Eine vertraute Stimme begann heftig zu fluchen. Als Danjin zu Boden blickte, sah er zu seiner Überraschung, dass Liedmacher sich mühsam auf die Füße zog. An seinem linken Arm klafften tiefe Wunden, aus denen Blut rann.
»Ich kann dich heilen«, erbot sich Raeli, die näher an den Mann herangetreten war, um die Wunde zu untersuchen.
Liedmacher zögerte, und für einen Moment trat ein leerer Ausdruck in seine Augen, dann runzelte er die Stirn.
»Vielen Dank, Traumweberratgeberin«, erwiderte er förmlich, »aber ich muss dein Angebot ablehnen. Fürs Erste wird ein Verband genügen.«
Ihre Lippen wurden schmal. »Ich werde sehen, was ich finden kann.«
Jähes Mitgefühl für Raeli stieg in Danjin auf, das zu seiner eigenen Überraschung einem Anflug von Ärger wich. Wie es aussieht, muss ich Auraya recht geben, dass das Gesetz gegen die Inanspruchnahme der Dienste der Traumweber lächerlich ist. Der Worn lag noch immer ganz in ihrer Nähe auf der Lauer. Raeli vermied es, ihm den Rücken zuzuwenden, während sie von der Tunika eines der toten Diener einen Stoffstreifen abriss, um damit Liedmachers Wunde zu verbinden.
»Wenn die Weißen wollen, dass du hierbleibst, sollten sie dir am besten einen Priester schicken – und zwar bald«, sagte sie. »Ich kann ein oder zwei dieser Kreaturen abwehren, aber ich bezweifle, dass ich mit einer größeren Zahl fertigwerden würde.«
Ihr Blick wurde hart. »Richte deinem Anführer aus, dass meine Leute in einigen Stunden hier sein werden. Erinnere ihn daran, dass wir niemals Partei ergreifen, dass wir jedem unsere Hilfe anbieten werden. Sollten die Pentadrianer uns akzeptieren, während die Zirkler uns zurückweisen, wird das nicht unsere Schuld sein.«
Lanren hielt ihrem Blick ungerührt stand, dann nickte er. »Es sind bereits mehrere Priester auf dem Weg.«
Als die Karawane der Traumweber haltmachte, hing die Sonne schon tief am Himmel. Ihre Zahl war inzwischen auf etwa hundert Männer und Frauen gewachsen. Leiard wusste, dass noch mehr Traumweber zu der Schlacht kommen würden. In den Tälern in der Nähe lagerten weitere Karawanen. Solchermaßen verstreut, verringerten sie das Risiko, dass die Zirkler die Welt nach der Schlacht mit einem einzigen Schlag von hunderten von Traumwebern befreien konnten.
Sie hatten einen Tagesmarsch vom Schlachtfeld entfernt haltgemacht, und Arleej hatte eine Gruppe von zwanzig Personen ausgewählt, die sie dorthin begleiten sollten. Die meisten der anderen würden erst folgen, wenn die Schlacht vorüber war. Einige würden zurückbleiben, um die Tarns verteidigen zu können, falls einzelne Soldaten auf die Idee kamen, sie zu plündern.
Leiard hatte sich Arleejs Gruppe angeschlossen, und er hatte Jayim mitgenommen, da er wusste, dass der Junge sich hinter ihm herschleichen würde, wenn er ihn zurückließ. Als sie nun den Schauplatz der Zerstörung erreichten, spürte er, wie Jayims Neugier dem Grauen wich.
Das Tal war dunkel von aufgewühltem Schlamm, verkohltem Gras und verstümmelten Leichen. In der Luft lag ein stetes Tosen, das aus einiger Entfernung kam. Es waren Schreie und das Klirren von Waffen und Schilden, immer wieder überlagert vom Dröhnen magischer Angriffe. Fünf weiße Gestalten standen fünf Schwarzen auf der anderen Seite des Tals gegenüber. Die Luft zwischen ihnen blitzte und zuckte. Riesige Brandmale, die voller verkohlter Leichen waren, waren dort zurückgeblieben, wo kein Schild die Angriffsenergie der gegnerischen Zauberer aufgenommen hatte. Leiard erinnerte sich an andere Schlachten, die kleiner, aber nicht minder grausam gewesen waren. Auch wenn es nicht seine eigenen Erinnerungen waren, waren sie dennoch ungeheuer lebhaft. Zauberei und Tod. Vergeudung und Schmerz. Er sah, dass diese Schlacht neue Elemente enthielt. Schwarze Bestien – die Worns, von denen Auraya ihm erzählt hatte -strichen zwischen den zirklischen Soldaten umher, mörderisch und schwer zu töten. Über den Köpfen der Kämpfer und der Zauberer kreisten Siyee. Kleinere, schwarze Gestalten machten Jagd auf sie und zogen ihre Opfer zu Boden.
