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Sie nickte. »Eigenartig, dass jemand, der so viel von Mirar in sich trägt, diese Allianz befürwortet?«

»Ja.«

»Ganz gleich, was die Weißen Leiards wegen unternehmen, eines steht fest.« Sie ging zu der Feuerstelle, auf der eine Flasche Ahm zum Wärmen neben dem Herdfeuer stand.

»Wir sollten die Möglichkeit erwägen, so eigenartig sie uns auch erscheinen mag, dass eine Allianz zwischen Somrey und den Weißen das ist, was Mirar gewünscht hätte.«

Als der dunkle Fleck am Himmel größer wurde, beobachtete Tryss das Geschehen mit angstvoller Miene. Stunden waren verstrichen, seit Drilli gesagt hatte, sie wolle sich mit ihm treffen. Er hatte sein neues Geschirr dreimal angelegt, fest entschlossen, dass er nicht auf sie warten würde. Jedes Mal hatte er das Geschirr dann wieder abgenommen. Sie hatte ihm das Versprechen entlockt, dass er es nicht erproben würde, wenn sie nicht dort wäre, um es mit anzusehen.

Als er nun die näher kommende Siyee beobachtete, beschleunigte sich sein Puls, angetrieben von Furcht und Erregung gleichermaßen. Drilli war schon mehrere Male gekommen, um ihn bei der Arbeit zu beobachten. Er hatte damit gerechnet, dass sie sich langweilen würde, aber sie saß einfach nur in seiner Nähe und sprach endlos auf ihn ein. Zu seiner Überraschung gefiel es ihm. Meistens sprach sie von ihren Familien oder von der Allianz, die der Landgeher vorgeschlagen hatte, aber häufig befragte sie ihn auch nach den Dingen, die er fertiggestellt hatte. Manchmal machte sie Vorschläge. Bisweilen waren sie sogar gut.

Der Punkt war inzwischen zu einer Gestalt geworden. Sie senkte sich auf ihn herab, und als er Drillis Flügelzeichnung erkannte, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Er griff nach dem Geschirr, schob den Kopf durch die Schlinge des Halsgurtes und zog dann die übrigen Gurte fest.

Ein Pfeifen zur Begrüßung verriet ihre Ankunft. Sie landete mit anmutigen Bewegungen und kam lächelnd auf ihn zu.

»Du müsstest dich jetzt selbst mal sehen!«, sagte sie.

»Du bist spät dran«, erwiderte er, obwohl sein Versuch, verärgert zu klingen, kläglich scheiterte.

»Ich weiß. Es tut mir leid. Mutter hat mich stundenlang Girri rupfen lassen.« Sie bog die Finger durch. »Bist du bereit?«

»Schon seit Stunden.« »Dann lass uns aufbrechen.«

Gemeinsam sprangen sie in die Luft. Der Wind ließ die Riemen seines Geschirrs summen. Es war leichter als das vorherige und bestand aus weniger Einzelteilen. Die Hauptlast hing jedoch direkt unter seiner Brust, so dass ihm das Vorhandensein dieses Geschirrs deutlicher bewusst war, als es beim letzten der Fall gewesen war.

»Hast du es bequem?«, rief Drilli.

»Erträglich«, antwortete er.

Sie schwebten auf ein schmales Tal zu. Im Gegensatz zu den kahlen Berghängen, wo nur noch die zähesten Gräser und Bäume wuchsen, war das Tal mit einer dichten Pflanzendecke überzogen und bot zahlreichen Beutetieren gute Lebens- und Versteckmöglichkeiten. Sobald sie über die Baumwipfel strichen, erhob sich noch etwas anderes in die Luft. Drilli stieß einen Freudenschrei aus.

»Schnapp ihn dir!«, kreischte sie.

Es war ein Ark, ein Raubvogel, der es gewohnt war, selbst zu kreisen und nach Beute Ausschau zu halten, auf die er dann herabzustoßen und die er mit lähmender Magie zu betäuben pflegte. Dass ihm selbst in der Luft nachgestellt wurde, gehörte bisher nicht zu seinen Erfahrungen. Er schwebte direkt unter ihnen und schlug gelegentlich mit den Flügeln.

Tryss folgte ihm. Er zog die Arme zusammen und packte das Rohr, das an seiner Seite befestigt war, dann breitete er die Flügel aus, bevor er auf den Ark hinabstieß. Eine weitere schnelle Bewegung, und er hielt das Rohr an den Lippen. Jetzt war die Zeit gekommen, um zu sehen, ob seine jüngste Veränderung sich als nützlich erweisen würde.

Das eine Ende des Rohrs zwischen den Lippen, tauchte er das andere in den Korb mit winzigen Pfeilen, der unter seiner Brust hing. Er saugte an dem Rohr und spürte, wie ein Pfeil hineinglitt. Als er wieder aufblickte, sah er, dass der Ark seine Richtung geändert hatte. Er verlagerte seine Flügel ein wenig und machte sich an die Verfolgung des Arks.

