»Und dieses Ratsmitglied, das Protest erhoben hat, ist die Vertreterin der Traumweber?«
Mairae nickte. »Ja. Die Traumweberälteste Arleej.« Auraya wusste, dass diese Traumweberälteste nicht nur ein Mitglied des Ältestenrats in Somrey war, sondern auch das Oberhaupt der Traumweber. »Es hat mich überrascht, dass andere sie unterstützt haben. Es ist nur eine unbedeutende Einzelheit, und die meisten Mitglieder des Rats sind erpicht darauf, diese Allianz unterzeichnet zu sehen. Erpicht genug, um Kleinigkeiten wie diese zu übersehen.«
»Wir wussten, dass Somrey schwierig werden würde«, sagte Rian. »Wir können nicht jedes Mitglied des Rats zufriedenstellen. Wenn wir das täten, würden wir zu viele Kompromisse schließen. Ich bin dafür, dass wir in dieser Angelegenheit hart bleiben.«
Juran schüttelte den Kopf. »Ich verstehe es nicht. Wir haben sie nicht gebeten, ihre Sitten und Gepflogenheiten zu ändern. Warum können sie uns nicht das Gleiche zubilligen?«
Die anderen zuckten die Achseln oder breiteten hilflos die Hände aus. Juran sah sie alle der Reihe nach an, dann ruhte sein Blick schließlich auf Auraya, und seine Miene wurde nachdenklich.
»Du hast in deinen frühen Jahren einen Traumweber gekannt, nicht wahr, Auraya?«
Seine Frage klang nicht anklagend, nicht einmal missbilligend. Sie nickte langsam, wobei sie sich der Tatsache bewusst war, dass Dyara sie genau beobachtete.
»Du verstehst ihre Gepflogenheiten wahrscheinlich besser als wir anderen. Kannst du uns erklären, warum sie sich dieser Bedingung der Allianz widersetzen?«
Auraya schaute in die Runde, dann richtete sie sich auf. »Alle Traumweber leisten einen Schwur, jeden Menschen zu heilen, der einer Heilung bedarf und sie wünscht.«
Juran zog die Augenbrauen hoch. »Dann würde diese Bedingung der Allianz also von den Traumwebern verlangen, ihren Schwur zu brechen. Der Rat möchte sie nicht dazu zwingen, also weigert man sich, das Abkommen zu unterzeichnen.« Er wandte sich an Dyara. »Hat Auraya Zeit, den Entwurf des Abkommens zu lesen?«
Dyara hob die Schultern. »Ich könnte in ihrem Arbeitsplan die Zeit dafür schaffen.«
Juran lächelte. »Ich freue mich darauf, deine Vorschläge zu hören, Auraya.« Sie erwiderte das Lächeln, aber er hatte sich bereits abgewandt. »Rian. Was ist mit Dunwegen?«
Rian lächelte schwach. »Die Allianz ist stark. Ich habe nichts zu berichten.« »Und Sennon?«
»Der Kaiser denkt noch über unseren Vorschlag nach. Ich glaube nicht, dass er einer Entscheidung näher ist als vor fünf Jahren.«
»Das ist keine Überraschung«, bemerkte Dyara kichernd. »In Sennon ist noch nie irgendetwas schnell gegangen.«
Rian nickte. »Sennon war schon immer schwieriger zu hofieren als Somrey. Welchen Wert können wir einer Allianz mit einem Land beimessen, das sich nicht entscheiden kann, wem oder was es huldigt?«
Juran nickte zustimmend. »Ich habe nach wie vor das Gefühl, dass wir uns Sennon bis zum Schluss aufheben sollten. Vielleicht wird sich Sennon zu guter Letzt anschließen, wenn alle anderen Länder von Nordithania geeint sind.« Er richtete sich auf und lächelte. »Damit bleiben dann noch zwei weitere Länder zu erörtern.«
Auraya bemerkte, dass Mairaes Augen aufgeleuchtet hatten, während Dyara die Lippen zu einem skeptischen Lächeln verzogen hatte.
»Si und Borra.« Juran verschränkte die Finger. »Ich habe vor einigen Monaten einen Höfling in jedes der beiden Länder geschickt, um Einladungen für eine Allianz zu überbringen.«
Ein Stich der Erregung durchzuckte Auraya. Die Geschichten über die Geflügelten der südlichen Berge und das wasseratmende Meeresvolk hatten sie schon immer fasziniert. Als sie älter wurde, waren sie ihr zu fantastisch erschienen, um wahr sein zu können, aber sowohl Priester Avorim als auch Leiard hatten ihr versichert, dass es solche Völker tatsächlich gab, auch wenn manche Beschreibungen wohl übertrieben waren.
