Er nickte. »Du hast natürlich recht. Aber ich kann ihnen ebenso wenig vertrauen, wie ich einem Fremden vertrauen würde.«
Sie kicherte. »Das tue ich auch nicht. Ebenso wenig wie ich jenen vertraue, die ich zu kennen glaube, da Menschen, die ich zu kennen glaubte, bisweilen durchaus eine Skrupellosigkeit oder Rohheit an den Tag gelegt haben, deren ich sie nicht für fähig gehalten hätte.« Sie sah auf die Schriftrolle hinab, die vor ihr ausgebreitet lag. »Ich schätze deine Ansichten, auch wenn ich nicht mit ihnen übereinstimme, Danjin. Ich weiß, dass ich mit meiner Meinung über diese Angelegenheit allein dastehe. Ich bin keine Traumweberin. Meine Kenntnisse über sie erweisen sich als begrenzt. Ebenso wenig bin ich jedoch eine typische Zirklerin, die Traumwebern bestenfalls misstraut und sie schlimmstenfalls bewusst verfolgt. Ich muss alle Sichtweisen in Betracht ziehen, wenn ich Mairae verschiedene Möglichkeiten vorschlagen soll, wie man die Somreyaner zu einem Bündnis mit uns bewegen könnte.«
Danjin bemerkte die Falte, die sich zwischen ihren Brauen gebildet hatte. Als ihm diese Stellung angeboten worden war, hatte Dyara ihm versichert, dass man Auraya während ihrer ersten Jahre als Weiße keine schwierigen Aufgaben zuweisen würde. Wie es schien, hatte diese Aufgabe von allein zu Auraya gefunden.
Aufgrund ihrer Kenntnisse der Traumweber war sie jedoch von allen Weißen am besten dazu geeignet. Vielleicht war dies der Grund, warum die Weißen allenthalben durchblicken ließen, dass die neueste Weiße Heiden duldete, wenn nicht gar unterstützte. Welche Konsequenzen würde diese Einstellung auf lange Sicht mit sich bringen? Obwohl das Gesetz es zu einem Verbrechen erklärte, die Dienste eines Traumwebers zu nutzen, ignorierten so viele Menschen diese Vorschrift, dass nur wenige jemals dafür bestraft wurden. Würde Aurayas Toleranz den Traumwebern gegenüber noch mehr Menschen dazu ermutigen, dem Gesetz zu trotzen?
Auraya sagte nichts. Sie hatte ihre Aufmerksamkeit wieder der Allianz zugewandt.
»Gegen welche Bedingungen haben die Somreyaner zu Anfang protestiert?«
Danjin hatte diese Frage erwartet. Er nahm sich eine Wachstafel vor und verlas eine lange Liste von Veränderungen an den Bedingungen des Bündnisses. Das letzte Drittel dieser Veränderungen hatte ausschließlich mit Belangen der Traumweber zu tun.
»Das sind keine neuen Bedingungen, nicht wahr? Diese Verfügungen waren schon immer Teil der Allianz.«
»Ja.«
»Warum haben die Somreyaner nicht gleich zu Beginn der Verhandlungen dagegen protestiert?«
Danjin zuckte die Achseln. »Wenn man über große Dinge verhandelt, werden die kleineren häufig weniger beachtet. Oder so sagt man zumindest.«
»Und die Somreyaner haben diesen Punkten einem nach dem anderen ihre Beachtung geschenkt?« Ihre Stimme troff vor Skepsis.
Er kicherte. »Jedes Mal, wenn ein Punkt ausgehandelt ist, protestieren sie gegen den nächsten.«
»Wollen sie das Bündnis also hinauszögern? Kannst du irgendeinen Grund erkennen, warum der Ältestenrat die Unterzeichnung verschleppt? Oder sind es nur die Traumweber, die die Allianz verzögern oder verhindern wollen?«
»Das weiß ich nicht. Mairae ist davon überzeugt, dass die meisten Mitglieder des Rats die Allianz wollen.«
Auraya trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Dann sind sie also entweder mit den minderwichtigen Punkten unzufrieden und präsentieren sie uns einen nach dem anderen, damit jedem einzelnen Punkt die gleiche Beachtung zuteilwird, oder aber sie spielen mit uns. Die erste Möglichkeit lässt sich mit Geduld überwinden. Um die zweite Möglichkeit zu überwinden...«
»Diese Möglichkeit wird nichts überwinden. Nichts als eine direkte Einmischung in die somreyanische Politik.«
»Ich denke nicht, dass wir so weit werden gehen müssen. Wir müssen lediglich die Macht der Traumweberältesten schmälern.«
Danjin sah sie überrascht an. Einen solchen Vorschlag hätte er von jemandem, der sich für die Belange der Traumweber einsetzte, niemals erwartet.
