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Leiard zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf den Jungen an seiner Seite zu richten.

»Worauf beziehen sich deine Zweifel?«

Jayim seufzte. »Auf die Traumweber. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich selbst einer werden will.«

»Das hatte ich bereits erraten.«

»Was soll ich deiner Meinung nach tun?«

Leiard lächelte. »Was willst du denn tun?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was erwartest du vom Leben?«

»Ich weiß es nicht.«

»Natürlich weißt du es. Willst du Liebe? Kinder? Wohlstand? Was ist mit Ruhm? Oder Macht? Oder mit beidem? Oder sind dir Wissen und Weisheit wichtiger? Für welches Ziel bist du bereit zu arbeiten, Jayim? Und worauf würdest du, um dieses Ziel zu erreichen, verzichten?«

»Ich weiß es nicht«, stieß Jayim verzweifelt hervor. Er bog in eine Gasse ein. Sie war so schmal, dass Leiard hinter dem Jungen hergehen musste. Ein saurer Geruch von verwesendem Gemüse stieg ihm in die Nase.

»Natürlich weißt du das nicht. Du bist jung. Jeder Mensch braucht Zeit, um...«

Mit einem Mal nahm Leiard ein Gefühl der Bedrohung wahr. Er packte Jayims Schulter.

»Was ist?«, fragte der Junge angespannt.

Ein Keuchen hallte in der Gasse wider, das sich in ein Lachen verwandelte. Zwei weitere Stimmen fielen in diesen Ausbruch von Heiterkeit ein. Als kurz darauf drei Gestalten in der düsteren, engen Gasse sichtbar wurden, fluchte Jayim leise.

»Wohin willst du denn so spät am Abend, Träumer?« Die Stimme war jung und männlich. Leiard ließ sich von den Gefühlen dieser Fremden überfluten. Er verspürte eine Mischung aus räuberischer Absicht und grausamer Vorfreude.

»Er hat einen Freund bei sich«, warnte eine zweite Stimme.

»Einen Freund?«, höhnte der erste Junge, obwohl seine Gedanken sofort durch Vorsicht gemäßigt wurden. »Träumer haben keine Freunde. Sie haben Späher. Leute, die für sie Ausschau halten, falls sie zufällig jemand dabei erwischt, wie sie die Ehefrauen und Töchter anderer Männer verführen. Nun, das ist Pech für dich, Träumer. Wir waren als Erste hier. Du wirst nicht in Loiris Nähe kommen.«

Ehefrauen und Töchter verführen... Ein Bild blitzte durch Leiards Gedanken. Er sah sich zwei Männern gegenüber, beide waren wütend, beide hielten Waffen in Händen. In einem Fenster über ihm erschien eine Frau. Obwohl ihr Gesicht im Dunkeln lag, wusste er, dass sie sehr schön war. Sie stieß zornige Schreie aus, aber ihr Zorn galt nicht ihm. Ihre Flüche galten den Männern unter ihr.

»Ich bin nicht hier, um Loiri zu besuchen, Kinnen«, stieß Jayim mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich will zu Vin.«

Das Bild verblasste, und Leiard schüttelte den Kopf. Eine weitere Netzerinnerung? Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen so starken Drang verspürt zu haben, eine Frau zu verführen. Etwas Derartiges wäre ihm doch gewiss im Gedächtnis haften geblieben. Andererseits galt dasselbe für Netzerinnerungen.

»Vin sollte nicht so dumm sein«, erklang jetzt eine dritte Stimme, »sich mit Traumwebern einzulassen. Was hast du in dem Beutel, Jayim?«

»Nichts.«

Jayims Stimme war ruhig, aber Leiard konnte seine wachsende Angst spüren. Als die drei Raufbolde näher kamen, ließ Leiard ein wenig Magie in seine Hand fließen. Licht blühte zwischen seinen Fingern auf und tauchte seinen Unterarm in einen grellen Schein. Er trat an Jayim vorbei und öffnete die Hand.

Das Licht erfüllte die Gasse. Zu Leiards Entsetzen standen drei zirklische Priester vor ihm.

Nein, korrigierte er sich. Akolythen. Sie tragen keine Ringe.

Die drei jungen Männer starrten heftig blinzelnd das Licht an, dann hoben sie den Blick zu Leiards Gesicht. Leiard musterte sie leidenschaftslos.

»Ich bin mir nicht sicher, was ihr damit beabsichtigt, uns hier auf diese Weise entgegenzutreten. Jayim hat euch das Ziel unseres Besuchs genannt und euch erklärt, dass wir dort willkommen sind. Wenn das nicht genügt, um euch zufriedenzustellen, dann solltet ihr uns vielleicht begleiten. Oder...« Er hielt inne und senkte dann die Stimme. »Oder habt ihr uns hier abgefangen, um unsere Dienste zu erbitten?«

Die Jungen tauschten bestürzte Blicke.

