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Sie schauderte. Nein. Damit würden wir uns ebendes Verbrechens schuldig machen, das die Menschen stets den Traumwebern zugeschrieben haben: Wir würden in die Intimität des Geistes anderer eindringen und die Information zu ihrem Schaden nutzen.

Und doch ließ sich das Gleiche ohne Vernetzungen erreichen. Wenn man Priester dazu überreden könnte, mit Traumwebern zusammenzuarbeiten, würden sie gewiss neue Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben. Es würde lange Zeit in Anspruch nehmen, aber unterdessen auch die Toleranz untereinander fördern.

Möchte ich wirklich der Grund für den Niedergang der Traumweber sein?

Nein. Aber ich darf nicht zulassen, dass sich weitere Menschen von den Göttern abwenden und ihre Seelen opfern. Nicht, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Die Menschen glauben,dass die Heilkenntnisse der Traumweber verloren gehen werden, falls nicht irgendjemand dieses Opfer bringt. Aber wenn sie die gleichen Dinge lernen könnten, indem sie der Priesterschaft beitreten, warum sollten sie dann Heiden werden?

Heute, in diesem Garten, mit Leiard an ihrer Seite, war sie über ein schreckliches Dilemma gestolpert. Eines Tages würde sie wählen müssen, ob sie sich seine Freundschaft erhalten oder Seelen retten wollte. Aber dies war nicht der Zeitpunkt dafür. Danjin war vor ihnen auf dem Weg erschienen. Er grinste, als er sie sah, und sie wusste, auch ohne seine Gedanken zu lesen, welche Neuigkeiten er ihr bringen würde. Sie verspürte jedoch kein Triumphgefühl, sondern nur Erleichterung.

»Sie haben es getan!«, rief er. »Sie haben die Allianz unterzeichnet!«

Emerahl blickte über ihre Schulter. Ihr kleines Boot aus silbrigem Holz leuchtete im Mondlicht. Ihr Blick glitt noch einmal über die Leine, mit der sie ihr Boot festgemacht hatte, dann nickte sie und zog sich ihren Umhang über den Kopf, bevor sie sich über den Kai entfernte.

Sie war mehrere Wochen lang die Küste von Toren hinaufgesegelt. Alle paar Tage hatte sie in kleinen Küstendörfern angelegt, um Heilmittel gegen Essen, sauberes Wasser und Dinge wie Segeltuch, ein wasserfestes Seekapas und Angelschnur einzutauschen. Die Menschen, mit denen sie Handel trieb, behandelten sie mit freundlichem Respekt, obwohl sie es offenkundig merkwürdig fanden, dass eine alte Frau eine solche Reise unternahm.

Die Dörfer waren immer größer und zahlreicher geworden, bis man den Eindruck gewann, als gäbe es in jeder Bucht einen Pier. An diesem Nachmittag war sie in eine tiefere Bucht gelangt, in der große Schiffe vor Anker lagen. Das gesamte Land war von Gebäuden bedeckt, und die Küste war ein Labyrinth hölzerner Docks. Sie war in Porin angelangt, der Hauptstadt von Toren.

Mit einem Halm getrockneten Sternenscheinkrauts hatte sie einem bestechlichen Hafenmeister einen Anlegeplatz abgekauft. Eine der Dorfbewohnerinnen hatte es einige Monate zuvor ihrem Mann gestohlen, um es gegen ein Heilmittel für ein fieberkrankes Kind einzutauschen. Emerahl hatte das Sternenscheinkraut für sich selbst aufgehoben, und sie bedauerte seinen Verlust. Aufgrund seiner halluzinogenen Eigenschaften und der Euphorie, die es auslöste, war es eine ihrer bevorzugten Rauschdrogen.

Daher war sie keineswegs bester Stimmung, als sie in den Marktbezirk der Stadt kam. In jeder größeren Stadt gab es einen Ort, an dem der Handel niemals abbrach und die Geschäfte niemals geschlossen wurden. Wenn Menschen verzweifelt waren, suchten sie zu jeder Zeit der Nacht nach Heilmitteln.

Sie hatte jedoch nicht die Absicht, mit den Kunden auf dem Markt Geschäfte zu machen. Das Handelsrecht war in allen Städten ein eifersüchtig gehütetes Gut. Wenn sie ihre Waren verkaufen wollte, würde sie ein Abkommen mit einem Marktverkäufer treffen müssen, um vor seinem Laden arbeiten zu dürfen. Einen Teil ihres Gewinns würde sie als Bezahlung für diese Vergünstigung opfern müssen. Dafür fehlte ihr jedoch die Zeit.

