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Ein weiteres Opfer eines Sturzes, bemerkte Mirar. Auch sein Rückgrat könnte gebrochen sein. Dies würde viel Magie und Konzentration erfordern. Leiard kümmerte sich nicht um das weinende Mädchen, sondern kniete sich neben den Siyee und zog Magie in sich hinein.

Danjin schreckte aus dem Schlaf auf. Er lag an einem Feuer. Flammen züngelten an einem frischen Holzscheit.

Wie lange habe ich geschlafen?

Er richtete sich auf. Ein Diener ging an ihm vorbei, wahrscheinlich der Mann, der das Holz gebracht hatte. Er sah sich im Lager um. Es brannten jetzt weniger Lampen als zuvor. Nur eine Handvoll Menschen bewegte sich noch leise umher. Über allem lag eine tiefe Stille. Kein Wind. Nur wenig Geräusche.

Dann blickte er auf. Im Osten war bereits ein schwaches Leuchten zu erkennen. Die Morgendämmerung. Ich habe fast die ganze Nacht geschlafen.

Das war nicht seine Absicht gewesen. Er hatte eigentlich nur ein warmes Getränk und etwas zu essen zu sich nehmen wollen. Das Schlafen auf dem Boden war ihm nicht gut bekommen; ihm taten alle Knochen weh. Ohne ein festes Ziel im Sinn stand er auf, reckte sich und ging los.

Seine Beine trugen ihn zu einer Seite des Lagers hinüber. Es freute ihn ungemein, einen toten Worn dort liegen zu sehen, mit einer Vielzahl von Pfeilen, Messern und sogar Holzsplittern in der Flanke. Dahinter lag eine lange Reihe von Leichen – die Diener, die ihr Leben gelassen hatten. Es war ein schlimmer Anblick, aber nichts im Vergleich zu dem Schlachtfeld auf der anderen Seite des Felsvorsprungs.

Als er zum Tal hinüberblickte, sah er eine Gruppe von Dienern am Rand des Lagers stehen. Dann löste sich eine Gestalt aus der Dunkelheit. Ein blutverschmierter hanianischer Soldat. Zwei Diener traten vor, hüllten den Mann in eine Decke und führten ihn zu einem Feuer.

Als kurz darauf zwei dunwegische Krieger erschienen, wurde Danjin klar, was dort geschah. Dies waren die Überlebenden der Schlacht, die von Priestern und Traumwebern geheilt worden waren.

Das muss ich sehen.

Danjin ging an den wartenden Dienern vorbei den Hügel hinauf. Der Himmel wurde jetzt langsam heller. Als er oben auf dem Felsvorsprung angekommen war, konnte er Männer und Frauen zum Lager zurückkehren sehen. Einige gingen, andere humpelten. Wieder andere wurden von Dienern gestützt. Einige wenige mussten getragen werden. Auf dem Felsvorsprung stand eine vertraute Gestalt. Schuldgefühle durchzuckten ihn, als er sie sah. Sie drehte sich zu ihm um, dann winkte sie ihn herbei.

»Guten Morgen, Danjin Speer«, sagte Auraya leise.

»Auraya«, erwiderte er. »Ich muss mich entschuldigen.«

»Wenn du das möchtest, dann tu es. Aber dich trifft keine Schuld. Sie hätten es ohnehin herausgefunden. Ich hatte vor, es ihnen irgendwann zu sagen – und dir auch.«

Er blickte zu Boden. »Du musst wissen, dass ich glaube, du hättest eine bessere Wahl treffen können.«

»Ja.«

»Ob es nun eine gute Wahl war oder nicht, du bist sicher... enttäuscht über das Ergebnis.«

Sie lächelte müde. »Wie taktvoll du dich ausdrückst. Ja, ich war enttäuscht. Aber das gehört jetzt der Vergangenheit an. Ich muss mich um wichtigere Dinge kümmern.«

Er lächelte. »Das ist allerdings wahr.«

Sie wandte sich dem Tal zu. Als Danjin ihrem Blick folgte, sah er Bewegungen zwischen den gefallenen Soldaten. Traumweber und Priester bei der Arbeit.

»Die Veränderung, die schon lange mein Ziel war, ist nun von allein eingetreten«, murmelte sie.

»Veränderung?«

Sie hob die Hände. »Statt die Heilkünste der Traumweber zu ignorieren oder ins Verächtliche zu ziehen, schenken die Heilerpriester ihnen ihre Aufmerksamkeit. Sie werden heute viel lernen.«

Danjin sah sie mit großen Augen an. Priester, die von Traumwebern lernten? War es tatsächlich das, worauf sie die ganze Zeit über hingearbeitet hatte? Als ihm die Konsequenzen dieser Entwicklung dämmerten, war er tief beeindruckt von Aurayas Klugheit. Wenn die Priester die gleichen Dienste wie Traumweber anbieten konnten, würden die Traumweber überflüssig werden.

