»So eine Frechheit«, murmelte er dabei vor sich hin. »Kommt einfach in meinen Laden und will mir sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Los, verschwindet! Macht, daß ihr weiterkommt, wenn ihr nichts kaufen wollt!« Er schlurfte in sein Zimmer zurück.
Hawks ging nach draußen und gab der jungen Frau das Geld. Er sah sich noch einmal um und schüttelte dann den Kopf. »Ich bin schuld daran, weil ich ihn geärgert habe. Tut mir leid, daß er so unfreundlich zu Ihnen war.«
Die junge Frau öffnete ihre Handtasche und steckte das Geld in ein Seitenfach. »Nein, schließlich sind Sie nicht für seinen Charakter verantwortlich.« Sie sah unsicher zu Boden. »Soll … soll ich Sie in die Stadt mitnehmen?«
»Nur bis zur Bushaltestelle, das wäre nett.« Er sah sie lächelnd an, als sie den Kopf hob. »Ich hatte vergessen, daß ich kein Junge mehr bin. Der Weg ist doch länger und anstrengender, als ich dachte.«
»Sie brauchen sich mir gegenüber nicht zu rechtfertigen«, wehrte die junge Frau verlegen ab.
Hawks zuckte mit den Schultern. »Manche Leute scheinen darauf Wert zu legen.« Er schüttelte verwundert den Kopf. »Sie nicht?«
Die junge Frau runzelte die Stirn und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich muß in die Stadt«, sagte sie. »Ich kann Sie mitnehmen, anstatt Sie an der Haltestelle abzusetzen.«
Hawks sah auf die Jacke hinunter, die er immer noch über dem Arm trug. Dann zog er sie rasch an, und knöpfte sie zu. »Einverstanden.« Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine senkrechte Falte und blieb dort. Er wischte sich mit einer Hand ein imaginäres Staubkorn von der Schulter. »Vielen Dank.«
»Dann können wir ja fahren«, meinte die junge Frau. Sie stiegen ein, rollten auf die Hauptstraße hinaus und ordneten sich in den rasch dahinfließenden Verkehrsstrom ein.
Sie saßen steif nebeneinander und schwiegen hartnäckig. Der Motor des Wagens arbeitete geräuschvoll, die Reifen zischten leise auf dem sonnendurchglühten Asphalt.
»Ich bin keines dieser Mädchen, die man irgendwo auflesen kann«, sagte die junge Frau schließlich.
Hawks warf ihr einen Blick zu und zog die Augenbrauen in die Höhe. »Sie sind sehr apart.«
»Aber nicht leicht zu haben! Ich nehme Sie nur bis in die Stadt mit — weil Sie in Verlegenheit sind.« Ihre dunkelrotlackierten Fingernägel trommelten gegen das abgegriffene Steuerrad.
»Das weiß ich auch«, antwortete Hawks ruhig. »Und ich bin mir auch völlig darüber im klaren, daß Sie es nicht etwa aus Dankbarkeit mir gegenüber tun. Mit dem Kerl wären Sie ohne weiteres selbst fertig geworden. Ich habe Ihnen nur die Mühe abgenommen.«
»Nun …«, meinte sie.
»Wir sind wieder in der gleichen ausweglosen Lage«, stellte Hawks fest. »Keiner von uns beiden weiß, was er jetzt am besten tun oder sagen sollte. Wenn der komische Kerl nicht aufgetaucht wäre, stünden wir vermutlich immer noch in dem Laden und tanzten umeinander herum — wie zwei Katzen um einen heißen Brei.«
Sie nickte heftig. »Oh, das tut mir aber leid — ich dachte. Sie seien hier beschäftigt!« ahmte sie sich selbst nach.
»Nein — äh — ich bin auch gerade erst hereingekommen«, ergänzte Hawks.
»Nun — äh — ist hier niemand?«
»Ich weiß es nicht. Sollten wir nicht laut rufen oder etwas Ähnliches …?«
»Was denn?«
»He, Sie!«
»Vielleicht sollten wir lieber mit einer Münze auf den Ladentisch klopfen?«
»Ich — äh — ich habe nur eine Fünfdollarnote bei mir.«
»Nun …«, murmelte Hawks vor sich hin.
