Durward wollte sich entschuldigen, daß er die Freigebigkeit seines neuen Freundes nicht anzunehmen wage; allein Meister Peter sagte, indem er seine dunkeln Augenbrauen zusammenzog und seine gebückte Gestalt mit einer Würde, die Durward noch gar nicht an ihm bemerkt hatte, emporrichtete, in einem gebieterischen Tone:»Keinen Einwand, junger Mensch! Tu, was Dir befohlen wird!«Mit diesen Worten verließ er das Gemach, Quentin durch einen Wink begreiflich machend, daß er ihm nicht folgen solle. Dieser blieb verwundert zurück und wußte durchaus nicht, was er von der Sache denken solle. Sein erster und natürlichster, wenn auch eben nicht der würdigste Antrieb war, in den silbernen Becher zu gucken, der über die Hälfte mit Geldstücken angefüllt war, die sich wohl auf einige Dutzend belaufen konnten, während Quentin in seinem ganzen Leben noch keine zwanzig besessen hatte. Ließ es sich aber auch mit der Würde eines Edelmanns vereinigen, das Geld von dem reichen Plebejer anzunehmen? Das war freilich eine bedenkliche Frage; denn wenn er auch ein gutes Frühstück zu sich genommen hatte, so hatte er doch eben keine großen Hilfsquellen, um entweder nach Dijon zurückzureisen, falls er es wagen sollte, sich dem Zorn des Herzogs von Burgund auszusetzen, oder um sich nach Saint-Quentin zu begeben, wenn er sich für den Connetable Saint-Paul entschied. Vielleicht faßte er unter diesen Umständen den klügsten Entschluß, indem er sich vornahm, sich der Leitung seines Oheims anzuvertrauen. Er steckte einstweilen das Geld in den samtnen Falkenbeutel und rief den Wirt des Hauses, um ihm den Becher wieder zurückzugeben und sich über den freigebigen und verschwenderischen Kaufmann bei dieser Gelegenheit zu erkundigen.
Der Wirt zeigte sich, wenn auch nicht mitteilsam, doch gesprächiger als vorhin. Er weigerte sich unbedingt, den silbernen Becher zurückzunehmen, da er nicht ihm, sondern dem Meister Peter gehöre, der ihn seinem Gaste geschenkt habe.
«Aber ich bitt Euch, «rief Durward,»sagt mir bloß, wer dieser Meister Peter ist, der Fremden so beträchtliche Geschenke macht?«—»Meister Peter?«sagte der Wirt, die Worte dabei so langsam aus seinem Munde fallen lassend, als ob er sie destillieren wolle. — »Ja doch!«wiederholte Durward schnell und bestimmt;»wer Meister Peter ist, frage ich, und warum er mit seinen Geschenken in dieser Weise um sich wirft? und dann, wer der Kerl ist, der einem Fleischer ähnlich sieht und der das Frühstück bestellen mußte?«—»Da hättet Ihr ihn selbst fragen sollen, den Meister Peter; was aber den Herrn betrifft, der das Frühstück bei mir bestellt hat, so mag uns Gott vor seinem nähern Umgange bewahren!«—»Dahinter steckt ein Geheimnis!«sagte der junge Schotte;»Meister Peter hat mir gesagt, er sei ein Kaufmann.«—»So? na dann ist er auch sicher ein Kaufmann.«—»Mit was für Ware handelt er denn?«—»O, mit allerhand, besonders aber hat er Seidenmanufakturen hier angelegt, die ganz ebenso schöne Sachen liefern, wie die Venetianer aus Indien und Kathai bringen. Habt Ihr nicht die Reihen von Maulbeerbäumen gesehen, als Ihr hierher kamt? Die sind alle auf Meister Peters Befehl angepflanzt worden, zur Nahrung für die Seidenwürmer.«—»Allein das junge Mädchen, das die gedörrten Pflaumen hereinbrachte, wer ist denn die, guter Freund?«fragte der Gast. — »Sie wohnt bei mir, Sir, mit ihrer Aufseherin, wohl einer Base, wenn ich nicht irre!«versetzte der Gastwirt. — »Aber ist es denn bei Euch Sitte, daß Eure Gäste sich gegenseitig aufwarten?«fragte Durward.»Denn ich hab's doch bemerkt, daß Meister Peter nichts aus Eurer Hand oder aus den Händen Eurer Leute nehmen wollte.«—»Reiche Leute haben nun so ihre Launen; denn sie können's bezahlen!«sagte der Wirt;»das ist nicht das erstemal, wo Meister Peter Mittel und Wege gefunden hat, vornehme Leute nach seinem Wink tanzen zu lassen.«
Der junge Schotte fühlte sich durch diese Aeußerung einigermaßen gekränkt, verbarg aber seinen Verdruß und fragte, ob er hier für sich auf einen Tag, vielleicht auf noch längere Zeit, ein Zimmer bekommen könne. — »Das versteht sich, «sagte der Gastwirt;»solange es Euch beliebt, Ihr habt nur zu befehlen.«—»Darf ich den Damen meine Aufwartung machen, da ich nun doch unter einem Dache mit ihnen wohnen werde?«Der Gastwirt wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Endlich erwiderte er: sie gingen nicht aus und empfingen auch zu Hause keinen Besuch. — »Mit Ausnahme Meister Peters, nicht wahr?«fragte Durward. — »Es kommt mir nicht zu, Ausnahmen anzuführen, «entgegnete der Wirt fest, aber achtungsvoll.
