Sie nahm einige weitere Dinge heraus, dann begann das Feilschen. Er wurde dabei mehrmals von einem jüngeren Mann, vielleicht seinem Sohn, unterbrochen, der schließlich im hinteren Teil des Ladens verschwand. Emerahl konzentrierte sich auf ihren Kunden. Er war wählerisch und dachte über jeden einzelnen Gegenstand lange nach, obwohl sie fand, dass sie ihre Waren schon zu recht günstigen Preisen feilbot. Er sah ihr nicht in die Augen, und sie wünschte sich mit einem Mal, sie hätte sich ihre Fähigkeit, Gefühle bei anderen zu erspüren, bewahrt.
Ich werde es neu lernen müssen, dachte sie. Dann würde es mir auch leichterfallen, mich an die Veränderungen in der Sprache anzupassen. Ich hatte vermutet, die eigenartige Sprechweise der Dörfler sei das Ergebnis ihrer niederen Abstammung, aber anscheinend hat sich die torenische Sprache im Allgemeinen verändert.
Der Verkäufer hatte bisher nur die Hälfte der Dinge in ihrem Beutel gesehen. Als sie der langsamen Verhandlungsweise des Mannes überdrüssig geworden war, beschloss sie, vorzugeben, ihm alles gezeigt zu haben, und ihr Geld zu verlangen.
Er zählte langsam Münzen aus einer Börse ab und hielt mitten in seinem Tun inne, als sein Helfer zurückkehrte, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
»Ich würde gern irgendwann zu Bett gehen«, unterbrach Emerahl die beiden. Sie legte eine Hand auf die Krüge, die der Ladenbesitzer kaufen wollte, und machte einen Schritt rückwärts. »Sind meine Preise nicht gut genug für dich?«
Er hob beschwichtigend die Hände. »Es tut mir leid, meine Dame, aber mein Geselle muss sich um eine recht delikate und drängende Angelegenheit kümmern.« Er kehrte an die Theke zurück und zählte den Rest der Münzen ab. Emerahl schob ihm die Krüge hin, fegte die Münzen in ihren Beutel und verließ den Laden, noch ehe der Mann seine weitschweifige Verabschiedung hatte beenden können.
Auf der Straße angekommen, stieß sie einen Seufzer der Verärgerung aus. Hatte er gehofft, dass sie mit ihrem Preis heruntergehen würde, nur damit er sich beeilte? Hatte sie ausgesehen, als sei sie in Eile?
Mit dieser Frage beschäftigt, schlenderte sie in eine nahe Weinschänke und kaufte ein Maß Gewürzwasser. Dann setzte sie sich in eine dunkle Ecke, hob das Glas an ihre Lippen und blickte zu dem Laden auf der anderen Straßenseite hinüber.
Sie verschluckte sich beinahe, als sie zwei Priester aus der Tür treten sah. Dann erschien der Verkäufer und zeigte auf die Schänke. Als die Priester auf sie zukamen, begann Emerahls Herz zu rasen.
Sie wollen wahrscheinlich nur etwas trinken, sagte sie sich. Aber die beiden Männer unterzogen jeden auf der Straße einer genauen Musterung. Als eine alte Frau an ihnen vorbeikam, blieben sie stehen und starrten sie eindringlich an. Nein, es ist kein Wein, den sie suchen.
Plötzlich ergab das Verhalten des Verkäufers einen Sinn: seine Neigung, ihrem Blick auszuweichen, der Versuch, sie aufzuhalten. Sein Geselle, der plötzlich verschwunden war. Das geflüsterte Gespräch der beiden Männer.
Es tut mir leid, meine Dame, aber mein Gesellemuss sich um eine recht delikate und drängende Angelegenheit kümmern.
War es dabei um eine alte Frau gegangen, die Heilmittel verkaufte? Hatte man dem Ladenbesitzer aufgetragen, nach ihr Ausschau zu halten? Das kann ich nicht genau wissen, sagte sie sich. Dies könnte auch ein schlichter Zufall sein. Vielleicht suchten die Priester ja nach jemand anderem. Die Tatsache, dass sie soeben von einem dieser Priester aus ihrem Heim vertrieben worden war, hatte sie argwöhnisch gemacht, so dass sie nun glaubte, alle seien auf der Suche nach ihr.
