Barker ballte die Fäuste und trat einen Schritt vor.
»Es hat keinen Sinn, Barker«, sagte Hawks. »Sie können mir nichts antun. Wenn Sie mich jetzt umbringen, beweisen Sie damit nur, daß Sie Angst vor mir haben.«
»Das ist nicht wahr!« widersprach Barker aufgeregt. »Ein Krieger tötet seine Feinde.«
Hawks starrte ihm in die Augen. »Sie sind kein Krieger, Al«, stellte er fest. In seiner Stimme schwang ein leichtes Bedauern mit. »Jedenfalls nicht der Krieger, der Sie sein möchten. Sie sind ein Mann, das ist alles. Und Sie möchten ein echter Mann sein — ein Mann, der seinen selbstgestellten Anforderungen genügt, der seinem eigenen Ideal entspricht. Das ist alles. Das ist genug.«
Barker ließ die Arme sinken. Er sah Hawks verwirrt an. »Sie sind so verdammt schlau, Doktor«, keuchte er. »Sie wissen einfach alles! Sie kennen mich besser, als ich mich selbst kenne. Wie kommt das, Hawks?«
»Ich bin auch ein Mann, Al.«
»Ja?« Barker fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Wirklich? Das ist mir völlig gleichgültig, deswegen kann ich Sie auch nicht besser leiden! Verschwinden Sie, Mann, solange Sie noch können!« Barker warf sich herum, ging rasch auf die Tür zu und riß sie auf. »Gehen Sie schon! Lassen Sie mich mit meinen alten Freunden allein — bei denen weiß ich wenigstens, wie sie mich umbringen möchten!«
Hawks sah ihn schweigend an. Sein Gesichtsausdruck war besorgt. Dann ging er zur Tür, blieb aber noch einmal stehen und starrte Barker ins Gesicht.
»Sie müssen unbedingt kommen«, sagte er langsam. »Ich brauche morgen früh Ihren Bericht. Und dann muß ich Sie wieder hinaufschicken.«
»Verschwinden Sie, Hawks!«
»Ich habe es Ihnen jedenfalls gesagt«, antwortete Hawks und ging an ihm vorbei in die Nacht hinaus.
Barker knallte die Tür hinter Hawks ins Schloß. Dann drehte er sich um und öffnete den Mund zu einem Schrei, der nur undeutlich ins Freie drang. »Claire? Claire!«
19
Hawks folgte dem Lichtschein, der aus den Wohnzimmerfenstern über den Rasen fiel, bis er den Rand der Klippe erreicht hatte. Dort stand er lange Zeit unbeweglich und starrte auf die Wellen hinab, die sich weit unter ihm an den Felsen brachen und als weißer Schaum zurückfluteten.
»Und dunkel …«, sagte er laut. »Und dunkel und nirgendwo Sterne …« Dann ging er mit gesenktem Kopf weiter am Rand der Klippen entlang, bis er die Terrasse erreichte, die zwischen Haus und Meer lag. Er stolperte unsicher zwischen den Stühlen und Tischen hindurch, die in der Dunkelheit kaum zu erkennen waren.
»Hallo, Ed«, sagte Claire mit trauriger Stimme. Sie saß auf einem Stuhl an der Wand. »Wollten Sie mir Gesellschaft leisten?«
Hawks drehte sich überrascht zu ihr um, dann setzte er sich. »So kann man es auch nennen.«
Claire hatte ihren Badeanzug mit einem Kleid vertauscht und trank eine Tasse Kaffee. »Möchten Sie auch einen Schluck?« fragte sie leise. Ihre Stimme klang unsicher. »Hier draußen ist es schon ziemlich kühl.«
»Danke schön.« Er nahm die angebotene Tasse entgegen und trank neben der Stelle, an der ihr Lippen stift deutliche Abdrücke hinterlassen hatte. »Ich wußte nicht, daß Sie hier zu finden sein würden.«
Claire lachte spöttisch. »Ich hatte es einfach satt, Connie hinter jeder Tür lauern zu finden. Ich wollte hier warten, bis Al aufgestanden ist.«
»Er ist wieder wach.«
»Ich weiß.«
Hawks gab ihr die Tasse zurück. »Haben Sie alles gehört?«
»Ich war in der Küche. Es … es war eine ziemliche Überraschung, als ich hörte, wie andere über mich denken und sprechen.« Sie setzte die Tasse heftig auf und starrte an Hawks vorbei.
Hawks schwieg.
»Warum tue ich das nur, Hawks?« klagte sie. »Ich weiß es nicht. Aber ich behandle ihn, als ob ich ihn haßte. So geht es mir bei jedem. Ich kann keinen Mann sehen, ohne mich unmöglich zu benehmen.«
»Frauen gegenüber auch?«
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. »Welche Frau würde schon lange genug in meiner Gesellschaft bleiben, um mir Gelegenheit dazu zu geben? Und welcher Mann brächte es fertig, die Frau in mir zu ignorieren? Aber ich bin schließlich auch ein Mensch; ich bestehe nicht nur aus einem Körper. Aber niemand mag mich, Hawks — niemand zeigt jemals Interesse dafür, daß ich auch ein Mensch bin!
