis in seiner unmittelbaren Nähe ab und blickte nach links und nach rechts und über seine Schulter.
Und sah vier schwarze Gestalten über den Felskamm auf sie zulaufen.
Er rief eine Warnung. Schreie wurden laut, als auch die anderen die Worns entdeckten. Einen Augenblick lang herrschte Zögern, während die Menschen sich in Todesangst aneinander festklammerten oder mit anderen zusammenstießen, als sie zu fliehen versuchten. Die Reihe der Beobachter brach. Die meisten Menschen jagten den Hügel hinunter, in Richtung der Schlacht, und nur wenige blieben schreckensstarr auf dem Felskamm stehen. Die Beobachter in der ersten Reihe verharrten auf ihrem Posten, festgehalten von einer starken, zuversichtlichen Stimme.
»Ihr geht alle in den Pavillon und bleibt dort«, sagte Hohepriester Haleed und trat einige Schritte vor, um sich zwischen die Worns und den Pavillon zu stellen. »Ich kümmere mich darum.«
Danjin runzelte die Stirn, als ihm klar wurde, dass der somreyanische Älteste, abgesehen von Raeli, der Einzige unter den Beobachtern war, der eine magische Ausbildung besaß – obwohl er keine Ahnung hatte, wie groß Raelis Gaben waren. Nicht alle Traumweber waren starke Zauberer.
Sie zwängten sich in den zweifelhaften Schutz des aus Tuch errichteten Pavillons. Draußen deckten die Stallburschen hastig die Köpfe der Reyna mit Tüchern ab, in der Hoffnung, dass die Reittiere nicht in Panik geraten und flüchten würden. Sie zogen sie so nah wie nur möglich an den Pavillon heran.
Liedmacher stand noch immer draußen, den Rücken an den Pavillon gelehnt. Seine Aufmerksamkeit galt einzig der Schlacht. Danjin sah, dass der Mann verwirrt die Menschen beobachtete, die ins Tal hinabflohen. Er rief den Namen des Mannes. Liedmacher drehte sich um, und an die Stelle der Verwirrung trat jetzt Erschrecken, als er die Szene erfasste. Als er auf den Pavillon zuging, konnte Danjin ganz in der Nähe ein Tier vor Schmerz heulen hören.
Es war einer der Worns, der mit zuckenden Gliedern auf dem Boden lag. Die anderen zogen sich rückwärts zurück und sprangen bald in diese, bald in jene Richtung, um Haieeds Angriffen zu entgehen.
»Ah, Magie«, murmelte Liedmacher. »Ein Soldat mag im Alter seine Kräfte verlieren, aber für einen Zauberer gilt das nicht.«
Solange er sich gute Reflexe bewahrt, fügte Danjin bei sich hinzu. Haleed gelang es, einen weiteren Worn zu verletzen, aber die meisten seiner Zauber hatten die flinken Tiere verfehlt.
»Dein Schoßtier hat sich am Ende also doch als nützlich erwiesen«, flüsterte jemand Danjin ins Ohr. »Mach dir keine Sorgen um ihn. Er wird zurückkommen.«
Raeli war neben ihn getreten. Sie schaute zu Boden, und als Danjin ihrem Blick folgte, stellte er fest, dass der Käfig, den er noch immer in der Hand hielt, leer war. Erschrocken hielt er nach dem Veez Ausschau.
»Spar dir die Mühe. Er kann auf sich selbst aufpassen«, versicherte ihm Raeli.
»Wenn er es mit Worns zu tun hat?«
»Sie sind nicht hinter Veez her, sie sind...«
Ihre Worte wurden von einem Schmerzensschrei übertönt, dem ein unmenschliches Kreischen folgte. Als Danjin sich umdrehte, sah er Haleed unter einer wogenden Masse schwarz gefiederter Gestalten taumeln. Die Roben des Priesters waren von Blut durchtränkt.
»Die Vögel!«, rief jemand. »Helft ihm!«
»Seine Augen«, zischte Liedmacher. »Sie haben es auf seine Augen abgesehen.«
Meeran brüllte einige Befehle, und mehrere Diener liefen los, zogen sich dann aber hastig wieder in den Pavillon zurück. Danjin sah eine schwarze Gestalt, die sich auf Haleed stürzte und den alten Mann zu Boden warf. Eine Woge der Angst überflutete ihn, als zwei weitere schwarze Gestalten an dem Priester vorbeirannten. Im nächsten Moment wurde Danjin beiseitegestoßen.
Er verlor beinahe das Gleichgewicht, aber irgendjemand packte ihn am Arm und gab ihm Halt. Um ihn herum herrschte Chaos: Schreie, Heulen, verzweifelte Befehle und das Kreischen der Vögel. Wie konnten so wenige Menschen so viel Lärm machen? Noch bevor er sich diese Frage beantworten konnte, wurde er herumgerissen.
Raeli stand vor ihm. Er blickte sie überrascht an. Hinter ihr sah er ein Reyna mit König Berro im Sattel davongaloppieren.
»Bleib dicht bei mir«, sagte Raeli. »Es ist mir verboten zu töten, aber ich kann dich beschirmen.«
Er nickte. Als sie sich zu dem Pavillon umwandte, hörte man ein lautes Krachen, und das Gebäude stürzte in sich zusammen. Die Markise war bedeckt von Vögeln. Raeli breitete die Hände aus. Die Luft knisterte, und der Schwärm erhob sich kreischend in den Himmel.
Lautes Hufgetrappel erregte Danjins Aufmerksamkeit: Die Träger galoppierten davon. Auf jedem saßen zwei Reiter, und Danjin stellte erleichtert fest, dass Vermittler Meeran unter ihnen war.
»Gut«, sagte Raeli. »Das erspart mir einige Mühe.«
Dann tauchte eine schwarze Gestalt unter dem Pavillon auf und machte sich an die Verfolgung der Reiter.
Raeli verzog das Gesicht. »Ich hoffe, diese Träger können tatsächlich so schnell laufen, wie man ihnen nachsagt.«
»Sie können es«, versicherte ihr Danjin. »Obwohl ich nicht weiß, ob...«
Als ein wildes Knurren unter dem Pavillon laut wurde, zuckte Danjin heftig zusammen. Ein Beben durchlief die Plane, und er wich zurück, aber Raeli blieb, wo sie war. Sie bückte sich und zog an dem Stoff.
»Lass ihn nicht frei!«
Sie beachtete seinen Einwurf nicht und zog den Stoff beiseite. Danjin blickte voller Entsetzen auf die blutverschmierten Leiber darunter. Eine schwarze Gestalt bäumte sich auf und stürzte sich auf Raeli. Raeli machte eine knappe Handbewegung, und der Worn wurde zur Seite gerissen. Er musterte sie mit erschreckender Intelligenz, bevor er sich davonschlich.