Unsere Wanderer waren sehr müde. Angst hatte sie die vergangenen Tage verfolgt. Erst die unheimlichen Blauen Ratten, dann die Geister aus dem Tal der Gespenster. Und jetzt erschien auch noch eine aufgebrachte Hexe – das verhieß nichts Gutes.
"Schau mich nicht so an", fuhr Pummelante die Prinzessin an.
"Helft uns, bitte helft uns", flehte die kleine Prinzessin.
"Die Blauen Ratten werden bald hier sein. Pummelland ist in Gefahr", fügte der Lehrer hinzu, während er einen Schritt nach vorn ging und sich vor die Kinder stellte.
"Ratten? Schon wieder diese ekelhaften Ratten", verzog die Alte das Gesicht und machte langsam den Höhleneingang frei.
Sie mochte Ratten überhaupt nicht. Und ihre Freunde – die Schlangen, Skorpione und Fledermäuse – hatten schlichtweg Angst vor ihnen.
"Ich hasse die Ratten", brummte die Hexe, "Besonders ihre Königin, diese glotzäugige, schnurrbärtige Angeberin. An allem sind nur die Menschen schuld! Die Blauen Ratten verkörpern das Böse. Sie tauchen dort auf, wo das Gute verschwunden ist. Sie erobern neue Länder und führen dort ihre Ordnung ein. Sie sind schlimmer als die Pest, weil man sie nicht besiegen kann!"
"Du hast die Geige vergessen, unsere Zaubergeige", unterbrach Kalio sie.
"Geige? Ach ja, die Geige! Aber wer soll sie denn spielen? Etwa Du, kleiner Landstreicher?", schnaubte die Hexe verächtlich, "Weißt Du, dass die Blauen Ratten nur von einem Menschen mit reinem, liebendem Herzen besiegt werden können? Bist Du Dir sicher, dass Du ein solcher bist? Oder hast Du vor, Dich um Deines eigenen Vergnügens willen den Ratten auszuliefern?"
"Ich werde es versuchen", erwiderte Kalio leise, umarmte die alte Hexe und zog sie zu der Truhe, in der die Geige lag.
Seufzend und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, reichte ihm die Alte die Geige. Kalio nahm den Bogen und begann zu spielen. Der alten Pummelante traten Tränen in die Augen.
"Vielleicht hast Du Recht, mein Junge, Du wirst sie tatsächlich besiegen."
Kapitel 20
Der Sieg über die Blauen Ratten
Der Rückweg zum Palast war wesentlich schneller. Die Hexe hatte den Flüchtenden nicht nur die Zaubergeige gegeben, sondern sie auch in nur einem Augenblick durch das Tal der Gespenster befördert. Nur eine Sache betrübte unsere Wanderer, und das war die Tatsache, dass Pummelante den kleinen Pummelplatsch bei sich behalten hatte.
"Wenn Ihr die Blauen Ratten verjagt und mir die Geige zurückgegeben habt, dann bekommt Ihr auch Euren Dreikäsehoch zurück", sprach die Hexe und nahm Pummelplatsch an die Hand.
Der Kleine leistete keinen Widerstand. Beim Abschied gab die Prinzessin Pummelplatsch einen Schmatzer in sein schmutziges Gesichtchen und flüsterte:
"Sei nicht traurig, wir sind bald zurück."
Pummelplatsch lächelte und hielt seine eingefallenen Bäckchen den Freunden für Abschiedsküsse hin.
"Denkt daran", erinnerte die Hexe Pummelante beim Abschied, "Die Blauen Ratten müssen in dem alten verlassenen Schacht eingemauert werden. Die Zaubergeige hilft dabei, die Liebe in den Herzen der Menschen wieder zu erwecken. Und dann bleibt nicht mehr viel zu tun übrig – eine Wand zu mauern ist überhaupt nicht schwierig."
Als sie vor dem Palast standen, begann Kalio zu spielen. Der zarte Klang der Zaubergeige ertönte und drang in die Seele eines jeden Menschen ein. Die Leute hörten der Musik zu. Sie lächelten. In ihren Herzen wurde die Liebe wieder geboren. Mit jedem Klange wurde die Natur lebhafter. Die bleigrauen Wolken über dem Palast lösten sich auf. Die Vögel stimmten wieder ihren Gesang an. Die purpurroten Rosen im Palastgarten begannen wieder zu blühen und zu duften. Die Musik erfüllte das gesamte Schlossgelände. Als Echo schallte sie durch die Gänge des Schlosses und erfüllte die Räume. Es waren keine Ratten zu sehen. Als sie in den finsteren Keller herabstiegen, bemerkten die Freunde eine offene Tür.
Der verängstigte König und sein Gefolge standen auf den untersten Stufen der Treppe.
