»Das weiß ich«, gab Hawks zu. »Hier riecht alles förmlich danach.« Er sah sich um. »Aber sie werden es nicht tun, wenn Barker morgen Erfolg hat. ›Der Erfolg blendet alle.‹ Chaucer. Aus dem Zusammenhang zitiert.« Hawks lächelte verkniffen. »Die Bude hier wird allmählich geradezu unerträglich kultiviert.« Er senkte den Kopf und wollte gehen. »Sam, wie kompliziert und schrecklich ist doch der menschliche Geist«, sagte er leise.
Latourette machte eine unbeholfene Handbewegung. »Du kannst nichts mit Barker anfangen — er ist zu nichts zu gebrauchen! Du kannst es dir einfach nicht leisten, dich mit einem so unbeherrschten und unberechenbaren Menschen abzugeben! Ed, es hat keinen Zweck — es wird dir zuviel.«
Hawks blieb stehen, steckte die Hände in die Hosentaschen und schloß die Augen. »Bist du der Meinung, daß er keinen Erfolg haben wird?«
»Hör zu, wenn du dich jeden Tag wieder mit ihm herumärgern mußt …«
»Dann glaubst du also doch, daß er der richtige Mann für unsere Versuche ist.« Hawks drehte sich um und sah Latourette scharf an. »Du hast Angst, daß er sich als ideales Versuchskaninchen erweisen könnte.«
Latourette machte ein besorgtes Gesicht. »Ed, er ist nicht einmal vernünftig genug, dich nicht ständig zu reizen. Und du bist nicht der Mann, der sich das auf die Dauer bieten ließe. Es wild von Tag zu Tag schlimmer werden, und du …«
»Meinst du wirklich, Sam?« fragte Hawks. Dann klopfte er Latourette auf die Schulter, ohne auf dessen Antwort zu warten, und ging wieder zu Barker hinüber.
Die Prothese war aus der Werkstatt zurückgekommen. Hawks betrachtete sie nachdenklich und fuhr mit der Hand über das aufgeschraubte Aluminiumprofil.
»Barker«, begann er schließlich und sah dem Mann ins Gesicht. »Ich …«
»Ja, Doktor?«
»Wir haben es eilig. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich anschließend zu einer kurzen Untersuchung bei unserem Arzt einfinden würden. In der Zwischenzeit könnten schon einige von uns essen.«
»Doktor, Sie wissen doch genau, daß ich erst letzte Woche bei einem ausgezeichneten Internisten war, der mich auf Herz und Nieren untersucht hat.«
»Das war letzte Woche …«, gab Hawks zu bedenken. »Sie können Dr. Holiday ausrichten, er möchte sich möglichst beeilen — und trotzdem nichts auslassen. Kommen Sie sofort wieder hierher zurück, wenn Sie die Untersuchung hinter sich haben.« Er wandte sich ab. »Ich bin in einer halben Stunde wieder zurück.«
Hawks wartete geduldig zwanzig Minuten lang in Cobeys Vorzimmer, bis die Sekretärin ihm sagte, er könne hineingehen.
Er schritt über den weißen Teppich, klopfte kurz an die mahagonigetäfelte Tür des Allerheiligsten der Continental Electronics, öffnete sie und betrat das Arbeitszimmer des Präsidenten.
Cobey saß hinter einem riesigen Teakholzschreibtisch und betrachtete interessiert seine wohlmanikürten Fingernägel. Trotz seiner geringen Körpergröße, dem zurückweichenden Kinn und der spiegelblanken Glatze wirkte er angriffslustig und energisch. Seine tiefbraune Gesichtsfarbe war das Ergebnis stundenlanger Bestrahlungen mit einer Höhensonne, und seine Lippen waren bläulich verfärbt — das erste Zeichen einer beginnenden Zyanose. Sein verkniffener Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, daß er an Magengeschwüren litt.
»Da sind Sie also wieder einmal, Ed«, sagte er. »Was gibt es denn?«
Hawks rückte sich einen der überbequemen Sessel zurecht, zog die Hosenbeine ein wenig in die Höhe und ließ sich nieder.
»Schon wieder etwas mit dem Laboratorium?« fragte der Präsident.