Der Vogel glitt unter ihm dahin, unsicher, was er von seinen Verfolgern halten sollte. Obwohl die Siyee nur allzu gern Arks fingen und aßen, machten sie sich selten die Mühe, so dass sie für die Vögel keine vertrauten Jäger darstellten. Tryss zielte nach bestem Vermögen, das Blasrohr fest zwischen die Zähne geklemmt, dann blies er so stark, wie er nur konnte.

Und verfehlte sein Ziel.

Tryss knurrte – es sollte ein Fluch sein, soweit er das mit dem Rohr zwischen den Zähnen fertigbrachte. Er bückte sich, um einen weiteren Pfeil in das Rohr zu saugen, dann zielte er abermals. Diesmal verfehlte er den Ark um Armeslänge. Seufzend versuchte er es noch ein drittes Mal, aber im letzten Augenblick tauchte der Vogel im Schutz der Bäume unter.

Enttäuschung hüllte ihn ein. Er knirschte so heftig mit den Zähnen, dass das Rohr barst. Diesmal fluchte er tatsächlich, und das Blasrohr fiel ihm aus dem Mund und in die Pflanzen unter ihm.

Plötzlich wollte er das Gestänge, in dem er festgeschnallt war, nur noch loswerden. Er flog auf einen Felsvorsprung an der Seite des Tals, landete schwerfällig, setzte sich hin und begann, an den Riemen des Geschirrs zu zerren. Drilli ließ sich vor ihm auf den Boden fallen.

»Hör auf. Lass mich das tun«, sagte sie und hielt seine Hände fest.

Er hätte sie am liebsten von sich gestoßen. Warum bin ich so wütend? Schließlich stand er auf, entspannte sich und ließ Drilli die Gurte öffnen. Als der Druck auf seinen Gliedern langsam nachließ und er Drilli mit einem Mal näher kam, als er es je zuvor gewagt hatte, verebbten die Enttäuschung und die Wut.

»Also, was ist passiert?«, fragte sie, als das Geschirr zu Boden glitt. Er verzog das Gesicht. »Ich habe danebengeschossen. Dann ist das Rohr geborsten. Ich... ich habe es zwischen den Zähnen zerquetscht.«

Sie nickte langsam. »Ich kann dir ein anderes Rohr machen, aber du musst lernen, es geschickter zu benutzen.«

»Wie?«

»Du musst üben. Ich habe dir gesagt, es sei nicht so einfach, wie es aussieht.«

»Aber ich habe geübt.«

»Auf dem Boden. Du musst dich daran üben, das Rohr in der Luft zu benutzen. An beweglichen Zielen.« Sie wandte stirnrunzelnd den Blick ab. »Und ich denke, du musst etwas bauen, das das Rohr stützt, während du zielst – damit du es nicht verlierst, wenn du es fallen lässt.«

Er sah sie mit großen Augen an, dann lächelte er. »Ich weiß nicht, warum du dich überhaupt mit mir abgibst, Drilli.«

Sie erwiderte seinen Blick und grinste. »Du bist interessant, Tryss. Und klug. Aber manchmal ein wenig langsam.«

Er zuckte zusammen. »Langsam?«

»Ich habe eine Frage an dich, Tryss. Wie oft muss ein Mädchen einem Jungen gegenüber erwähnen, dass es keinen Partner für das Trei-Trei hat, bevor es aufgibt und es bei jemand anderem versucht?«

Er starrte sie überrascht an. Sie zwinkerte ihm zu, machte zwei Schritte rückwärts und drehte sich dann um, um sich in die Luft zu schwingen. Einen Moment später wurde sie von einem Aufwind in die Höhe gezogen.

Kopfschüttelnd ließ er das Geschirr liegen, wo es war, und folgte Drilli.

11

Der Tempel von Arbeem war von großer Schönheit. Obwohl viel kleiner und weniger aufsehenerregend als der in Hania, gab es keinen Bereich darin, von dem man nicht einen zauberhaften Ausblick gehabt hätte. Von der Vorderseite sah man den Hafen, und an allen Stellen, an denen es möglich war, hatte man Fenster eingebaut, um aufs Wasser schauen zu können.

Hinter dem Tempel befand sich ein in vielen Terrassen angelegter Garten. Alle Fenster auf der Rückseite boten einen Blick auf grünes Pflanzenwerk. Auraya hatte auf eine Gelegenheit gehofft, ihre Umgebung näher erkunden zu können, aber bisher hatte sie während der fünf Tage seit ihrer Ankunft in Somrey keine Zeit dazu gefunden. Mairae ging an ihrer Seite. »Ich habe über Leiard nachgedacht«, sagte sie leise. »Diese Netzerinnerungen von Mirar machen mir keine Sorgen. Vielleicht verfügt er über mehr Erinnerungen dieser Art als die meisten Traumweber, aber das bedeutet noch lange nicht, dass er Mirar ist« Sie kicherte. »Mirar war ein Schürzenjäger und ein schamloser Verführer. Leiard scheint mir weder das eine noch das andere zu sein.«