Wusste Leiard davon? Hat er es jemals auch nur geahnt?

Danjin bezweifelte, dass ihm diese Idee gefallen hätte. Und als seine Geliebte musste Auraya gezögert haben, auf das Ende seiner Zunft hinzuarbeiten, selbst wenn das bedeutet hätte, dass sie die Seelen derer retten würde, die sich anderenfalls in der Zukunft dem heidnischen Kult angeschlossen hätten.

Wie lange plante sie das schon? Und war die Ernennung Leiards zum Traumweberratgeber ein Schritt in diese Richtung gewesen? Jetzt, da Leiard fort war, war sie frei, ihre Arbeit fortzusetzen.

Auraya seufzte und drehte sich um. Danjin blickte wieder zum Lager hinüber und sah, dass die anderen vier Weißen näher kamen.

»Wir werden uns jetzt ein wenig mit den Göttern unterhalten«, bemerkte Auraya leichthin. »Geh zurück zum Lager, Danjin. Ich werde bald zum Frühstück nachkommen.«

Er nickte, dann sah er ihr nach, während sie den Hang hinunter zu den anderen Weißen ging.

Ein Soldat kam aus dem Tal auf ihn zugehumpelt. Er warf noch einen letzten Blick auf Auraya, dann eilte er hinüber, um dem Mann zu helfen.

Tryss versuchte nun schon lange, es zu verstehen. Seit Stunden hatte er benommen dagelegen und gelauscht, wie Männer und Frauen sich leise in Sprachen unterhielten, die er nicht verstand. In ihren Stimmen lag ein Unterton von Verzweiflung. Erst viel später wurde ihm klar, dass es Gebete waren, die er hörte. Das Gemurmel brach nicht ab. Irgendwann aber waren die meisten Stimmen verklungen. Er fragte sich, ob die Götter geantwortet hatten. Er hoffte es. Jetzt erklang eine neue Stimme, aber diese sagte nicht die Namen der Götter, sondern einen vertrauteren Namen.

»Tryss! Du lebst! Tryss! Wach auf! Sprich mit mir!«

Die Stimme war so vertraut. Und irgendwie tröstlich. Trotzdem würde er nicht tun, was sie sagte. Aufwachen bedeutete Schmerz. Und er hatte an diesem Tag schon mehr als genug Schmerzen erlitten.

»Tryss...« Es folgte eine lange Pause, dann ein erstickter Laut. »Tryss. Ich muss dir etwas erzählen. Wach auf.«

Neugier regte sich in ihm, aber es war nicht genug. Die Erinnerung an den Schmerz war zu erschreckend. Er ließ sich wieder in einen benommenen Schlummer sinken. Dann kehrte der Schmerz zu ihm zurück.

Es war nicht wie zuvor – ein ferner, steter Schmerz. Dieser Schmerz kam in kurzen Stichen. Wann immer er durch seinen Körper schoss, folgte eine kurze Phase, in der ihm nichts wehtat. Irgendjemand wollte ihm nicht gestatten, in dem behaglichen Zustand des Schlummers zu verweilen. Die Stimme wird glücklich sein, dachte er mürrisch. Ich wache auf; genau das, was sie will. Ich werde die Augen öffnen und...

Plötzlich sah er ein Gesicht über sich. Ein Mann beugte sich, die Stirn konzentriert gerunzelt, über ihn. Das Gesicht passte nicht zu der Stimme.

»Tryss! Oh, ich danke dir!«

Der Ausruf kam von Tryss’ linker Seite. Er wollte den Kopf in diese Richtung wenden, aber es tat zu weh. Also verdrehte er die Augen. Er konnte ein verschwommenes Gesicht sehen. Ein weibliches Gesicht.

Sie beugte sich vor, und das Wissen, wer sie war, traf ihn wie ein Blitzschlag. »Drilli.«

Ich habe gesprochen, dachte er. Vielleicht liege ich doch nicht im Sterben. Er sah wieder zu dem Mann hinüber. Ein Traumweber. Ein weiterer Stich des Schmerzes durchzuckte Tryss, dann folgte Benommenheit. Er wandte die Augen nach rechts und spürte die Hände des Traumwebers auf seinem Arm.

Dann nahm er eine Bewegung in seinem Arm wahr. Knochen und Fleisch verlagerten sich. Das Gefühl war eigenartig und übelkeiterregend. Tryss entschied, dass es besser sei, nicht hinzusehen. Stattdessen blickte er zu Drilli hinüber. Sie war so schön – selbst mit Schlamm, Schweiß und Blut bedeckt. Sie grinste ihn an, und ihre Augen schimmerten eigenartig.