Die junge Frau schlug mit der flachen Hand gegen das Steuerrad. »Ja, genau so und nicht anders wäre es gewesen! Und jetzt tun wir es eben hier anstatt dort. Haben Sie nicht eine Idee, wie man das ändern könnte?«
Hawks holte tief Luft. »Ich heiße Edward Hawks. Ich bin zweiundvierzig Jahre alt, Junggeselle und Doktor der Naturwissenschaften. Ich arbeite bei Continental Electronics.«
Die junge Frau lächelte. »Und ich heiße Elizabeth Cummings. Ich habe gerade erst meine Ausbildung als Modezeichnerin hinter mir. Unverheiratet. Ich bin fünfundzwanzig.« Sie sah ihn von der Seite an. »Warum sind Sie zu Fuß unterwegs?«
»Als ich noch ein Junge war, habe ich oft weite Fußmärsche gemacht«, antwortete Hawks. »Ich dachte über viele Dinge nach. Ich konnte die Welt nicht verstehen und versuchte gleichzeitig herauszubekommen, wie man in ihr am besten leben konnte. Wenn ich zu Hause im Wohnzimmer auf einem Stuhl saß und nachdachte, machten meine Eltern sich mei netwegen Sorgen. Manchmal dachten sie, daß ich einfach faul sei, aber gelegentlich überlegten sie, ob bei mir eine Schraube locker sein könne. Wenn ich dann zu anderen Leuten ging, tauchte das gleiche Problem früher oder später ebenfalls auf. Deshalb verlegte ich mich auf weite Wanderungen. Meilenweit. Die Welt war mir zwar immer noch ein Rätsel, aber ich wußte, daß ich der Lösung näherkam. Und im Laufe der Zeit entdeckte ich, wie ich mein Leben einrichten mußte, um in dieser Welt Erfolge und Ansehen zu erringen.« Hawks lächelte. »Deshalb bin ich heute nachmittag marschiert.«
»Und wohin wollen Sie jetzt?«
»Zurück zu meiner Arbeit. Ich muß noch einige Vorarbeiten für eine Versuchsreihe erledigen, die morgen beginnen soll.« Er warf einen Blick aus dem Fenster auf die vorüberhuschende Landschaft, dann wandte er sich wieder an Elizabeth. »Wohin müssen Sie?«
»Ich habe ein Atelier in der Stadt. Ich muß heute ebenfalls bis in die Nacht hinein arbeiten.«
»Wollen Sie mir Ihre Telefonnummer geben, damit ich Sie morgen anrufen kann?«
»Ja, im Handschuhfach liegen einige Geschäftskarten von mir«, antwortete sie einfach. »Wann rufen Sie an — morgen abend?«
»Gern, wenn ich darf …«
»Warum stellen Sie mir Fragen, wenn Sie die Antwort bereits wissen?« Sie sah ihn voll an. »Ich habe nichts für sogenannte Konversation übrig, die nur dazu dient, die Zeit totzuschlagen.«
»Dann habe ich Ihnen viel zu erzählen.«
Sie hielt vor dem Haupttor der Continental Electronics, um Hawks aussteigen zu lassen. »Dann sind Sie also der Dr. Edward Hawks«, stellte sie fest und sah ihn überrascht an.
»Und Sie die Elizabeth Cummings.«
Sie wies auf die riesigen Werksanlagen, die sich auf der anderen Seite des Tores erstreckten. »Sie wissen genau, was ich damit sagen wollte.«
Er sah sie ernst an. »Ich bin der Edward Hawks, der einem anderen Menschen etwas bedeutet. Und Sie sind die Elizabeth Cummings.«
Sie beugte sich zu ihm hinüber und legte die rechte Hand auf seinen Arm, als er aussteigen wollte. »Ich freue mich auf Ihren Anruf. Und noch etwas — heute ist es wirklich zu heiß für eine Jacke.«
Er blieb neben dem Wagen stehen, knöpfte die Jakke auf, zog sie aus legte sie zusammen und nahm sie wieder über den Arm. Dann lächelte er ihr noch einmal zu, hob grüßend die Hand und ging rasch durch das Tor, das einer der Wachtposten für ihn aufhielt.
7
Das Telefon im Laboratorium klingelte am nächsten Morgen um zehn Minuten vor neun Uhr. Sam Latourette hob den Hörer ab. »Na, wenn er wirklich so unverschämt ist, lassen Sie sich nur nichts von ihm bieten, Tom«, sagte er einige Zeit später. »Sagen Sie ihm, daß er gefälligst warten soll. Ich werde Dr. Hawks verständigen.« Er legte auf und watschelte schwerfällig auf den Nebenraum zu, wo Hawks mit einigen Fachleuten von der Navy den Schutzanzug kontrollierte, den Barker tragen würde. Der Anzug lag ausgestreckt auf einem Tisch und glich eher einem sezierten Hummer, als einer Schutzhülle für einen Menschen. Rechts und links hingen Luftschläuche herunter; die Kugelgelenke trugen unförmige Fortsätze, in denen die Elektromotoren untergebracht waren, mit denen die Bewegungen gesteuert wurden. Die Gelenke wurden nacheinander auf ihre Funktionsfähigkeit getestet; der Schutzanzug bewegte sich, zog sich zusammen, streckte sich wieder; die bleibeschwerten Stiefel hoben sich und fielen krachend auf die Unterlage zurück; die Greifwerkzeuge an den Ärmeln öffneten sich und schnappten wieder zu. Einer der Männer rollte eine Preßluftflasche heran und schloß die Luftschläuche an. Hawks nickte, und die Druckluft zischte in den Helm, der die neueste Ent wicklung auf diesem Gebiet darstellte — an vier Seiten mit Rippen verstärkt, während die Sichtöffnung mit vier Zentimeter dickem Panzerglas versehen war, vor dem zudem noch ein Schutzgitter aus Stahlstäben angebracht war.