Quentin, durch die Antwort des Gastwirts neuerdings verletzt, verlangte in sein Zimmer geführt zu werden. Der Gastwirt ging eine Wendeltreppe hinauf, dann eine Galerie entlang, auf die viele Türen führten, blieb an ihrem äußersten Ende stehen, suchte einen Schlüssel aus dem großen Schlüsselbunde hervor, den er an seinem Gürtel trug, öffnete eine Tür und wies seinem Gast ein zwar kleines, aber reinliches und trauliches Turmzimmer, das mit einem Feldbette und einigem Hausrat versehen, in guter Ordnung war und ihm, im ganzen genommen, wie ein kleiner Palast erschien.
«War das ein glücklicher Gedanke, so vom Flecke weg in den Bach zu springen!«rief Quentin Durward, als der Wirt sich entfernt hatte, und machte einen Freudensprung;»nie ist mir das Glück in einer bessern Gestalt erschienen. «Er trat an das kleine Fenster, von wo aus man, da der Turm beträchtlich aus der Hauptlinie des Gebäudes hervortrat, nicht nur in einen hübschen, ziemlich geräumigen Garten hinab sah, sondern auch eine freundliche Anpflanzung von Maulbeerbäumen überschauen konnte. Wenn man aber von diesen entfernten Gegenständen das Auge hinwegwandte und längs der Mauer hinsah, so bemerkte man einen andern Turm gegenüber mit einem ebensolchen kleinen Fenster wie das, an welchem jetzt Quentin stand. Nun würde es aber einem, der zwanzig Jahre älter wäre als Quentin, schwer begreiflich sein, warum diese Oertlichkeit ihn mehr interessierte, als der schöne Garten oder die freundliche Maulbeerpflanzung; aber auf der einen Seite der Fenstervertiefung hing eine Laute, zum Teil von einem leichten seegrünen Schleier bedeckt; und eine Laute sich ohne eine Sängerin zu denken, war bei Durwards jugendlichem Alter ausgeschlossen; weiter läßt sich leicht vermuten, daß Durward von der Besitzerin der Laute und des Schleiers mehr zu erfahren wünschte, wenigstens darf man voraussetzen, daß es ihn interessierte, dahinter zu kommen, ob es etwa dieselbe Person sei, die Meister Peter so demütig aufgewartet hatte; und soweit ist es wohl begreiflich, daß er sich nicht der vollen Länge und Breite nach in seinem eigenen Fenster zeigte. Nein! unser Durward verstand sich besser auf die Kunst, Vögel zu fangen; er wußte sich geschickt auf einer Seite des Fensters zu verbergen, und bloß durch den Laden guckend, hatte er das Vergnügen, einen schönen, runden, weißen Arm zu erblicken, der eben die Laute herabnahm, worauf auch seine Ohren für sein geschicktes Verhalten ihren Lohn empfingen.
Das Mädchen in dem kleinen Turm, mit der Laute und dem Schleier, sang eins von jenen kleinen Liedern, wie sie von den Lippen der Edelfrauen zur Zeit des Rittertums flossen, bei denen Ritter und Minnesänger lauschten und seufzten. In den Worten lag weder so viel Sinn, Geist und Phantasie, um die Aufmerksamkeit von der Musik abzulenken, noch zeigte diese soviel Kunst, um alle Empfindungen von den Worten abzuziehen. Das eine schien bloß für das andere da zu sein, und wäre der Gesang ohne die Noten rezitiert, oder die Musik ohne die Worte gespielt worden, so würde keins von beiden etwas wert gewesen sein. Aber auf Quentin übte beides eine mächtige Wirkung, zumal die Gestalt der Sängerin nur teilweise und nicht deutlich sichtbar war, so daß sich ein geheimnisvoller Zauberschleier über das Ganze breitete.