Es macht keinen Spaß, Hawks, wenn man hört, wie andere so über einen reden. ›Ich kenne sie — bei Gott, ich kenne sie genau.‹ Wie sollte er mich kennen? Wann hat er mich je kennenzulernen versucht? Hat er sich je die Mühe gemacht, sich nach meinen Gedanken oder Wünschen zu erkundigen? Und Connington — er versucht mich zu beeinflussen, er gibt sich alle Mühe, die Dinge so zu verändern, daß ich ihm nachgebe. Er hofft darauf, daß Al im Laufe der Zeit zu einem solchen Wrack wird, daß ich ihn nicht mehr will. Aber warum muß es ausgerechnet Connington sein, wenn ich mich eines Tages von Al trenne? Nur weil Connie immer hier herumlungert — weil er nicht genügend Grips hat, um seine Niederlage einzusehen? Bin ich daran schuld, daß er sich hier herumtreibt? Er bekommt keine Belohnung dafür. Damit erreicht er nur, daß Al ab und zu einen Wutanfall hat.«
»Sind Sie ihm dafür nicht dankbar?« fragte Hawks.
»Und Sie …«, brach es aus Claire hervor. »So verdammt selbstsicher! So überzeugt davon, daß niemand Ihnen etwas anhaben kann! Immer diese sarkastischen Bemerkungen. Ich soll Al angeblich aufstacheln! Hören Sie, kann ich etwa aus einem Ziegelstein einen Vogel machen? Kann ich einen Raben in einen Schwan verwandeln? Wozu könnte ich ihn bringen, wenn er nicht selbst so wäre? Ich zwinge ihn nicht zu diesen wahnsinnigen Unternehmen. Und ich habe ihn von Ihnen fern zuhalten versucht — als Sie damals gegangen waren, wollte ich ihn zum Aufgeben überreden! Aber er wurde nur eifersüchtig. Und das wollte ich wirklich nicht! Ich habe mich heute zum erstenmal ernsthaft um Sie bemüht. Vorher habe ich höchstens ein bißchen mit Ihnen zu flirten versucht — das wissen Sie doch selbst auch!«
Sie streckte den Arm über den Tisch zwischen ihnen und nahm seine Hand. »Können Sie sich vorstellen, wie einsam ich manchmal bin? Wie sehr ich mir wünsche, ich wäre anders?« Ihre Hand schloß sich fester. »Aber was kann ich dagegen tun? Wie soll ich jetzt noch etwas daran ändern?«
»Ich weiß es nicht, Claire«, antwortete Hawks langsam. »Ein Mensch ändert sich nicht leicht.«
»Aber ich will mich nicht selbst hassen, Hawks! Nicht mein ganzes Leben lang! Was glaubt ihr eigentlich alle von mir — daß ich blind, taub und dumm bin? Ich weiß genau, wie anständige Leute sich benehmen, ich kenne den Unterschied zwischen untadelig und liederlich. Ich war auch einmal ein Kind, das in der Schule saß und Unterricht über Religion, Moral und gute Sitten erhielt. Ich komme schließlich nicht vom Mars — oder glaubt ihr, daß ich mich nur deshalb so aufführe, weil ich es nicht besser weiß?«
»Wir alle wissen es besser, glaube ich«, meinte Hawks zögernd. »Aber trotzdem vergessen wir es von Zeit zu Zeit. Manchmal vergessen wir es absicht lich, weil wir uns einbilden, es ginge nicht anders.« Er lächelte. »Tut mir leid, wenn ich mich unklar ausgedrückt haben sollte. Aber ich wüßte nicht, was ich Ihnen sonst noch sagen sollte, Claire.«
Sie sprang auf, ohne seine Hand loszulassen und ging um den Tisch herum, bis sie dicht vor ihm stand. »Sie könnten mir sagen, daß Sie mich mögen, Ed«, flüsterte sie. »Sie sind der einzige von allen, der in mich hineinsehen und mich trotzdem mögen könnte.«
Hawks stand auf, als Claire an seiner Hand zog. »Claire …«, begann er unsicher.
»Nein, nein, nein, Ed!« unterbrach sie ihn und legte ihre Arme um seinen Hals. »Ich möchte jetzt nicht reden. Ich möchte mich von jemand umarmen lassen, der in mir nicht nur eine begehrenswerte Frau sieht. Ich möchte mich einmal in meinem Leben warm und geborgen fühlen!« Sie wandte ihm ihr tränenfeuchtes Gesicht zu. »Bitte, Ed«, flüsterte sie dann und lehnte sich an ihn. »Bitte, gib mir das, wenn du kannst …«