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Die Mode der Stadt? Sie ist nicht hierhergekommen, um sich für Mode zu interessieren, sondern um Priesterin zu werden. Bei diesem Gedanken fielen ihm seine Gastgeber wieder ein. Das Wissen, dass sie eine Priesterin der Zirkler in ihrem Haus hatten, erschreckte sie vielleicht – vor allem, da es sich um eine Hohepriesterin handelte. Zumindest hatte Auraya Verstand genug, die Gewänder ihres Standes zu bedecken. Er drehte sich zu Tanara um.

»Gibt es einen Ort, an dem die Dame und ich ungestört reden können?«

Tanara lächelte. »Ja. Auf dem Dach. An einem Sommerabend ist es sehr schön dort oben. Folgt mir.«

Die Frau führte sie durch den Gemeinschaftsraum zu der Treppe gegenüber der Haupttür. Als Leiard aufs Dach hinaustrat, war er überrascht, festzustellen, dass sich überall Topfpflanzen und abgenutzte Holzstühle befanden. Er konnte die benachbarten Wohnungen und andere Menschen sehen, die sich in ihren Dachgärten entspannten.

»Ich werde euch etwas Kühles zum Trinken holen«, sagte Tanara und verschwand wieder die Treppe hinunter.

Auraya nahm Leiard gegenüber Platz und seufzte. »Ich hätte dir eine Nachricht schicken und dich von meinem Besuch in Kenntnis setzen sollen. Oder ich hätte einen anderen Treffpunkt vorschlagen können. Aber sobald ich erfahren hatte, dass du hier bist...«

Sie lächelte schief. »Ich musste einfach sofort kommen.«

Er nickte. »Du hast das Bedürfnis, mit jemandem über deine Mutter zu reden, der sie kannte«, bemerkte er.

Ihr Lächeln verblasste. »Ja. Wie ist sie denn...?«

»Alter und Krankheit.« Er breitete die Hände aus. »Ihre Krankheit hat, als sie älter wurde, einen höheren Tribut gefordert als zuvor. Zu guter Letzt konnte sie sich nicht mehr dagegen wehren.«

Auraya nickte. »Das war also alles? Sonst nichts?«

Er schüttelte den Kopf. »Wenn jemand eine Krankheit über lange Zeit hinweg in Schach gehalten hat, ist es für die anderen oft eine Überraschung, wenn der Tod schließlich doch kommt.«

Sie verzog das Gesicht. »Ja – vor allem, wenn der Zeitpunkt, da es geschieht... unglücklich ist.« Sie stieß einen langen Seufzer aus. »Wie geht es Vater?«

»Er war wohlauf, als ich Oralyn verließ. Natürlich trauerte er, aber er hat den Tod deiner Mutter auch akzeptiert.«

»Du hast dem Akolythen erzählt, du hättest die Nachricht in den Händen eines betrunkenen Kuriers gefunden. Weißt du, warum Priester Avorim sich nicht mit mir in Verbindung gesetzt hat?«

»Der Kurier hat behauptet, Avorim sei krank.«

Sie nickte. »Er muss inzwischen sehr alt sein. Armer Avorim. Ich habe ihm während seiner Unterrichtsstunden das Leben so schwergemacht. Und dir auch.« Sie blickte zu ihm auf und lächelte schwach. »Es ist seltsam. Ich erkenne dich, aber du siehst anders aus.«

»Inwiefern?«

»Jünger.«

»Kinder halten alle Erwachsenen für alt.«

»Vor allem, wenn diese Erwachsenen weißes Haar haben«, erwiderte sie. Sie zupfte an dem Umhang, der sie umhüllte. »Es ist ein wenig heiß für diese Kleidung«, fuhr sie fort.

»Ich hatte befürchtet, dass ich deine Gastgeber in Schwierigkeiten bringen könnte, wenn die Leute mich hierher hätten kommen sehen.«

»Ich weiß nicht, wie das Leben für Traumweber in der Stadt ist.«

»Aber du glaubst, deine Gastgeber würden erschrecken, wenn sie wüssten, wer ich bin«, vermutete sie. »Wahrscheinlich.«

Sie runzelte die Stirn. »Ich möchte nicht, dass die Menschen mich fürchten. Es gefällt mir nicht. Ich wünschte...« Sie seufzte. »Aber wer bin ich, mir zu wünschen, die Menschen würden sich ändern?«

Er betrachtete sie eingehend. »Du bist in einer besseren Position als die meisten.«

Sie sah ihn an, dann lächelte sie verlegen. »Da hast du wohl recht. Die Frage ist: Werden die Götter es zulassen?«

»Du denkst doch nicht etwa daran, ihnen diese Frage zu stellen, oder?«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Vielleicht werde ich es tun.«

Als er ein Aufblitzen in ihren Augen wahrnahm, verspürte Leiard unerwartete Zuneigung zu der jungen Frau. Es schien, als stecke noch immer ein wenig von dem neugierigen Kind mit seinen endlosen Fragen in ihr. Er fragte sich, ob sie diese Seite ihres Selbst auch den anderen Priestern zeigte und wie sie damit fertigwurden.

