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Er hatte sich auf die Begegnung mit dieser Frau gefreut. In den Sendschreiben, die über Priester in beiden Ländern zwischen dem Rat und den Weißen hin und her gegangen waren, hatte Leiard Hinweise auf eine stolze Frau mit einem scharfen Verstand gesehen. Stolz war eine Eigenschaft, die zur Schau zu stellen Traumweber im Allgemeinen nicht ermutigt wurden, aber ebenso wenig war es rühmlich, sich ein allzu schnelles Urteil zu bilden, rief er sich ins Gedächtnis. Das Oberhaupt der Traumweber würde in diesem Zeitalter sehr stark sein müssen.

Der dritte Mann auf dem Boot, der zwischen den anderen stand, war dünn und hochbetagt, aber obwohl er einen Gehstock in Händen hielt, war sein Blick klar und aufmerksam. Dies, so vermutete Leiard, war der Vermittler des Rats, Meeran. Auraya und Mairae erhoben sich von ihren Sitzplätzen, dankten dem Kapitän der Herold und gingen dann auf das Boot hinüber, das man zu ihrer Begrüßung ausgesandt hatte. Leiard und Danjin folgten ihnen, wobei der Ratgeber Unfug in seinem Käfig trug. Das Veez brabbelte verdrossen vor sich hin. Während der Reise hatte Auraya ihn gelehrt, die Gefangenschaft als Gegenleistung für großzügige Belohnungen zu ertragen. Trotzdem währte seine Duldung des Käfigs nie länger als eine Stunde.

Sobald die Weißen an Bord waren, trat Meeran vor.

»Willkommen in Somrey Auserwählte der Götter.« Er verbeugte sich leicht, dann machte er das formelle Zeichen des Kreises. »Ich bin Vermittler Meeran. Es ist uns eine Freude, dich wiederzusehen, Mairae Edelsteinschmiedin, und eine Ehre, das erste fremde Land zu sein, das Auraya Färberin empfangen darf.«

Arleej schaute zu Leiard hinüber. Der Blick war eindringlich und fragend, und er spürte Zweifel und Argwohn. Er neigte den Kopf, und sie hob zur Antwort kurz das Kinn.

»Wir sind hocherfreut, eure schönen Inseln besuchen zu dürfen, Vermittler Meeran«, erwiderte Mairae, »und es macht mich glücklich, meine Bekanntschaft mit dir und den übrigen Ratsmitgliedern erneuern zu können.« Sie sah zu Haleed und Arleej hinüber. Die beiden neigten den Kopf und murmelten eine Antwort.

»Ich habe mich darauf gefreut, einen jeden von euch kennenzulernen«, sagte Auraya mit einem strahlenden Lächeln. Arleejs Mundwinkel bogen sich kurz nach oben, aber ihr Lächeln reichte nicht bis zu ihren Augen. »Ich habe viel über die Schönheit eures Landes gehört und hoffe, mir ein wenig davon ansehen zu können«, fügte Auraya hinzu, »wenn mir die Zeit dazu bleibt.«

Mit anderen Worten, wenn wir diese Angelegenheit schnell unter Dach und Fach bringen können, ging es Leiard durch den Kopf.

»Dann müssen wir eine Besichtigungsreise für dich veranlassen.« Meerans Lächeln war echt. Jetzt wanderte sein Blick an Mairae vorbei zu Danjin hinüber. »Du musst Danjin Speer sein. Ich hatte das Vergnügen, in jüngeren Jahren mit deinem Vater Handel zu treiben.«

Danjin lachte leise. »Ja. Er hat viele Male ebenso bewundernd wie vernichtend von deiner Fähigkeit zu feilschen gesprochen.«

Meerans Lächeln wurde breiter. »Das kann ich mir denken, aber ich möchte gern glauben, dass diese Fähigkeiten jetzt zu einem besseren Zweck eingesetzt werden, zum Wohle des Volkes.« Er schaute kurz zu Auraya hinüber, und Leiard fragte sich, ob ihr die unterschwellige Warnung in den Worten des Mannes aufgefallen war. Dann wandte Meeran sich an Leiard. »Und du musst Traumweberratgeber Leiard sein.«

Leiard nickte.

»Bist du schon früher in Somrey gewesen?« »Ich habe Erinnerungen an dieses Land, aber sie sind schon sehr alt.«

Arleejs Augenbrauen zuckten in die Höhe.

»Dann heiße ich dich erneut willkommen in meiner Heimat, Traumweber«, sagte Meeran. »Ich freue mich darauf zu erfahren, wie du zu dieser einzigartigen und vielversprechenden Position als Traumweberratgeber bei den Weißen gelangt bist. Und nun«, er drehte sich um und klatschte in die Hände, »werden wir euch einige Erfrischungen anbieten.«

Das Boot hatte sich von dem Schiff entfernt, und die Ruderer waren wieder ans Werk gegangen. Meeran geleitete die Besucher zu den Sitzbänken hinüber und betrieb höfliche Konversation, während einige Diener Gläser mit einem warmen, gewürzten Getränk brachten, das Ahm genannt wurde.

