»Nimmst du Unfug mit?«, fragte Mairae Auraya, als Sternenstaub auf sie zugesprungen kam.
»Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, wenn ich, den Anweisungen der Somreyaner folgend, seine Ausbildung vollenden will.«
Mairae bückte sich, um den Veez zu ihren Füßen zu streicheln. »Ich würde Sternenstaub auch gern mitnehmen, aber sie wird auf Schiffen immer seekrank.« Sie zeigte auf die Tür zu ihrem privaten Quartier. »Geh hinein.«
Sternenstaub trottete zur Tür hinüber, dann setzte sie sich hin und bedachte ihre Herrin mit einem sehnsüchtigen Blick.
»Ich werde bald wieder da sein«, versicherte Mairae dem kleinen Geschöpf. Sternenstaub stieß einen langen, übertriebenen Seufzer aus, dann verschränkte sie die Pfoten und stützte das Kinn darauf, um ihre Herrin flehentlich anzublinzeln. Mairae verdrehte die Augen.
»Kleine Ränkeschmiedin«, murmelte sie. »Wir sollten schnell aufbrechen, bevor sie zu weinen anfängt.«
»Veez weinen?«, fragte Auraya.
»Sie können keine Tränen produzieren wie Menschen, aber sie verstehen sich hervorragend darauf, einen guten Weinkrampf nachzuahmen.« Sie schloss die Tür.
»Bist du bereit für deine erste Seereise?«
»So bereit, wie man es nur sein kann«, erwiderte Auraya.
Mairae schenkte ihnen allen ein strahlendes Lächeln. »Dann brechen wir wohl am besten zum Hafen auf, bevor die Seeleute denken, wir hätten unsere Meinung geändert, und ohne uns in See stechen.«
Danjin lächelte. Als ob eins der Schiffe der Weißen jemals ohne sie aufgebrochen wäre. Er folgte Mairae aus dem Raum. Während sie darauf warteten, dass der Käfig ankam, ließ er sich die vor ihm liegende Aufgabe noch einmal durch den Kopf gehen.
Würden sich die Dinge so entwickeln, wie sie es hofften? Die Chancen standen gut, befand er. Er hätte anders gedacht, wäre seine Meinung über den Traumweber weniger günstig ausgefallen. Während sämtlicher Beratungen über die Allianz war Leiard erfrischend offen gewesen, was die Bedingungen betraf, die seine Leute kränken könnten, andererseits waren seine Gegenvorschläge stets vernünftig gewesen. Bisher hatte Danjin nicht den leisesten Grund zu argwöhnen, dass der Traumweber irgendein anderes Ziel verfolgte als die Verringerung der Konflikte zwischen seinen Leuten und den Zirklern.
Und doch war irgendetwas seltsam an Leiard. Zum einen veränderte sich sein Verhalten Auraya gegenüber von einem Augenblick zum nächsten. Manchmal war er still, und seine Haltung und seine Sprache verrieten großen Respekt; zu anderen Zeiten war sein Tonfall voller Autorität und Selbstbewusstsein. Vielleicht gewann er sein Selbstbewusstsein zurück, wenn er vergaß, wer sie war, nur um es von neuem zu verlieren, wenn es ihm wieder einfiel.
Oder gab es einen anderen Grund dafür? Danjin war sich nicht sicher. Vielleicht war es Leiards Nervosität im Umgang mit den anderen Weißen, die ihm zu schaffen machte. Obwohl Leiard während der Gespräche über die Allianz mehrmals mit Mairae zusammengekommen war, begegnete er ihr stets mit wachsamer Höflichkeit. In Dyaras Gegenwart widerstrebte es ihm offenkundig, überhaupt etwas zu sagen, obwohl das wahrscheinlich daran lag, dass die ältere Frau keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen Heiden machte. Bei einer ihrer ersten Begegnungen hatte Dyara Leiard befragt, bis Mairae einwandte, dass die Hälfte der für ihr Gespräch vorgesehenen Zeit von dem »Verhör« in Anspruch genommen werde. Danjin vermutete, dass Dyara Anstoß an Leiards Wortkargheit und seinen vagen Antworten nahm. Ihre Unzufriedenheit führte nur zu weiteren Fragen.
Einmal war Rian während einer solchen Besprechung erschienen, aber er war Leiard vollkommen gleichgültig gegenüber getreten. Juran war der einzige Weiße, in dessen Gesellschaft Danjin Leiard noch nicht erlebt hatte. Es wäre gewiss eine interessante Begegnung. Danjin vermutete, dass kaum etwas Leiard mehr Unbehagen bereiten würde als das Zusammentreffen mit dem Mann, der den Begründer seines Kults getötet hatte.
