Barker betrachtete es nachdenklich. »Ist das das gleiche Gebilde, von dem Sie mir bereits einige Aufnahmen gezeigt haben?«
»Ja, aber die entstanden erst wesentlich später. Auf dieser Photographie war nur zu erkennen, daß es auf dem Mond ein Gebilde gab, dessen Ausmaße und Eigenschaften nicht erkennbar waren und das keiner der natürlichen Formationen glich, die bisher auf dem Mond festgestellt worden waren. Seither ist es einigermaßen genau ausgemessen worden, und wir wissen jetzt, daß es etwa hundert Meter Durchmesser hat und knapp zwanzig Meter hoch ist — allerdings ist es nicht gleichmäßig geformt. Wir wissen immer noch nicht sehr viel über seine Eigenschaften, aber das braucht uns im Augenblick nicht zu kümmern.
Die Regierung entschied damals sofort, daß dieses Gebilde untersucht werden müsse. Niemand hatte erwartet, daß die Rückseite des Mondes wesentlich anders als die der Erde zugewandte Seite aussehen würde. Nachdem die Russen uns in bezug auf die Entwicklung von Raumschiffen überlegen waren, konnte es sein, daß sie eine sehr wichtige Entdeckung machten, wenn wir ihnen nicht zuvorkamen.«
Hawks rieb sich die Augen. »Die Navy hatte bereits einige Jahre vorher einen Entwicklungsauftrag mit Continental Electronics abgeschlossen, weil sie an meinem Materie-Transmitter Interesse hatte. Im Februar letzten Jahres waren wir endlich soweit, daß wir einen Menschen innerhalb des Laboratoriums vom Transmitter in den danebenstehenden Empfänger übertragen konnten. Als wir gerade Versuche in der Sierra Nevada anstellen wollten, beschloß die Regierung ein Beschleunigungsprogramm, mit dessen Hilfe Freiwillige auf den Mond geschickt werden sollten.
Geld spielte keine Rolle, deshalb gelang es den Raketenspezialisten der Army auch ziemlich bald, eine Relaisantenne auf den Mond hinaufzuschießen. Kurze Zeit später glückte es dann auch mit einem primitiven Empfänger. Einer unserer Techniker meldete sich freiwillig und wurde von hier aus in den Empfänger auf dem Mond übertragen. Dort errichtete er zunächst eine Schutzhülle um die Antenne, tarnte sie, montierte dann den Empfänger, den wir jetzt für unsere Versuche benützen. Nachdem er einen Transmitter und die nötigen Unterkünfte mit dem Material errichtet hatte, das er von uns erhalten hatte, handelte er entgegen meinen ausdrücklichen Befehlen und drang in das Gebilde ein, ohne auf die Ankunft der Navy-Spezialisten zu warten, die den Stützpunkt bemannen sollten.
Er wurde erst vor wenigen Wochen gefunden — er war der Mann auf der zweiten Photographie, die ich Ihnen zeigte. Seine Leiche befand sich innerhalb dieses Gebildes, und der Untersuchungsbefund stellte fest, daß sie die gleichen Veränderungen aufwies wie ein menschlicher Körper, der aus einer Höhe von dreitausend Metern auf die Erde stürzt.«
Barker verzog den Mund. »Wäre das möglich gewesen?«
»Nein.«
»Ich verstehe.«
»Ich nicht, Barker, und die anderen ebenfalls nicht. Vorläufig wissen wir noch nicht einmal, wie wir das Ding nennen sollen. Es verändert sich ständig, und Photographien geben nur den ungefähren Eindruck wieder, den ein Betrachter davon gewinnen könnte. Niemand weiß, was es ist, warum es sich dort befindet, was für einen Zweck es erfüllt, oder wer es ge schaffen haben mag. Wir wissen nur, daß es sich seit mindestens einer Million Jahre dort befunden haben muß, weil sich das aus dem Meteoritenstaub ermitteln läßt, der sich darauf festgesetzt hat. Und wir wissen, was es jetzt tut: es bringt Menschen um.«
»Immer wieder, auf unvorstellbare Art, Doktor?«
»Genau. Wir müssen jede von ihnen kennenlernen, wir müssen feststellen, wozu dieses Gebilde fähig ist, bevor wir ausgebildete Techniker hineinschicken können, die es untersuchen und auseinandernehmen werden. Aber zunächst brauchen wir einen Mann, der es allein erforscht. Ich bin dafür verantwortlich, daß dieses Gebilde Sie so oft wie irgend möglich umbringt.«
»Na, das ist wenigstens eine ehrliche Warnung, obwohl ich nur die Hälfte verstanden habe. Ich kann mich nicht über Sie beschweren, Doktor.«
»Das war keine Warnung«, widersprach Hawks. »Es war ein Versprechen.«
Barker zuckte mit den Schultern. »Nennen Sie es, wie es Ihnen Spaß macht.«
»Für gewöhnlich wähle ich meine Worte nicht auf dieser Grundlage«, stellte Hawks fest.