Eine hohe Mauer begrenzte die Stadt. Darauf befand sich eine lange Reihe von Menschen, wobei diejenigen, die ganz vorn saßen, die Füße über den Rand baumeln ließen. Als das Boot näher an die Mauer herankam, konnten sie die Rufe dieser Menschen hören. Auraya und Mairae winkten, und die Menge brach in Jubel aus.

Das Boot legte nicht vor der Mauer an, sondern fuhr weiter. Leiard sah bewaffnete Wachen, die den Zuschauern den Zutritt zu einem bestimmten Teil des Docks verwehrten. Dort standen nur Priester und Priesterinnen, und ebendiesen Bereich steuerte das Schiff nun an.

Entlang der Kaimauer waren solide, hölzerne Gehwege gebaut worden. Als sie ihr Ziel erreichten, zogen die Männer ihre Ruder ein. Einige von ihnen vertäuten das Boot am Kai, während andere eine geschnitzte und bemalte Brücke für die Besucher herabließen.

Sie gingen von Bord, und Meeran führte sie eine Treppe hinauf. Oben auf der Mauer starrten die Priester und Priesterinnen Mairae und Auraya an, und ihre Ehrfurcht war so machtvoll, dass Leiard sie mühelos auffangen konnte. Die Hohepriester traten vor, um sich von Haleed vorstellen zu lassen. Als Leiard den Blick weiterwandern ließ, wurde ihm bewusst, dass er sich innerhalb des Tempels von Arbeem befand. Das Gebäude war von bescheidenerer Machart als die in Jarime und im gleichen Stil gebaut wie die meisten Häuser der Stadt – einstöckig und schmucklos.

Als Leiard seinen Namen hörte, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Menschen um sich herum. Die Hohepriester betrachteten ihn mit unterdrückter Neugier und Zweifel. Nachdem alle miteinander bekanntgemacht worden waren, erklärte Arleej, dass sie sich verabschieden müsse.

»Ich muss ins Traumweberhaus zurückkehren. Wir vollziehen heute Abend die Frühlingsvernetzung«, erklärte sie. Dann wandte sie sich an Leiard. »Möchtest du an der Zeremonie teilnehmen, Traumweber Leiard?«

Sein Pulsschlag beschleunigte sich. Eine Vernetzung und eine Chance, sich mit einem anderen Traumweber zu beraten, was seine eigenartigen Erinnerungen betraf. »Es wäre mir eine Ehre«, antwortete er langsam. »Aber möglicherweise werde ich hier benötigt.«

»Nicht heute Abend, Leiard«, sagte Auraya. Sie sah ihm gelassen in die Augen und nickte beinahe unmerklich. Geh zu deinen Leuten, schien ihre Miene zu sagen. Zeig ihnen, dass man dir vertrauen kann. »Aber wir werden uns morgen früh mit dir beraten wollen«, fügte sie hinzu.

»Dann werde ich an der Zeremonie teilnehmen«, erklärte er. »Und noch heute Abend zurückkehren.«

Arleej nickte. »Ich freue mich darauf, euch alle morgen wiederzusehen«, sagte sie mit einer höflichen Verbeugung. Als sie sich abwandte, trat ein Priester vor und erbot sich, sie durch den Tempel zu führen.

Die Traumweberälteste schwieg, während sie dem Priester folgten. Nach kurzer Zeit traten sie aus dem Gebäude in einen Irmenhof hinaus. In der Nähe standen ein vierrädriger Tarn mit Verdeck und ein Fahrer für sie bereit.

»Der Hohepriester wollte uns durch die Haupttore schicken«, sagte sie, »aber ich habe darauf bestanden, dass wir diesen Weg nehmen. Vor dem Tempel haben sich gewiss viele Menschen eingefunden, was uns das Durchkommen schwergemacht hätte.«

Leiard nickte. Wollte sie damit andeuten, dass die Menge möglicherweise gefährlich war oder dass sie ihnen einfach den Weg versperren würde? Obwohl Somrey die Nation war, die den Traumwebern mit der größten Toleranz begegnete, gab es in jedem Land kleine Gruppen, deren Meinung von der der Mehrheit abwich.

Der Tarn war schlicht und schmucklos und der Fahrer ein Dienstmann. Leiard ließ sich auf der Sitzbank neben Arleej nieder. Die Traumweberälteste nannte dem Fahrer ihr Ziel, und schon bald rollten sie durch die schmalen, überfüllten Straßen der Stadt.