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Ihre Fähigkeit, zu lernen und Gaben zu nutzen, war größer als die jedes anderen Schülers, den er je unterrichtet hatte.

Natürlich hatten sie sie auserwählt. Er hatte sich sogar selbst gesagt, wie viel besser es sei, dass sie zu den Zirklern gegangen war, denn durch die strengen Einschränkungen, die den Traumwebern auferlegt waren, wäre ein großer Teil ihres Potenzials vergeudet worden.

Und wie viel besser ist es jetzt, dass sie eine der unsterblichen Weißen ist?, fragte er sich voller Groll. Die Welt wird für immer von ihren Talenten profitieren.

Und ihr Verlust wird dich für alle Ewigkeit quälen.

Der Gedanke verblüffte ihn. Er klang so, als habe ihn seine eigene Gedankenstimme geäußert, und doch kam es ihm so vor, als hätte er die Gedankenstimme eines anderen vernommen.

»Leiard?«

Er blickte auf. Tanara war zurückgekehrt. »Geht es dir gut?«

»Ich bin ein wenig überrascht«, erwiderte er trocken.

Tanara ging zu dem Stuhl dem seinen gegenüber. Dem Stuhl, auf dem Auraya gesessen hatte. »Du wusstest es nicht?«

Er schüttelte den Kopf. »Es scheint, als hätte meine kleine Auraya es in der Welt viel weiter gebracht, als ich gedacht hatte.«

»Deine kleine Auraya?«

»Ja. Ich habe sie als Kind gekannt. Und sie auch unterrichtet. Sie weiß wahrscheinlich mehr über die Heilkunst der Traumweber als alle anderen Priester oder Priesterinnen.«

Tanara zog die Augenbrauen hoch. Dann wandte sie mit nachdenklicher Miene den Blick ab und schüttelte den Kopf. »Ich kann es kaum fassen«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Du bist ein Freund von Auraya von den Weißen.«

Hinter ihnen erklang ein erstickter Laut. Als Leiard sich umdrehte, sah er Jayim auf der Treppe stehen, die Augen geweitet vor Überraschung angesichts dessen, was er soeben mit angehört hatte.

»Jayim«, sagte Tanara, sprang auf und schob ihren Sohn zurück ins Haus. »Du darfst niemandem davon erzählen. Hör mir zu...«

Leiard erhob sich und folgte den beiden die Treppe hinunter, um in sein Zimmer zurückzukehren. Seine schmutzigen Kleider hingen noch immer über der Rückenlehne eines Stuhls. Sein Beutel war halb leer, die Hälfte seines Inhalts lag ausgebreitet auf dem Bett.

Er setzte sich und verstaute seine Habe hastig wieder in dem Beutel. Als er die schmutzige Robe darüberlegte, hörte er Schritte, und kurz darauf erschien Tanara in der Tür. Sie warf einen Blick auf den Beutel, und ihre Züge verhärteten sich.

»Dachte ich es mir doch«, murmelte sie. »Setz dich, Leiard. Ich möchte mit dir reden, bevor du in aller Eile in dein Heim im Wald zurückkehrst.«

Widerstrebend ließ er sich auf das Bett sinken. Tanara setzte sich neben ihn.

»Lass mich nur schnell überprüfen, ob ich soeben richtig verstanden habe. Du sagtest, du hättest Auraya unterrichtet, als sie noch ein Kind war. Heißt das, dass du sie in die Lehre der Traumweber eingeführt hast?«

Er nickte. »Ich hatte gehofft, dass sie sich mir anschließen würde.« Er schüttelte den Kopf. »Nun, du siehst ja selbst, wohin das geführt hat.«

Tanara klopfte ihm auf die Schulter. »Es muss sehr enttäuschend gewesen sein. Umso eigenartiger ist es, dass die Götter sie auserwählt haben. Sie müssen doch wissen, dass sie von einem Traumweber unterrichtet wurde.«

»Vielleicht wussten sie, wem ihre Treue wahrhaft galt«, murmelte er verbittert. Tanara beachtete seinen Einwand nicht. »Es war gewiss ein eigenartiges Gefühl, wieder mit ihr zu reden, obwohl du dachtest, sie sei lediglich eine Hohepriesterin. Als ich auf dem Dach ankam, hast du dich so angehört, als würdest du dich gut mit ihr verstehen. Offensichtlich hast du keine Veränderung bei ihr wahrgenommen. Aber das hättest du getan, wenn diese Auserwählung sie zu einem anderen Menschen gemacht hätte.«

»Ich weiß, ich habe gesagt, wir seien Freunde«, erwiderte er. »Aber das habe ich nur behauptet, um dich nicht zu beunruhigen. Bis zum heutigen Tag hatte ich sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen.«

Tanara nahm diese Information schweigend in sich auf.