Jetzt entfernten sich drei Siyee von der Luftschlacht, um über den Köpfen der Pentadrianer zu kreisen und einen Hagel von Wurfgeschossen auf sie niedergehen zu lassen. Ein Siyee stürzte zu Boden, als die Bogenschützen mit einer Salve von Pfeilen auf den Angriff reagierten, aber auch in den Reihen der Pentadrianer gab es Verluste. Dennoch war jeder einzelne Tote für die Siyee vernichtend. Es gab nur sehr wenige von ihnen.
Ich kann bloß hoffen, dass die Zirkler siegen werden, dachte Leiard plötzlich. Sonst könnte dies das Ende der Siyee bedeuten.
Die größte Tragödie ist, dass sie überhaupt hier sind, bemerkte Mirar düster. Dies wird das größte Verbrechen deiner ehemaligen Geliebten sein: dass sie ein friedliches Volk zu Kriegern gemacht und in seine Vernichtung geführt hat.
»Also, hier sind wir. Was hältst du davon, Leiard?«
Arleej war neben ihn getreten.
»Torheit«, antwortete er. »Vergeudung.«
Sie lächelte grimmig. »Ja, ich bin deiner Meinung. Aber was hältst du von den beiden Armeen? Worin liegen ihre Stärken und ihre Schwächen? Wer wird den Sieg davontragen?«
Leiard runzelte die Stirn und wandte sich wieder der Schlacht zu. »Es ist eine typische Begegnung. Die Zauberer kämpfen von hinten und schützen sowohl ihre Armee als auch sich selbst mit Magie. Die stärkeren unter den niederen Zauberern bleiben bei ihnen und leihen ihnen ihre Macht.«
»Du sprichst von den Weißen?«, fragte Jayim. »Und von den Priestern und Priesterinnen.«
»Ja«, antwortete Leiard. »Jene, die sich im Kampf nicht auf Magie stützen können, hoffen immer, dass die Zauberer sie schützen werden. Soldaten, Bogenschützen, berittene Kämpfer, die Fahrer von Kriegsplattans, Siyee, Worns, die schwarzen Vögel. Sie mögen keine starken Gaben haben, aber sie werden benutzen, was sie nur können.«
»Die Siyee sind wie Bogenschützen«, sagte Jayim. »Fliegende Bogenschützen.«
»Ja«, stimmte Arleej ihm zu. »Sie stützen sich auf das Überraschungselement und drehen ab, bevor die pentadrianischen Bogenschützen Zeit finden, zurückzuschlagen.«
»Und die gleiche Strategie benutzen die Worns«, warf ein anderer Traumweber ein.
»Aber sie brauchen keine Gegner wie die schwarzen Vögel zu bekämpfen.«
»Die Siyee verteidigen sich recht gut gegen die Vögel«, erklärte Leiard. »Die Vögel scheinen nur in der Gruppe anzugreifen, niemals allein, aber dadurch können sie leichter von Wurfgeschossen getroffen werden.«
»Was geschieht, wenn die zirklische Armee verliert, aber die Weißen gewinnen?«, fragte Jayim.
Leiard lächelte grimmig. »Wenn die Weißen die pentadrianischen Zauberer bezwingen, können sie die restlichen Pentadrianer töten – oder ihre Unterwerfung verlangen.«
»Würden sie ihre eigenen Soldaten im Stich lassen, um ihre gesamte Magie darauf zu verwenden, die schwarzen Zauberer zu töten?«
»Vielleicht als allerletztes Mittel.«
»Ich... ich verstehe nicht. Warum machen sie sich überhaupt die Mühe, Soldaten in die Schlacht mitzubringen? Ich kann nachvollziehen, dass die Priester den Weißen helfen können, indem sie ihnen zusätzliche magische Stärke geben, aber mir ist unklar, inwiefern Soldaten einen Unterschied machen.«
Arleej lachte leise. »Du musst bedenken, welche Motive hinter einem Krieg stecken. Es geht fast immer darum, die Herrschaft über etwas zu erlangen, daher lässt sich der größte Gewinn den Besiegten abpressen. Ein Eindringling denkt über die Schlacht hinaus. Nach dem Sieg muss er die Kontrolle behalten. Selbst wenn sie mächtige Zauberer sind, können sie nicht an allen Orten gleichzeitig sein, daher bringen sie Helfer mit. Geringe Zauberer. Kämpfer. Menschen, die sich von der Aussicht auf Beute und Land verlocken lassen. Die Verteidiger wissen das und stellen eine Armee auf, für den Fall, dass sie verlieren. Wenn die Armee der Verteidiger möglichst viele Soldaten des Gegners tötet, bleiben weniger potenzielle Eroberer zurück, die ihr Land unterwerfen können. Das eroberte Volk hat auf diese Weise bessere Chancen, sich später wieder gegen die Eroberer zu erheben.«