»Es würde mich sehr beeindrucken, wenn einer dieser Boten sein Ziel tatsächlich erreicht haben sollte«, murmelte Dyara düster. Auraya sah sie überrascht an. »Nicht dass ich dächte, sie würden sie ermorden«, versicherte sie Auraya. »Aber die Länder der Siyee und der Elai sind nicht leicht zu erreichen, und ihre Bewohner begegnen gewöhnlichen Menschen mit Argwohn und Scheu.«
»Ich habe meine Höflinge mit Bedacht ausgewählt«, sagte Juran. »Beide haben diese Völker schon in der Vergangenheit besucht oder mit ihnen Handel getrieben.«
Diese Feststellung schien Dyara nun doch zu beeindrucken. Juran legte lächelnd die Hände auf den Tisch. Dann wurde sein Ausdruck wieder ernst.
»Wir haben noch nicht über die drei Länder Südithanias nachgedacht: Mur, Avven und Dekkar.«
»Die Länder, in denen der pentadrianische Kult gepflegt wird?«, fragte Rian mit missbilligender Miene.
»Ja.« Juran verzog das Gesicht. »Ihre Art zu leben und ihre Moralvorstellungen mögen mit unseren nicht vereinbar sein. Die Götter wollen Nordithania geeint sehen, nicht das ganze Ithania. Sobald jedoch Nordithania geeint ist, werden die südlichen Länder unsere Nachbarn sein. Ich habe unsere Ratgeber Informationen über diese Länder sammeln lassen. Landkarten, Zeichnungen und Berichte über ihre Glaubensvorstellungen und Rituale.«
»Finden sich darin auch Beschreibungen von Orgien?«, wollte Mairae wissen.
»Mairae!«, sagte Dyara tadelnd.
Jurans Lippen zuckten erheitert. »Du wirst enttäuscht sein zu hören, dass die Gerüchte von Orgien übertrieben sind. Sie kennen zwar durchaus Fruchtbarkeitsriten, aber nur für verheiratete Paare. Zwei ergeben noch keine Orgie.«
Mairae zuckte die Achseln. »Dann weiß ich zumindest, dass ich nichts verpasse«, murmelte sie. Puan verdrehte die Augen.
»Denkst du daran, Pentadrianerin zu werden?«, fragte er belustigt, dann sprach er, ohne auf eine Antwort zu warten, weiter. »In diesem Falle solltest du wissen, dass man von dir erwarten würde, den fünf Führern des Kults zu folgen, die sich mit dem hübschen Titel ›Die Stimmen der Götter‹ schmücken. Die Hierarchie ihrer Anhänger ist als ›Die Servanten der Götter‹ bekannt. Du würdest an ihre Götter glauben müssen. Man fragt sich, wie ein so mächtiger Kult sich aus einem Glauben an Götter entwickeln kann, die nicht existieren. Ferner könnte man erwarten, dass sie den Einfluss anderer Kulte fürchten würden, aber in Wirklichkeit ermutigen sie ihre Anhänger zu Toleranz gegenüber anderen Religionen.«
Mairae verzog das Gesicht zu einem Ausdruck gespielter Enttäuschung. »Ich fürchte, dass Südithania ohne die Orgien keinerlei Reize für mich hätte.«
Juran kicherte. »Es erleichtert mich, das zu hören. Es wäre schrecklich für uns, dich zu verlieren.« Er hielt inne, dann seufzte er. »Und nun müssen wir uns zu guter Letzt einer düstereren Angelegenheit zuwenden. Vor einigen Wochen habe ich verschiedene Berichte aus dem östlichen Toren bekommen, in denen Angriffe durch eine Meute Worns beschrieben werden. Es handelt sich nicht um gewöhnliche Worns. Diese Tiere sind doppelt so groß wie ihre weit verbreiteten Vettern. Sie haben Reisende, Bauern und sogar Kaufmannsfamilien getötet. Man hat mehrere Jagdtrupps ausgesandt, von denen nicht einer zurückgekehrt ist. Eine Frau, die mitangesehen bat, wie die Worns ihren Mann vor ihrem Haus getötet haben, behauptet, ein Mann sei auf einer der Kreaturen geritten und habe sie angeführt. Zuerst dachte ich, die Frau müsse sich geirrt haben. Worns arbeiten so gut zusammen, dass sie den Eindruck erwecken können, als würden sie von außen gelenkt. Vielleicht, so vermutete ich, hat sie sich in der Dunkelheit eingebildet, die Umrisse eines Mannes zu sehen. Außerdem scheinen diese Angriffe keinem für Menschen nachvollziehbaren Zweck zu dienen. Die Opfer haben nichts gemein, abgesehen von der Tatsache, dass sie sich des Nachts im Freien aufhielten. Aber inzwischen haben andere Zeugen die Geschichte der Frau bestätigt. Einige von ihnen sagen, der Mann gebe den Worns telepathische Anweisungen. Wenn das wahr ist, muss er ein Zauberer sein. Ich habe drei Dorfpriester mit Nachforschungen beauftragt. Sollte es sich erweisen, dass dieser Mann tatsächlich ein Zauberer ist, werde ich mich telepathisch mit euch allen in Verbindung setzen, damit ihr die Begegnung bezeugen könnt.«