Stattdessen hatte sie eine Ansammlung von Dingen bei sich, die sie an die Läden verkaufen wollte, die Heilmittel feilboten. Einige davon hatte sie bereits besessen, andere hatte sie während der Reise gesammelt. Darunter fanden sich Säckchen mit Gift von Yeryer-Fischen, um das Blut zu verflüssigen, Dornen des Stachelkrauts, die punktgenau als Narkosemittel eingesetzt werden konnten, und keimtötende Seetang-bänder. Sie hatte noch einige Beutel gemahlenen Feuerwurz beigefügt, der um den Leuchtturm herum in üppiger Fülle gewachsen war, und mehrere starke Kräuter. Auch einige Dinge, die keinen medizinischen, sondern nur einen hohen materiellen Wert hatten, waren in ihren Beutel gelangt. Die meisten davon waren Aphrodisiaka. Diese hatten im Allgemeinen keine echte körperliche Wirkung, aber der Gedanke, dass sie eine »Kur« benutzten, genügte bei den meisten Menschen, um ein solches sexuelles Verlangen zu wecken, dass sie ihre Erregung irrtümlich für das Resultat der »Kur« hielten. Natürlich stammten diese »Kuren« entweder von irgendeinem wilden Tier – wie die Zähne des Riesengarr, die sie an einem verlassenen Strand gefunden hatte -, oder sie sahen aus wie Geschlechtsorgane, wie die getrockneten Seewürmer, die fleischigen, phallusähnlichen Wemmin-Blüten und die Seeglocke, die sie inmitten von im Wasser treibenden Gräsern entdeckt hatte. Die Seeglocke würde sie nur als letzte Möglichkeit veräußern. Sie war selten und kostbar, und kein Ladenbesitzer würde einer Reisenden, die sich nur für kurze Zeit in der Stadt aufhielt, ihren wahren Wert bezahlen. Eines Tages würde sie vielleicht in einer besseren Position sein, um zu feilschen.

Lärm und Licht zogen sie zu ihrem Bestimmungsort. Große Markisen, an denen Laternen hingen, bildeten zwei Tunnel zu beiden Seiten einer langen Straße mit Läden. Einige Musikanten verliehen den Stimmen der wenigen Käufer einen fröhlichen Beiklang. Mehrere Händler brüllten einladende Beschreibungen ihrer Waren in die Welt. Andere machten kühne Versprechungen, was vernünftige Preise und ehrlichen Handel betraf.

Emerahl kaufte einen Laib Brot, einen Spieß mit gegrilltem Ner – sie war der Fische inzwischen herzlich überdrüssig -, einige überteuerte Früchte und einen Becher gesüßte, fermentierte Shem-Milch. Als sie die Straße weiter hinunterging, wurden die Essensgerüche von dem beißenden Gestank von qualmenden Kräutern und Weihrauch verdrängt. Hier fand sie, wonach sie gesucht hatte.

Der erste Laden, der Heilmittel feilbot, war groß und voller Menschen. Entlang der Vorderseite des Ladens erstreckte sich eine Theke, und an der hinteren Wand standen in Regalen Krüge verschiedenster Größen und Formen. Sie ging mit ihrem Beutel zur Theke und wartete geduldig, bis sie an die Reihe kam. Der Verkäufer war ein nicht mehr junger, kahlköpfige1ʺ Mann mit scharfen Augen. Nachdem er einem jungen Soldaten ein zweifelhaftes Mittelchen gegen Fußfäule verkauft hatte, wandte er sich Emerahl zu.

»Womit kann ich dir helfen, junge Dame?«

Sein Versuch, ihr zu schmeicheln, entlockte ihr ein Lächeln. »Mein Arm schmerzt mich«, erklärte sie ihm. »Also hoffe ich, dass ich einige Dinge aus meinem Beutel werde verkaufen können.«

In seinen klugen Augen blitzte Erheiterung auf. »Ach ja? Und du hoffst, sie mir zu verkaufen?«

»Ja.« Sie öffnete den Beutel und nahm den Krug heraus, in dem sich die Säckchen mit Yeryer-Gift befanden. »Hättest du dafür vielleicht eine Verwendung? Sie sind ganz frisch. Ich habe sie erst vor einer Woche gesammelt.«

Als sie den Krug öffnete, zog der Mann die Augenbrauen hoch. »Vor einer Woche, sagst du? Vielleicht könnte ich ein paar Münzen dafür erübrigen.« Er musterte ihren Beutel, der ein wenig fischig roch. »Was hast du denn sonst noch anzubieten?«