»Eine Personalsache«, antwortete Hawks kurz, wobei er an Cobey vorbei aus dem Fenster starrte. »Und ich muß bis ein Uhr wieder im Labor sein.«
»Wenden Sie sich an Connington.«
»Wahrscheinlich ist er heute gar nicht da. Außerdem ist er dafür nicht zuständig. Ich möchte Ted Gersten zu meinem ersten Assistenten machen. Er besitzt die nötige Qualifikation dafür — zweieinhalb Jahre als Sam Latourettes Assistent. Er kann Sams Arbeit ohne weiteres übernehmen. Aber ich brauche Ihre Genehmigung, damit ich den Wechsel bereits morgen vornehmen kann. Wir stehen kurz vor dem nächsten Versuch — die astronomischen Bedingungen sind bereits nicht mehr optimal, deshalb möchte ich möglichst viele Versuche in kurzer Zeit hinter mich bringen, und bis dahin muß Sam durch einen anderen Mann ersetzt sein.«
Cobey lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Vor einem halben Jahr wollte ich Latourette entlassen, aber damals hielten Sie mich davon ab«, stellte er mit anklagender Stimme fest. »Damals hieß es, er werde unbedingt benötigt, um eine Ihrer komischen Maschinen in Gang zu halten.«
Hawks holte tief Luft. »Hughes Aircraft braucht einen guten Versuchsingenieur für den Forschungsauftrag, den sie letzte Woche von der Army erhalten haben. Frank Waxted würde Sam gern nehmen, wenn er ihn bekommen kann. Hughes Aircraft hat bereits eine Planstelle für ihn vorgesehen.«
Cobey richtete sich auf. »Waxted hätte Sie nie wegen Sam angerufen, wenn er nicht genau wüßte, daß er ihn jederzeit haben kann. Hören Sie, Hawks«, fuhr er eindringlich fort, »ich lasse mir eine Menge von Ihnen gefallen — mehr als ich eigentlich müßte. Selbst die Navy könnte mich nicht dazu zwingen. Wenn ich keinen Respekt vor Ihrer Intelligenz hätte, würde ich Sie jederzeit hinauswerfen und mich einen Dreck um Ihren Anstellungsvertrag kümmern; ich werde immer noch auf diesem Stuhl sitzen und die Gesellschaft wird immer noch florieren, wenn Ihr verrücktes Projekt Luna längst vergessen ist.
Aber ich gebe Ihnen einen guten Rat: machen Sie keine krummen Touren hinter meinem Rücken! Erzählen Sie mir keine Märchen über Telefonanrufe von Waxted, wenn ich tausend gegen einen Dollar wetten möchte, daß er keine Ahnung davon hat! Lassen Sie sich das gesagt sein, Dr. Hawks.«
»Ich habe Ihnen deutlich genug gesagt, was ich will«, antwortete Hawks unbeirrt. »Sie brauchen nur noch ja oder nein zu sagen.«
»Ich habe schon immer behauptet, daß Sie saubere Arbeit liefern. Was soll das, Hawks? Warum wollen Sie Sam Latourette plötzlich loswerden?« Cobey kniff die Augen zusammen. »Latourette war doch sozusagen Ihr zweiter Schatten, seit er hier ist. Wenn ich einen Kurzvortrag über die Fortschritte der Elektronik in den letzten drei Wochen haben möchte, brauche ich nur Latourette zu fragen, wie es Ihnen in letzter Zeit geht. Was ist los, Hawks, haben Sie mit Latourette Krach gehabt?«
Hawks sah immer noch aus dem Fenster.
»Beziehungen zwischen Menschen sind immer eine komplizierte Sache.« Hawks sprach langsam und deutlich, als fürchte er steckenzubleiben. »Manche Menschen verlieren die Fähigkeit, ihre Gefühle zu kontrollieren. Je intelligenter sie sind, desto unmerklicher geht dieser Prozeß vor sich. Intelligente Männer sind stolz darauf, daß sie sich nicht von Gefühlen leiten lassen. Sie geben sich große Mühe, ihre impulsiven Regungen zu verbergen — nicht vor ihrer Umwelt, denn sie sind keine Heuchler —, aber vor sich selbst. Sie erfinden rationale Gründe für emotionelle Handlungen und haben für jede Katastrophe logische Erklärungen bereit. Ein Mann kann eine ganze Reihe von Fehlern machen und sie lange Zeit konsequent weiter als Grundlage für seine Handlungsweise benützen, ohne selbst zu erkennen, daß er von falschen Tatsachen ausgeht.«
»Das heißt also, daß Sie doch einen Krach mit Latourette hatten. Sie wollen es so machen, und er anders, stimmt's?«
Hawks zuckte mit den Schultern. »Menschen dieser Art neigen zur Anwendung von Gewalt, wenn sie psychisch beansprucht werden«, fuhr Hawks verbissen fort. »Gewaltanwendung heißt nicht immer ein tätlicher Angriff — es kann auch ein Bleistift sein, der ein Diagramm verändert, oder eine nebensächliche Entscheidung, die aber doch für das Gelingen des Versuchs entscheidend ist. Kein Vorgesetzter kann seine Assistenten ständig überwachen. Wenn er es könnte, brauchte er keine Hilfe bei seiner Arbeit. Latourette muß gehen, sonst habe ich die ganze Sache nicht völlig in der Hand.«