Zufall oder nicht, ich werde nicht hier warten, um es herauszufinden. Emerahl öffnete ihren Beutel, nahm ihr mit Öl eingeriebenes, wasserfestes Seekapas heraus und schlüpfte hinein. Dann zog sie sich ihren Umhang vom Kopf, stülpte sich stattdessen einen breitkrempigen Seemannshut über und schob ihr Haar darunter. Dann wickelte sie ihren Beutel in den Umhang und schob ihn sich unter den Arm.
Die Priester waren jetzt nur noch wenige Schritte von der Schänke entfernt. Emerahl trat durch die Tür und blieb kurz stehen, um mit einer Hand das Zeichen des Kreises zu machen, dann entfernte sie sich mit dem typischen wiegenden, gemächlichen Gang eines Seemanns.
Sie rechnete damit, dass die Priester sie zurückrufen würden, aber nur die Prahlereien der Händler durchbrachen das allgemeine Getöse auf dem Markt. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie das Ende der Straße erreicht hatte. Dort angekommen, beschleunigte sie ihren Schritt ein wenig und hielt sich im Schatten der Gebäude.
Werde ich verfolgt? Wenn ja, wie konnten die Priester erraten, dass ich auf den Nachtmarkt von Porin gehen würde, um Heilmittel zu verkaufen?
Die Antwort lag auf der Hand. Wenn der Priester in Corel die Küste hinaufgereist war, musste er von der eigenartigen alten Frau gehört haben, die allein in einem Boot segelte und Heilmittel verkaufte. Er musste erraten haben, dass sie es war, und die Priester in den Städten durch Telepathie verständigt haben. Und jetzt hielten sie Ausschau nach einer alten Frau wie ihr. Es war reines Glück, dass sie nicht schon vorher von einem anderen Priester aufgehalten worden war.
Aber warum? Diese Priester konnten unmöglich wissen, wer sie wirklich war. Vielleicht war der Priester in Corel neugierig zu erfahren, wer die verrückte alte Zauberin war, die so lange Zeit in einem entlegenen Leuchtturm gelebt hatte...
Oh. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Wenn er die Dorfbewohner gefragt hat, wie lange ich schon dort gelebt habe, haben sie ihm vielleicht geantwortet, dass ich seit Generationen in dem Leuchtturm wohne. Wenn es so geschehen ist, muss er den Verdacht geschöpft haben, ich könnte eine Unsterbliche sein. Selbst wenn er es nicht glaubt, ist er wahrscheinlich dazu verpflichtet, es zu überprüfen.
Als sie sich den Docks näherte, verlangsamte sie ihre Schritte wieder. Vorsichtig schlich sie weiter und suchte dabei ihre Umgebung ab. In der Ferne konnte sie gerade noch ihr kleines Boot erkennen, das am Pier vertäut war. Schließlich fand sie eine dunkle Ecke, wo sie sich hinsetzte und wartete.
Sie brauchte nicht lange zu warten. Als der Hafenmeister aus seiner Hütte kam, erblickte sie einen Stuhl und den Rücken von jemandem, der etwas Weißes mit einer blauen Umsäumung trug.
Lebwohl, kleiner Freund, dachte sie und schaute noch einmal zu ihrem Boot hinüber. Ich hoffe, du wirst einen guten Besitzer finden.
Schließlich wandte sie sich mit einem Stich des Bedauerns ab und tauchte in die Schatten der Stadt ein.
Der Fremde hatte im hinteren Teil des Raums Platz genommen und die beiden letzten Stunden damit zugebracht, die anderen Gäste in der Schänke zu beobachten. Roffin hatte der Mann schon von dem Augenblick an, als er die Schänke betrat, nicht gefallen. Er war einfach zu gepflegt, das war es. Ausstaffiert mit einem großen Kapas. Ein Fremdländer mit einer arroganten Art, die auf eine vornehme Geburt schließen ließ. Es gefiel Roffin nicht, wie der Mann das Kommen und Gehen der Gäste beobachtete.
»Betrachtest du wieder einmal unseren rätselhaften Gast?«, murmelte Cemmo. Roffin drehte sich zu seinem Gefährten um. Cemmo war ein kräftiger, drahtiger Mann, einer der jüngsten Fischer aus dem Ort. Roffin stieß ein leises Knurren aus.
»Seinesgleichen gehört nicht hierher.«
»Stimmt«, gab Cemmo ihm recht.
»Der sollte oben in der Schänke für die besseren Leute sein.«
»Das ist richtig.«
»Irgendjemand sollte ihn rauswerfen.«
»Upta Garmen. Aber der wird’s nicht tun, solange es keinen Ärger gibt.«