»Bedenke dies, Leiard«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Auraya möchte offensichtlich weiterhin deine Freundin sein. Es sollte unmöglich sein, dass eine der Weißen den Wunsch verspürt, mit einem Traumweber befreundet zu sein, aber so ist es offenbar nicht. Und wenn Auraya von den Weißen mit einem Traumweber befreundet ist, werden die anderen Zirkler die Traumweber in Zukunft vielleicht besser behandeln.«

Sie senkte die Stimme. »Jetzt hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst fortgehen und in deinen Wald zurückkehren, oder du kannst hier bei uns bleiben und diese Freundschaft weiter nähren.«

»So einfach ist das nicht«, wandte er ein. »Es gibt gewisse Risiken. Was ist, wenn die anderen Weißen ihr Verhalten missbilligen?«

»Ich bezweifle, dass du mehr von ihnen zu erwarten hättest als die Aufforderung, die Stadt zu verlassen.« Sie beugte sich zu ihm vor. »Ich denke, das ist das Risiko wert.«

»Und wenn die Menschen zu dem Schluss kommen, dass es ihnen nicht gefällt? Sie könnten die Dinge selbst in die Hand nehmen.«

»Wenn Auraya deine Freundschaft teuer ist, wird sie sie aufhalten.«

»Dazu wird sie vielleicht nicht in der Lage sein – vor allem dann nicht, wenn die Weißen ihr ihre Unterstützung versagen sollten.«

Tanara lehnte sich zurück, um ihn zu betrachten. »Ich streite nicht ab, dass es Risiken gibt. Ich bitte dich nur, noch einmal darüber nachzudenken. Du musst tun, was dein Herz dir sagt.«

Sie stand auf, verließ den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Leiard schloss die Augen und seufzte.

Tanara lässt eine simple Tatsache außer Acht: Die Götter hätten niemanden auserwählt, der freundliche Gefühle für die Traumweber hegt, sagte er sich.

Aber sie hatten Auraya erwählt. Sie musste entweder eine Abneigung gegen die Traumweber entwickelt haben, oder die Götter spielten ein anderes Spiel. Er erwog die verschiedenen Möglichkeiten. Wenn die Götter eine intelligente, mit starken Gaben gesegnete und außerdem den Traumwebern freundlich gesinnte Frau erwählten und sie dazu brächten, sich gegen die Traumweber zu stellen, könnte sie dem Hass der Zirkler auf alle Heiden neue und tödliche Nahrung liefern. Sie könnte diejenige sein, die uns endgültig vernichtet.

Und wenn er weglief und sie allein und trauernd zurückließ, war er vielleicht der Erste, der ihr einen Grund gab, seinen Leuten zu grollen.

Verflucht seien die Götter, dachte er. Ich muss bleiben. Zumindest bis ich weiß, was hier vorgeht.

4

Auf den oberen Hängen der Berge war die Hitze der Sommersonne stärker als in den unteren Lagen. Als Tryss spürte, dass ihm abermals der Schweiß über die Stirn lief, straffte er sich und schüttelte den Kopf. Kleine Tröpfchen landeten auf dem Rahmen des Geschirrs und wurden schnell von dem trockenen Holz aufgenommen. Er zog sein Wams aus und legte es beiseite. Dann beugte er sich vor und schob sorgfältig lang gezogene Streifen biegsamen Darms zwischen die Gelenke des Geschirrs.

Ein großer Teil des Geschirrs lag, in Einzelteile zerlegt, auf dem Boden. Tryss versuchte, den Hebelarm zu verdoppeln, so dass er vier Eisenspitzen tragen konnte. Schon jetzt stiegen erste Zweifel in ihm auf, dass er mit einer so schweren Last vom Boden würde aufsteigen können. Vielleicht würde er das Geschirr auf einen Baum oder eine Klippe zerren müssen, bevor er sich in die Luft schwang.

Damit würde er jedoch keinen Eindruck schinden. Er war zu dem Schluss gekommen, dass er dieses neue Geschirr niemandem zeigen würde, bis er mehrere erfolgreiche Jagden hinter sich gebracht hatte. Wann immer er ein Tier erlegte, würde er es die Droge ausschlafen lassen, aber wenn die Zeit kam, sich zu beweisen, würde er seine Beute schlachten und Fleisch mit ins Offene Dorf bringen. Wenn die anderen Siyee seine Familie bei einem Festmahl sahen, würde ihnen das Hohngelächter im Hals stecken bleiben.