»Wie?«
»Indem wir einen Teil dieser Macht einem anderen Traumweber übertragen.«
»Im Rat darf nur jeweils ein Vertreter einer jeden Religion sitzen. Wie willst du diese Bedingung ändern, ohne dich in die somreyanische Politik einzumischen?«
»Ich habe nicht die Absicht, zwei Traumweber in den Rat zu setzen, Danjin. Nein, dies wäre eine gesonderte Position.« »Und wer würde darüber entscheiden?« »Die Weißen.«
»Das würden die Somreyaner nicht akzeptieren!« »Sie würden keine andere Wahl haben. Es hätte nämlich nichts mit ihnen zu tun.«
Danjin kniff die Augen zusammen. »Also schön. Ich bin ganz Ohr. Erzähl es mir.«
Sie kicherte. »Die Weißen brauchen offenkundig jemanden, der sie in den Angelegenheiten der Traumweber berät.«
»Und dieser Ratgeber wäre ein Traumweber?«
»Natürlich. Die Somreyaner würden niemals auf einen Zirkler hören, der in diese Position gewählt wurde.«
Danjin nickte langsam, während er die Vorteile eines solchen Arrangements bedachte.
»Ich verstehe. Zunächst einmal werden die Traumweber beschwichtigt sein. Indem wir einen aus ihrer Mitte zum Ratgeber ernennen, erkennen die Weißen an, dass die Traumweber einen gewissen Wert für sie haben. Der Ratgeber wird die Bedingungen der Allianz von Gleich zu Gleich erörtern, so dass die Traumweberälteste gezwungen sein wird, vernünftig zu verhandeln, statt sich gegen unsere Anliegen zu sperren.«
»Und unser Ratgeber könnte Vorschläge machen, wie sich die Bedingungen der Allianz verändern ließen, um die Anzahl der Proteste zu verringern und auf diese Weise das Ganze zu beschleunigen«, fügte Auraya hinzu.
Wo liegen dann die Nachteile?, fragte sich Danjin. Welche Schwächen hat dieser Plan?
»Du wirst dafür Sorge tragen müssen, dass die Ziele dieses Ratgebers den unseren nicht entgegengesetzt sind«, sagte er warnend. »Der Betreffende könnte Veränderungen an der Allianz vorschlagen, die seinen Leuten zugute kämen und unseren schaden würden.«
»Der Betreffende dürfte sich über diese Konsequenzen ebenso wenig im Klaren sein wie ich«, erwiderte sie und tippte sich an die Stirn. »Es gibt nur vier Menschen auf der Welt, die mich belügen können.«
Diese Information erfüllte Danjin mit einiger Erregung. Also konnten die Weißen nicht die Gedanken ihrer Gefährten lesen. Er hatte schon immer vermutet, dass es so sein müsse.
»Es wäre natürlich möglich, dass kein Traumweber sich bereiterklärt, mit uns zusammenzuarbeiten«, wandte er ein.
Sie lächelte.
»Hast du schon jemanden im Sinn?« Noch bevor er seine Frage gestellt hatte, kannte er die Antwort.
»Aber ja. Ich würde natürlich mit jemandem zusammenarbeiten, dem ich vertrauen kann. Wer wäre da besser geeignet als der Traumweber, den ich persönlich kenne?«
Während der Plattan davon rollte, nahm Auraya ihre Umgebung in sich auf. Sie und Dyara befanden sich auf einer weiten, freien Fläche zwischen Reihen kultivierter Bäume. Lange Gräser wiegten sich in der Brise. In der Ferne galoppierten ein Priester und eine Priesterin auf großen, weißen Reyna über ein Feld. Beide kamen ihr vertraut vor. »Sind das...?«
»Juran und Mairae«, antwortete Dyara. »Wir nennen den letzten Tag des Monats unseren Reittag, weil wir ihn nutzen, um mit den Trägern zu arbeiten. Sobald du eine Verbindung zu einem von ihnen hergestellt hast, musst du sie aufrechterhalten.«
»Ist es das, was ich heute tun werde?«
Dyara schüttelte den Kopf. »Nein. Du wirst irgendwann reiten lernen müssen, aber das ist nicht von allzu großer Bedeutung. Viel wichtiger ist es, dich zu lehren, wie du deine neuen Gaben einsetzen kannst.«
Die beiden Reyna in der Ferne setzten zu einer kompliziert aussehenden Drehung an, bei der sich ihre Beine im Gleichklang bewegten. Auraya konnte sich nicht vorstellen, dass es ihr gelingen würde, sich auf dem Rücken eines Reyna zu halten, während das Tier unter ihr solche Manöver vollführte. Sie hoffte, dass ihre Erleichterung darüber, dass ihre Füße auf dem Boden bleiben würden, nicht allzu offenkundig war.