Barker grinste ihn an. »Sie und Sam Latourette könnten gemeinsam im Kabarett auftreten.«
Hawks warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. »Sie haben vielleicht gar nicht so unrecht.« Er nahm einen anderen Ordner zur Hand und reichte ihn über den Schreibtisch.
»Sehen Sie sich das an.« Er stand auf. »Es gibt nur einen Eingang in dieses Gebilde. Unser erster Techniker hat ihn vermutlich nur aus Zufall entdeckt, als er hineinstolperte. Es ist kein Eingang im eigentlichen Sinn, sondern eine Stelle, an der Menschen in das Gebilde eindringen können — entweder ist dieser Einlaß aus Zufall oder aus Absicht entstanden, wir wissen es nicht. Drei Männer mußten sterben, bis wir endlich eine Karte zur Verfügung hatten, die es anderen gestattet, die Formation zu betreten und sich dabei nur nach den Angaben der Karte zu richten. Andere starben, bevor wir folgendes über das Innere des Gebildes in Erfahrung gebracht hatten:
Ein Mensch, der sich darin aufhält, ist von außen her undeutlich zu erkennen, wenn man weiß, wo er sich ungefähr befindet. Niemand weiß allerdings, was er sieht — die Angaben darüber sind ungenau und lückenhaft. Keiner ist jemals wieder herausgekommen; keiner hat bisher einen Ausgang finden können; der Eingang läßt sich zu diesem Zweck nicht benutzen. Tote Materie, zum Beispiel eine Photographie oder eine Leiche kann nach draußen befördert werden. Aber jeder Mensch, der dies unternimmt, findet dabei den Tod. Die Photographie des ersten Freiwilligen kostete ein Menschenleben.
Das Gebilde gestattet außerdem keine Verbindungsaufnahme mit Hilfe elektrischer Signale. Auch dann nicht, wenn die Versuchsperson das Sprechfunkgerät des Schutzanzugs benützt. Husten, Räuspern und ähnliche Geräusche werden erlaubt, aber ein Versuch, damit etwas zu übermitteln, schlug fehl.
Sie werden keinerlei Verbindung mit der Außenwelt aufnehmen können — weder über Funk noch per Draht. Sie werden sich mit den Beobachtern durch Handzeichen verständigen müssen und Aufzeichnungen auf einem Schreibblock machen, den die Mannschaft des Stützpunkts herauszuziehen versuchen wird, nachdem Sie ums Leben gekommen sind. Wenn das nicht klappt, wird Ihr Nachfolger ihn hinauszubringen versuchen, falls Ihre Aufzeichnungen lesbar sind. Wenn nicht, wiederholt er alles, was Sie vermutlich getan haben und notiert dabei jeden Schritt, bis er den gefunden hat, der für Sie tödlich gewesen ist.
Auf diese Art und Weise haben wir bereits eine Liste sicherer und tödlicher Stellungen und Bewegungen zusammenstellen können. Es ist zum Beispiel tödlich, sich auf ein Knie niederzulassen, während man nach Norden blickt. Es ist tödlich, die linke Hand zu irgendeiner Zeit über Schulterhöhe zu heben. Von einem gewissen Punkt ab ist es tödlich, einen Schutzanzug zu tragen, dessen Luftschläuche über die Schultern führen. Von einem anderen Punkt an ist es tödlich, einen Anzug zu benützen, der seine Luft direkt aus den Druckluftbehältern bezieht, ohne dabei Schläuche zu haben. Jeder Schutzanzug, dessen Ausmaße die unseres letzten Modells überschreiten, bringt seinem Träger ebenfalls den Tod. Es ist tödlich, die Handbewegungen zu machen, die erforderlich sind, um das Wort ja zu schreiben — ob rechts oder links macht keinen Unterschied.
Die Gründe dafür kennen wir nicht. Wir wissen nur, was ein Mensch tun darf, während er sich in dem bisher erkundeten Teil des Gebildes aufhält. Bis jetzt umfaßt das einen Bereich von etwa zwölf Metern. Die Überlebensdauer beträgt unterdessen zweihundertzweiunddreißig Sekunden.
Lernen Sie das Zeug hier auswendig, Barker. Sie bekommen die Karte und eine Aufstellung der ungefährlichen Bewegungen mit, aber niemand weiß, ob diese Schriftstücke sich nicht als tödlich erweisen, wenn Sie den letzten bekannten Punkt überschreiten. Falls Sie noch Fragen haben sollten, können Sie die Antworten in den einzelnen Versuchsberichten nachschlagen. Ich erwarte Sie pünktlich in einer Stunde im Laboratorium, damit ich Ihnen die letzten Anweisungen erteilen kann. Setzen Sie sich lieber an meinen Schreibtisch, dort ist das Licht besser.«