Ich kann mir sogar vorstellen, dass sie die Götter über die Natur des Universums aushorcht, dachte er und lachte still vor sich hin. Dann wurde er wieder ernst. Es ist leicht, Fragen zu stellen. Viel schwerer ist es, Veränderungen herbeizuführen.

»Wann hast du vor, aufzubrechen?«, erkundigte sie sich. »Morgen.«

»Ich verstehe.« Sie wandte den Blick ab. »Ich hatte gehofft, du würdest vielleicht ein wenig länger bleiben. Vielleicht für ein paar Tage. Ich würde gern noch einmal mit dir sprechen.«

Er dachte über ihre Bitte nach. Nur für ein paar Tage. Leise Schritte auf der Treppe verrieten, dass Tanara zurückkehrte. Kurz darauf erschien sie mit einem Tablett, auf dem getöpferte Kelche und eine Schale mit getrockneten Früchten standen. Sie ließ das Tablett sinken und bot es Auraya an. Als Auraya die Hand ausstreckte, um nach einem der Kelche zu greifen, keuchte Tanara auf, und das Tablett fiel zu Boden. Leiard bemerkte, dass Auraya die Finger leicht durchbog. Die Flüssigkeit in den Kelchen schwappte, und das Tablett schwebte in der Luft. Er blickte zu Tanara auf. Die Frau starrte Auraya an. Jetzt bemerkte auch er, dass das Tuch, das Auraya um die Schultern trug, weggerutscht war und man den Saum ihres Zirks sehen konnte. Er stand auf und legte Tanara die Hände auf die Schultern. »Du hast nichts zu befürchten«, sagte er besänftigend. »Ja, sie ist eine Priesterin. Aber sie ist auch eine alte Freundin von mir. Sie stammt aus dem Dorf in der Nähe meiner...«

Tanara griff mit weit aufgerissenen Augen nach seiner Hand. »Keine Priesterin«, stieß sie hervor. »Viel mehr als eine Priesterin. Sie ist... sie ist...« Sie warf Leiard einen fassungslosen Blick zu. »Du bist ein Freund von Auraya von den Weißen?«

»Ich...« Auraya von den was? Er sah auf Auraya hinab, in deren Zügen sich tiefe Verlegenheit spiegelte. Sofort senkte er den Blick auf den Zirk. Die goldene Borte, die sie als Hohepriesterin ausgewiesen hätte, fehlte.

Der Zirk wies überhaupt keine Borte auf.

»Wann ist das geschehen?«, fragte er.

Sie lächelte entschuldigend. »Vor neun oder zehn Tagen.«

»Warum hast du es mir nicht erzählt?«

»Ich wollte auf den richtigen Augenblick warten.«

Tanara ließ Leiards Hand los. »Es tut mir leid. Ich wollte dir deine Überraschung nicht verderben.«

Auraya lachte kläglich. »Es ist nicht wichtig.« Sie griff nach dem Tablett und stellte es neben sich auf die Bank. »Ich sollte mich dafür entschuldigen, dass ich dir so viel Ungemach bereitet habe. Ich hätte mich an einem anderen Ort mit Leiard treffen sollen.«

Tanara schüttelte den Kopf. »Nein! Du bist hier willkommen. Wann immer du dieses Haus besuchen möchtest, bitte, zögere nicht...«

Aurayas Augen wurden um eine Spur schmaler, dann lächelte sie breit und stand auf.

»Ich danke dir, Tanara Bäcker. Das bedeutet mir mehr, als du ahnen kannst. Aber ich möchte dennoch für mein Eindringen heute Abend um Verzeihung bitten.« Sie zog das Tuch fester um sich. »Und ich sollte in den Tempel zurückkehren.«

»Oh...« Tanara sah Leiard entschuldigend an. »Ich werde dich zur Tür begleiten.«

»Vielen Dank.«

Als die beiden Frauen gegangen waren, setzte sich Leiard langsam wieder auf seinen Platz. Auraya ist eine der Weißen.

Bitterkeit überwältigte ihn. Er hatte das Potenzial in ihr gesehen. Sie war intelligent, aber nicht arrogant. Sie war neugierig, was andere Menschen betraf, begegnete ihnen jedoch ohne Geringschätzung.