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Dyara nickte. »Die anderen werden sich inzwischen am Altar versammelt haben. Wir sollten sie nicht warten lassen.«

Aurayas Magen flatterte, was ebenso sehr auf Furcht wie auf Erregung zurückzuführen war. Zum ersten Mal würde sie bei den anderen vier Weißen sitzen, während sie ihre Pflichten und Aufgaben erörterten. Vielleicht würden sie ihr einen Auftrag geben. Wenn sie es taten, würde es sich, wie sie vermutete, wohl eher um eine minder wichtige Aufgabe handeln. Und selbst wenn sie es nicht taten, würde es interessant sein zu hören, mit welchen weltlichen Angelegenheiten sie sich beschäftigten.

Dyaras Zirk wirbelte auf, als sie auf dem Absatz kehrtmachte und in Richtung Tür ging. Auraya folgte ihr. Der Käfig wartete auf sie. Während sie langsam hinabstiegen, dachte Auraya über die »Späher« nach, von denen Dyara gesprochen hatte. Es beunruhigte sie, dass Fremde sie beobachteten, aber gleichzeitig stieg in ihr die Frage auf, ob sie das tatsächlich aus freien Stücken getan hatten. Was wäre schlimmer gewesen: wenn sie sie aus eigenem Antrieb ausspioniert hatten oder wenn jemand es von ihnen verlangt hätte?

Behalten die anderen Weißen mich im Auge? Wenn ich ein weiteres Treffen mit Leiard arrangiere, werden sie dann versuchen, es mir auszureden? Sollte ich das zulassen? Als der Käfig am unteren Ende des Treppenhauses angelangt war, folgte Auraya Dyara in den Flur hinaus. Die Götter haben mich erwählt. Sie wussten alles über mich, eingeschlossen meine Freundschaft zu Leiard und meine wohlwollende Einstellung den Traumwebern gegenüber. Wenn sie diese Dinge nicht gebilligt hätten, hätten sie einen anderen erwählt.

Oder hätten sie das vielleicht nicht getan? Möglicherweise tolerierten sie eine Seite ihres Charakters, um andere zu nutzen. Doch solange sie es ihr nicht untersagten, würde sie sich auch weiter mit Traumwebern einlassen.

Sie schauderte. Als sie die Nachricht vom Tod ihrer Mutter erhalten hatte, hatte sie befürchtet, dass die Götter ihr damit etwas sagen wollten – dass sie ihre Mutter getötet hatten, um ihrer Missbilligung darüber Ausdruck zu verleihen, dass Auraya die Dienste eines Traumwebers beansprucht hatte.

Lächerlich, dachte sie. So gehen die Götter nicht vor. Wenn sie etwas wollen, befehlen sie es dir.

Doch obwohl sie das wusste, hatte sie die Furcht nicht abschütteln können, bis Leiard ihr versichert hatte, dass die Krankheit ihrer Mutter der Grund für deren Tod gewesen war.

Die Luft außerhalb des Turms war warm, und die strahlende Sonne am Himmel verhieß einen weiteren heißen Tag. Dyara beschleunigte ihre Schritte. Sie erreichten die Kuppel, traten ein und gingen weiter zu dem Podest und dem Altar in der Mitte. Die drei anderen Weißen saßen bereits an einem runden Tisch und warteten auf sie. Aurayas Puls begann zu rasen, als sie näher kam, und Erinnerungen an die Erwählungszeremonie blitzten in ihren Gedanken auf. Sie folgte Dyara auf den Altar.

»Willkommen, Auraya«, sagte Juran herzlich. Sie lächelte und nickte. »Vielen Dank, Juran.«

Als Dyara sich auf einen Platz gleiten ließ, setzte sich Auraya auf den letzten verbliebenen Stuhl. Die fünf Seiten des Altars schlossen sich und erstrahlten in einem diffusen Licht.

Auraya betrachtete die anderen Weißen. Rian saß aufrecht auf seinem Stuhl, aber sein Blick war in die Ferne gerichtet. Selbst als er Auraya ansah und sie mit einem Nicken begrüßte, wirkte er geistesabwesend. Mairae sah genauso aus wie vor zehn Jahren, als sie nach Oralyn gekommen war, um mit den Dunwegern zu verhandeln. Angesichts dieses Beweises für die Unsterblichkeit der Weißen überlief Auraya ein Schaudern.

Eines Tages, dachte sie, wird jemand mich ansehen und über diesen Beweis für die Macht der Götter staunen.

Als sie Aurayas Blick begegnete, lächelte Mairae, dann wandte sie sich zu Juran um. Das Oberhaupt der Weißen hatte die Augen geschlossen.