»Wenn es so sein sollte«, fuhr Leiard fort, »und die Angelegenheit nicht drängt, können wir euch morgen aufsuchen. Würdet ihr als Treffpunkt den Tempel oder eure Häuser bevorzugen?«

Daraufhin wichen die drei Jungen langsam zurück.

»Nein«, erklärte der Erste steif. »Es ist schon gut. Wir benötigen eure Dienste nicht. Ihr braucht uns nicht aufzusuchen.«

Sie machten einige Schritte rückwärts, dann drehten sie sich um und gingen breitbeinig davon, wobei sie sich große Mühe gaben, Gleichgültigkeit vorzutäuschen. Jayim stieß einen langen, leisen Seufzer aus.

»Danke.«

Leiard musterte den Jungen ernst. »Geschieht so etwas häufig?«

»Ab und zu. Das letzte Mal liegt schon einige Zeit zurück, aber ich denke, sie waren mit den vielen Besuchern beschäftigt, die zur Erwählungszeremonie in die Stadt gekommen sind.«

»Vermutlich«, erwiderte Leiard.

»Aber du hast sie vertrieben«, meinte Jayim grinsend.

»Ich habe sie mit einer List in die Flucht geschlagen. So etwas wird nicht noch einmal funktionieren. Sie werden sich daran erinnern, dass das Gesetz jeden zur Rechenschaft zieht, der unsere Dienste in Anspruch nimmt. Du musst lernen, dich zu schützen.«

»Ich weiß, aber...«

»Deine Zweifel haben dich daran gehindert, dir einen neuen Lehrer zu suchen.«

»Ja.« Jayim zuckte die Achseln. »Es sind häufig Traumweber bei uns zu Gast, so wie du. Sie alle bringen mir irgendetwas bei.«

»Du weißt, dass das nicht genug ist.«

Der Junge ließ den Kopf sinken. »Ich denke, es war ein Fehler, Traumweber werden zu wollen. Ich wollte jemand sein.« Er blickte die Gasse hinunter. »Wie diese drei dort, aber Priester wollte ich nicht werden. Die anderen hätten mir das Leben zur Hölle gemacht. Und... und Vater hat mich immer wieder gedrängt, Schreiber zu werden wie er, aber ich habe keinerlei Begabung dafür.« Er seufzte. »Nachdem ich mich dafür entschieden hatte, Traumweber zu werden, ist es mit Kinnen und seinen Freunden immer schlimmer geworden. Und mit meinen Eltern auch.« Er lachte bitter auf. »In ihrem Eifer, mir zu beweisen, dass sie jede meiner Entscheidungen zu akzeptieren bereit sind, haben sie unser Haus in ein Schutzhaus verwandelt.« Er hob hilflos die Hände. »Also kann ich jetzt keinen Rückzieher machen.«

»Natürlich kannst du das«, erwiderte Leiard.

Jayim schüttelte den Kopf. »Kinnen und seine Freunde werden denken, ich hätte nachgegeben. Und meine Eltern wären enttäuscht.«

»Was kein Grund ist, dir weiter zu gestatten, das Wams zu tragen.«

Jayim runzelte die Stirn, dann weiteten sich seine Augen. »Du bist... du bist hier, um mich aus den Reihen der Traumweber auszuschließen!«

Leiard schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein. Aber ich sehe viele Dinge an dir, die mich beunruhigen. Nach unseren Gesetzen ist es folgendermaßen: Wenn drei Traumweber aus einer jeden der drei Generationen übereinstimmen, dass ein anderer ausgeschlossen werden sollte, dann kann und muss es geschehen.« Er schlug einen sanfteren Tonfall an. »Du bist voller Zweifel, Jayim. Das ist bei einem Jungen deines Alters durchaus nachvollziehbar. Wir werden dir Zeit zum Nachdenken geben. Aber während du nachdenkst, darfst du deine Ausbildung nicht vernachlässigen, und du hast nichts unternommen, um dir einen neuen Lehrer zu suchen.«

Jayim starrte das Licht in Leiards Hand an. »Ich verstehe«, sagte er leise. Leiard hielt inne, dann schob er die letzten Reste seines verblassenden Bedürfnisses nach Abgeschiedenheit beiseite. »Solltest du dich dafür entscheiden, bei uns zu bleiben, Jayim, und solltest du es wünschen, werde ich deine Ausbildung fortsetzen. Ich kann dir nicht versprechen, dass du immer in Jarime bleiben wirst, daher musst du bereit sein, deine Eltern zu verlassen und mich in eine ungewisse Zukunft zu begleiten. Aber ich verspreche dir, dass ich einen Traumweber aus dir machen kann.«