"Vater!", warf sich die Prinzessin Pummelinchen in seine Arme.
Dem alten König fehlten die Worte, die Tränen schossen ihm in die Augen. Er drückte das Köpfchen der kleinen Prinzessin an sich und weinte lautlos.
"Vater, mein liebster Vater", flüsterte die kleine Prinzessin und küsste ihn.
"Eure Hoheit, wo sind denn die Ratten?", fragte der besorgte Lehrer.
"Kaum erklang diese zauberhafte Musik, fingen die Ratten an, panikartig in den Keller zu flüchten", antwortete der König, nachdem er seine Tränen getrocknet hatte, "Dort ist der Durchgang zu dem alten verlassenen Schacht."
"Eure Hoheit", hob Herr Pummelkowski wieder an zu sprechen, "Der Schacht muss zugemauert werden."
An der Spitze eines Trupps Soldaten bewegten sich der Lehrer und Kalio zum Durchgang, der zu dem alten Schacht führte. Ein Teil des Schachts war mit Steinen zugeschüttet. Durch einen schmalen Spalt klaffte ein schwarzes Loch. Daneben saß auf den Steinen die Königin der Blauen Ratten. Mit glühenden Augen blickte sie hasserfüllt auf die Menschen.
"Ihr glaubt, dass Ihr gewonnen habt?", zischte das blaue Monster, "Dem ist überhaupt nicht so! Die Menschen werden wieder grausam werden, sie werden einander wieder beneiden, sich betrügen und die Liebe wird verschwinden. Wir werden zurückkehren und das Böse wird erneut auf der Welt triumphieren. Das Böse wird ewig leben!"
"Nein", unterbrach sie der Lehrer, "So wird es nie wieder sein. Nur die Liebe kann ewig leben! Ja, die Menschen machen Fehler, aber sie lernen aus ihnen und lehren ihre Kinder entsprechend. Es gibt nichts auf der Welt, das stärker als die Liebe ist. Im Namen der Liebe halten wir alle Prüfungen aus, im Namen der Liebe ist Fräulein Pummelmeier gestorben und im Namen der Liebe zerstören wir das Böse."
Kalio fuhr mit dem Bogen über die Saiten der Geige. Die Blaue Ratte begann zu zittern. Aus ihren gewaltigen Augen stießen Flammen. Kalio spielte lauter. Die Musik war wunderschön. Die Königin der Blauen Ratten begann, sich zu drehen, schrumpfte zusammen und fauchte. Es schien, als ob sie unerträgliche Schmerzen hätte. Noch einen Augenblick und sie war verschwunden.
Als sie zurückgekehrt waren, begannen die mutigen Wanderer dem König aufgeregt und durcheinander ihre Abenteuer zu erzählen. Der König wurde nicht müde, die Tapferkeit und Findigkeit seiner Untertanen zu bewundern. Er war glücklich – seine Kinder, sein Hofstaat und sein Volk waren zurück. Nachdem er sich beruhigt und ausgiebig nachgedacht hatte, verfasste der König eine Menge weiser Befehle. Der erste davon bezog sich auf den alten Schacht. Der Eingang zu ihm wurde für immer zugemauert. Und damit die Einwohner Pummellands niemals vergessen mögen, welche große Kraft die Liebe besitzt, sollte ihnen Kalio jeden Abend auf der Geige vorspielen. Jedoch nicht auf der Zaubergeige, sondern auf einer gewöhnlichen. Die Zaubergeige musste nämlich der alten Hexe zurückgegeben werden, damit der als Pfand bei ihr verbliebene Pummelplatsch ausgelöst werden konnte.
Der kleine Pummelplatsch kehrte nicht mit leeren Händen von der Hexe Pummelante zurück. Die Hexe hatte ihm ein Geschenk gemacht – ihre Glaskugel, mit deren Hilfe er in die Sterne schauen konnte. Nachdem sie die Zaubergeige wieder in ihrer Truhe verstaut und sich der leidigen Glaskugel entledigt hatte, sperrte sie sich in ihrer Höhle ein und wollte niemanden mehr sehen.
Im Land gab es einige Änderungen. Der Kindergarten "Pummellütt" wurde ein gewöhnlicher Kindergarten, in dem die Erzieher die Kinder erzogen und die Kinder hören mussten. Der Lehrer Pummelkowski komponierte weiter Musik. Und der junge Geiger Kalio trug diese mit großem Erfolg vor.
Und die Prinzessin? Die kleine Prinzessin und ihre treue Freundin Pummelette gehen seit Anfang des Jahres in die Schule. Aber das ist bereits eine andere Geschichte. Und diese hier endet gut. Das Gute hat das Böse besiegt und die Herzen der Menschen sind wieder voller Liebe.