Während der Käfig langsam von unten auf sie zuglitt, fragte sich Danjin, ob Leiards Befangenheit vielleicht einfach ansteckend war. Ich fühle mich in seiner Gegenwart unbehaglich, weil er sich unter den Menschen unbehaglich fühlt, die mir so viel bedeuten.
In einem Punkt war er sich sicher: Er würde Leiard genau im Auge behalten. Die Weißen mochten schwer zu hintergehen sein, aber er hätte niemals darauf gewettet, dass etwas Derartiges unmöglich war.
Die äußeren Arme der Bucht von Jarime hatten sich während der letzten Stunde langsam enger zusammengezogen und zeigten sich jetzt als Reihen hoher Klippen zu beiden Seiten. Auraya sah voller Interesse zu, wie die Mannschaft der Herold ihre Arbeit tat. Das Schiff fuhr aus der Bucht, dann zwischen den beiden gewaltigen Felssäulen hindurch, die als die »Wächter« bekannt waren. Als sie die Gewässer der Spiegelstraße erreichten, wurde die Fahrt langsam ruhiger.
»Früher bin ich auf Schiffen immer seekrank geworden.«
Auraya sah zu Mairae hinüber. Sie saßen am Heck, wo sich entlang der Reling hölzerne Bänke zogen. Man hatte weiche Kissen für sie bereitgelegt, und ein Baldachin schirmte sie vor der grellen Sonne ab. Leiard und Danjin standen am Bug, und unten im Schiffsrumpf war eine kleine Gruppe von Dienern damit beschäftigt, ein leichtes Mahl zuzubereiten.
»Tatsächlich?«, fragte Auraya.
»Ja. Es war so schlimm, dass ich den größten Teil der Reise praktisch ohne Bewusstsein war.« Mairae legte sich eine Hand über die Augen. Das Sonnenlicht funkelte auf dem weißen Ring an ihrem Mittelfinger. »Manchmal sind es gerade die kleinsten Gaben der Götter, die ich am meisten zu schätzen weiß.«
Auraya blickte auf ihren eigenen Ring hinab, dann schaute sie zu der Tür, die zu den Räumen unter Deck führte.
»Ich hoffe, dass Leiard und Danjin die Reise gut verkraften werden.«
»Der Traumweber hat gewiss seine eigenen Methoden, um Seekrankheit zu kurieren, und Danjin hat sich wahrscheinlich Heilmittel dagegen mitgenommen. Er ist immer aufs Beste vorbereitet.«
»Ja.« Auraya lächelte. »Ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun würde.« Sie wandte sich zu Mairae um. »Du hast keinen Ratgeber?«
»Zu Anfang hatte ich jemanden, der in meinem Dienst stand. Sein Name war Wesso, aber ich habe ihn immer Westie genannt, weil er von der Insel Irian kam und sein Akzent so stark war, dass man ihn bisweilen kaum verstehen konnte. Er war fast zehn Jahre lang mein Ratgeber.« Ein geistesabwesender Ausdruck trat in ihre Augen. »Zu der Zeit brauchte ich ihn bereits nicht mehr, aber wenn ich ihn entlassen hätte, hätte ihn das zutiefst gekränkt, daher habe ich ihn bis zu seinem Tod bei mir behalten. Aber jetzt vermisse ich ihn manchmal.«
Als sie den Kummer in Mairaes Augen sah, durchzuckte Auraya ein Stich des Mitgefühls – und etwas, das an Angst grenzte.
»Hast du dich daran gewöhnt, Menschen alt werden und sterben zu sehen?«, fragte sie mit leiser Stimme.
Mairae hielt Aurayas Blick stand, und ihre Miene war ungewöhnlich ernst. »Nein, aber ich habe gelernt, auf welche Weise ich am besten trauern kann. Ich gestatte mir ein gewisses Maß an Zeit, unglücklich zu sein, dann muss das Leben weitergehen. Und ich erlaube mir nicht, im Vorhinein allzu viel darüber zu grübeln. So wie ich es sehe, darf man sich keine übertriebenen Sorgen um die Zukunft machen, wenn diese Zukunft endlos ist.«
»Du hast wahrscheinlich recht. Aber manchmal kann ich nicht umhin, mich zu sorgen. Wahrscheinlich gehört das zu den vielen Dingen, die ich noch werde lernen müssen.«
Mairae zog die Augenbrauen hoch. »Worüber machst du dir denn solche Sorgen?«
Auraya zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Oh, es sind nur... kleine Dinge. Nichts Wichtiges.«
»Du bist nach wie vor ein Mensch, Auraya. Nur weil du dich um große Dinge kümmern musst, bedeutet das nicht, dass die kleinen nicht wichtig wären. Seit ich für diese Reise Dyaras Platz als deine Lehrerin übernommen habe, ist es meine Aufgabe, all deine Fragen zu beantworten, seien sie nun bedeutend oder weniger bedeutend.«