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Beim Schluß des Liedes konnte der Lauscher nicht umhin, sich kühner zu zeigen als bisher, um vielleicht mehr zu sehen, als er bisher hatte entdecken können. Allein die Musik hörte augenblicklich auf, das Fenster wurde geschlossen und eine dunkle, von innen vorgezogene Gardine setzte allen weiteren Beobachtungen des Nachbars im Turme eine Grenze.

Fünftes Kapitel

Der Ritter, der auf Quentin Durward in dem Zimmer wartete, wo derselbe gefrühstückt hatte, gehörte jenem berühmten Bogenschützenkorps der schottischen Leibgarde an, die von Karl VI., Ludwigs Vorgänger, errichtet worden war, und in dessen Händen, wie man dreist sagen konnte, das Schicksal Frankreichs lag, denn ihm war die unmittelbare Wache über die Person des Königs anvertraut. Es waren verschiedene Umstände, die diesen frühern König von Frankreich zu diesem Schritt bestimmt hatten, vor allem die schwankende, unsichre Treue des Lehnsadels, der wohl die Oberherrschaft des Königs anerkannte, sonst aber in einem fort bestrebt war, seine besonderen Rechte nicht bloß zu behaupten, sondern möglichst zu mehren. Solchem Adel seine Person zum Schutz zu überantworten, wäre unpolitisch und auch gefährlich gewesen. Dagegen war das schottische Volk gewissermaßen der Erbfeind Englands und demzufolge Frankreichs alter und, wenigstens dem Anschein nach, auch natürlicher Bundesgenosse. Es war ein armes, aber mutiges und treues Volk, und da kein andres Volk in Europa so reich war an kühnen und tapfern Abenteurern, ließ sich damit rechnen, daß sich solche Garde immer aus seinen Söhnen neu rekrutieren ließe. Da ferner der schottische Adel sehr alt war und fast durchgängig bis zum Alter der Kreuzzüge, wenn nicht noch höher, hinaufreichte, stand ihm ein besonderes Anrecht darauf zu, näher an die Person des Monarchen herangezogen zu werden, als jeder andre Adel, den französischen nicht ausgeschlossen. Und was schließlich auch noch, und zwar nicht zum geringsten, in Betracht kam bei den damals so äußerst unruhigen Zeiten, war der Umstand, daß ihre geringe Zahl sie verhinderte, sich in Meuterei einzulassen und Gelüste zur Herrschaft zu bekommen, wo sie nur Anspruch auf eine dienende Rolle hatten.

Jeder Bogenschütze hingegen stand an Rang und Ehre den Edelleuten des Landes gleich, und ihre ständige Berührung mit dem Landesherrscher verlieh ihnen in jedermanns Augen einen gewissen Nimbus, der durch die prächtige Tracht, die sie trugen, und die vortreffliche Bewaffnung, sowie das Recht, sich einen Knappen, einen Diener, einen Pagen und einen oder auch ein paar Trabanten zu halten, nicht wenig erhöht wurde. Kein Wunder, daß solcher Bogenschütze als eine Respektsperson galt, und da die in dem Korps frei werdenden Stellen nie anders ausgefüllt wurden, als aus den Reihen der Pagen oder Knappen, so geschah es nicht selten, daß vornehme schottische Geschlechter ihre jüngern Söhne zu einem befreundeten oder verwandten Angehörigen dieses Korps sandten, in dessen Diensten er dann solange blieb, bis eine Vakanz eintrat, in die er dann eintreten konnte.

Quentin Durwards Oheim, Ludwig Lesley, oder wie er im Laufe dieser Erzählung nach der ihn kennzeichnenden Narbe zumeist genannt werden wird, Balafré, war ein Mann von annähernd 6 Fuß Länge, und von muskulöser, untersetzter Gestalt. Seine an sich rauhen Gesichtszüge wurden durch die erwähnte große breite Narbe, die von der Stirn zum rechten Auge hinunter und an diesem entlang, über den von ihr bloßgelegten Backenknochen bis zum Ohrläppchen hinlief, bald scharlach-, bald purpurrot, bald blau aussehend, ja nicht selten sich dem Schwarz nähernd, noch erheblich verunschönt und verdüstert. Diesen Eindruck konnte auch die kostbare Rüstung nicht mildern, die er trug, und die aus Halskragen, Armstücken und Handschuhen aus feinstem Stahl, kunstvoll mit Silber ausgelegt, aus einem funkelnden Panzerhemd, darüber einem weiten Oberkleid aus blauem Samt bestand, das, an den Seiten wie ein Heroldsgewand offen, nach vorn und hinten zu durch ein großes, weißes, in Silber gesticktes Kreuz geteilt wurde. Knie und Schenkel waren durch eiserne Beinschienen geschützt, die sich in Stahlschuhen fortsetzten; an der rechten Seite seines Panzerhemds hing ein starker, breiter Dolch,»der Gottsgnadendolch «genannt, über der Schulter das Wehrgehänge seines zweihändigen Schwertes, ebenfalls reich gestickt, und auf dem Haupte trug er die schottische Nationalmütze, die mit einem Federbusche und einem Bilde der Jungfrau Maria aus gediegenem Silber verziert war.