»Chaia, Huan, Lore, Yranna, Saru. Einmal mehr danken wir euch für den Frieden und den Wohlstand, die ihr uns gebracht habt. Wir danken euch für die Möglichkeit, euch zu dienen. Wir danken euch für die Kräfte, die ihr uns verliehen habt und die es uns gestatten, die Männer und Frauen dieser Welt, seien sie alt oder jung, zu leiten und zu unterstützen.«

»Wir danken euch«, murmelten die anderen. Auraya, die von Dyara in die Einzelheiten des Rituals eingeführt worden war, stimmte ein.

»Heute werden wir unsere Weisheit nach bestem Vermögen in euren Dienst stellen, aber sollten wir in unserem Urteil fehlgehen oder mit unserem Tun euren großen Plänen entgegenwirken, bitten wir euch, zu uns zu sprechen und uns eure Wünsche zu offenbaren.«

»Leitet uns«, antwortete Auraya zusammen mit den anderen.

Juran schlug die Augen auf und blickte in die Runde.

»Die Götter haben uns kundgetan, dass sie die Einigung von ganz Nordithania wünschen«, sagte er und sah Auraya an. »Diese Einigung soll nicht durch Krieg oder Eroberung erlangt werden, sondern durch ein friedliches Bündnis. Sie wünschen, dass alle Länder die Bedingungen ihrer Allianz wählen und mit uns aushandeln. Jene Länder, in denen die zirklische Religion nicht die Vorherrschaft genießt, werden sich wahrscheinlich eher aus Gründen der Politik und des Handels mit uns verbünden denn aus Gehorsam gegen die Götter. Völker wie die Siyee und die Elai, die Landgehern mit Argwohn begegnen, müssen lernen, uns zu vertrauen. Jene Völker, die überwiegend zirklisch sind, würden einem Befehl der Götter gehorchen. Wenn sie jedoch das Gefühl hätten, eine Allianz sei nicht gerecht oder auf ihr Wohl ausgerichtet, würden sie anderen Ländern Schwierigkeiten machen.« Juran blickte zu Dyara hinüber. »Lasst uns über jene Verbündeten sprechen, die wir bereits gewonnen haben. Dyara?«

Dyara seufzte und verdrehte die Augen. »Die Arriner von Genria und der König von Toren stehen einander nach wie vor feindselig gegenüber. Wann immer eine der arrinischen Familien einen Sohn hervorbringt – was sie anscheinend jeden Monat tun -, ersinnt Berro für die Waren, die von Genria in sein Reich gebracht werden sollen, neue Beschränkungen. Der königliche Hohepriester erinnert ihn zwar an die Bedingungen der Allianz, aber es dauert immer mehrere Wochen, bis die Beschränkungen aufgehoben werden.«

»Und die Genrianer? Wie reagieren sie darauf?«

»Mit Zähneknirschen.« Dyara lächelte. »Es ist wohl kaum ihre Schuld, dass Berro keinen männlichen Erben hervorgebracht hat. Bisher hat es bemerkenswert wenige Vergeltungsmaßnahmen gegeben. Jede Familie mit einem Knaben ist ängstlich darauf bedacht, alles zu vermeiden, was die Götter erzürnen könnte. Vielleicht ein Beweis dafür, dass ihnen klar ist, dass Guire Laern deshalb zu seinem Nachfolger bestimmt hat, weil er der einzige Prinz war, der nicht versucht hatte, einen anderen zu ermorden. Aber irgendjemand sorgt dafür, dass Berro unverzüglich von der Geburt eines jeden arrinischen Jungen erfährt.«

»Das klingt so, als sollte dieser Jemand gefunden werden«, warf Juran ein.

»Ja. Der königliche Hohepriester ermutigt Berro außerdem darin, einen Erben zu adoptieren, und sei es auch nur als vorübergehende Maßnahme, bis er selbst einen zeugt. Das könnte ihn für den Augenblick beruhigen.«

Juran nickte, dann wandte er sich an Mairae. »Was ist mit den Somreyanern?«

Mairae verzog das Gesicht. »Sie haben uns abermals abgewiesen.«

Er runzelte die Stirn. »Welchen Grund haben sie diesmal angegeben?«

»Eine geringfügige Einzelheit in den Bedingungen der Allianz. Ein Mitglied des Rats hat dagegen protestiert, eine Frau, und die anderen haben sie unterstützt.«

»Es ist ein Wunder, dass ihr Staat nicht in Einzelreiche zerbricht«, sagte Dyara düster.

»Ihr Rat kann sich niemals auf irgendetwas einigen. Was war es diesmal?«

»Die Bestimmung, dass ihre Traumweber nur ihre eigenen Soldaten behandeln dürfen.«