Quentin Durward, von Jugend auf nach schottischem Brauche an die Führung der Waffen gewöhnt, stand trotzdem unter dem Eindruck der Meinung, einen Kriegsmann mit solch mustergültiger Ausrüstung und Bewaffnung noch nie vor Augen gehabt zu haben, wie diesen Oheim von mütterlicher Seite, und vor dem grimmigen Gesicht, mit dem ihn derselbe willkommen hieß, schreckte er im ersten Augenblick förmlich zurück. Erst als ihn der bärbeißige Mann nach Neuigkeiten von Schottland fragte, verschwand bei dem Jüngling die unangenehme Empfindung, die dieser erste Eindruck bei ihm geweckt hatte.

«Viel Gutes, Herr Oheim, wüßte ich da leider nicht zu melden, «erwiderte Quentin Durward auf diese Frage;»aber gefreut hat's mich, von Euch so schnell erkannt worden zu sein.«—»Junge, ich hätte Dich auf der Stelle zwischen den Heiden von Bordeaux herausgekannt, «erwiderte der Krieger mit der Narbe,»wenn ich Dich dort als Storch auf Stelzen hätte laufen sehen. Aber setz Dich doch! Hast Du was Trauriges zu berichten, so steht Wein hier, der wird's uns tragen helfen. Heda, Alter! noch einen Humpen vom besten! aber gleich!«

Im Nu stand eine Flasche der besten Champagner-Marke vor ihnen, denn in den Schenken von Plessis kannte man die Bogenschützen zu gut, um sie auch nur eine Sekunde warten zu lassen. Quentin nippte jedoch, weil er heut morgen schon einmal Wein getrunken hatte, an dem Humpen, während der Oheim einen derben Zug daraus tat…»Säß Deine Schwester an Deiner Statt hier, dann möcht ich solche Entschuldigung gelten lassen, «erwiderte Balafré,»so aber rate ich Dir, vor einem Weinkruge Dich nicht so zimperlich zu benehmen, denn ich denke doch, Du willst auch mal einen Bart bekommen und ein tapfrer Soldat werden. Also flink heran! das Felleisen herunter! und dann los mit den Neuigkeiten, die Du von unserm Glenhulakin weißt. Was macht meine Schwester?«—»Die ist gestorben, lieber Ohm!«—»Was? gestorben, «wiederholte Balafré, mehr im Tone der Verwunderung als des Mitgefühls,»wie kann das sein? sie war doch fünf Jahre jünger als ich, und wohler als sie hab ich mich doch mein Lebtag nicht befunden… Soso! gestorben also ist sie? also hat sich doch Dein Vater schon wieder verheiratet?«

Ehe aber der Jüngling noch eine Antwort auf diese weitere Frage gefunden hatte, fiel ihm der Oheim schon mit der Frage dazwischen:»Was? nicht wieder verheiratet? Ich lese Dir die Antwort ja in den Augen, Junge! und ich hätte doch Gott weiß was wetten mögen, daß Allan Durward nicht ohne Frau werde leben können… Ordnung in seinen vier Pfählen ging ihm doch über alles, und ein hübsches Weib hatte er immer gern vor den Augen. Wie kann er das haben, ohne verheiratet zu sein? Ich mach mir dagegen aus all den Bequemlichkeiten nicht sonderlich viel, sehe wohl auch ganz gern mal ein Frauenzimmer, aber deshalb gleich ans Sakrament der Ehe zu denken, ist nicht mein Fall. Dazu fehlt's mir an der nötigen Heiligkeit.«—»Aber, lieber Oheim, die Mutter war ja schon ein ganzes Jahr Witwe, denn die Ogilvies waren in Glenhulakin eingefallen, und dabei ist der Vater mit den beiden Oheimen und meinen beiden ältern Brüdern, auch noch sechs von unsern Leuten, dem Harfner und dem Arbeitsvogt, umgekommen. Bei uns in Glenhulakin raucht kein Herd mehr, und kein Stein steht mehr auf dem andern.«—»Beim Kreuze des heiligen Andreas!«rief Balafré,»das muß ja bös hergegangen sein! so eine Niederlage ist ja bald noch nicht dagewesen. Freilich, die Ogilvies waren immer schlimme Nachbarn. Du, sage mal, wann ist denn die unglückliche Affäre passiert?«— Als ihm der Neffe sagte, es sei am Sankt-Judasfeste gewesen, nahm Balafré einen tüchtigen Schluck und schüttelte dann mit großem Ernste das Haupt…»Da siehst Du's, Neffe, «sagte er,»es ist nun mal im Kriege alles Zufall. Bald hat's an dem, bald an dem gelegen. Ich bin am selben Tage mit zwanzig Berittnen gegen Schloß Rochenoir ausgezogen und hab's mit Sturm genommen, und hatte es mit einem gar schlimmen Gegner zu tun, mit Amaury, dem Eisenarme, von dem Du doch sicher schon gehört haben wirst. Den hab ich vorm Portale niedergehauen und hab in dem Schlosse soviel Gold erbeutet, daß ich mir die güldene Kette hab schmieden lassen, die noch zweimal so lang war, wie jetzt… da fällt mir übrigens ein, daß ich einen Teil davon auf ein frommes Gelübde verwenden muß. He, Andreas! Andreas!«