«Du schwatzest wie ein Kind, «erwiderte Balafré,»und leierst wie ein Kind die alten Noten auf neuen Saiten. Wenn König Ludwig seinen Barbier Oliver Dain zu Dingen braucht, die dieser besser versteht, als alle Pairs in seinem Lande, hat nicht dann sein Königreich den Gewinn davon? und wenn er seinem martialischen Generalprofossen Befehl gibt, den oder jenen aufrührerischen Bürger in Haft zu nehmen oder den oder jenen Edelmann beiseite zu schaffen, dann geschieht's doch eben ohne viel Federlesens. Aber nicht der Fall wäre es, wenn er solchen Auftrag einem Herzog oder Pair seines Landes erteilen wollte, da könnte er sich von hundert in neunzig Fällen darauf gefaßt machen, daß er den Auftrag mit einer Herausforderung zurückbekäme, auf die Ausführung aber fein säuberlich warten könnte. Oder spricht's etwa nicht von königlicher Weisheit, wenn Ludwig Balafré mit einem Auftrag bedacht wird, der beim Großconnetable vielleicht ganz und gar nicht in den richtigen Händen gewesen wäre? Ist solcher Monarch nicht gerade für Leute wie uns der richtige?… Du kannst mir schon glauben, Neffe, König Ludwig versteht's, sich die rechten Leute für seine Befehle auszusuchen, und mißt, wie man wirklich sagen kann, jedem genau zu, was er tragen kann. Aber, höre! da schlägt die Glocke von Sankt Martins! die ruft mich zurück ins Schloß. So leb denn wohl und nimm Dich recht zusammen! sei um acht Uhr früh an der Zugbrücke und frage die Schildwache nach mir! aber sieh Dich vor, daß Du nicht vom richtigen Wege abgerätst, sobald Du Dich dem Portale näherst, denn es könnte Dich, wenn Du das außer acht läßt, leicht ein Glied von seinem Leibe kosten, und das büßt doch niemand gern ein! Ich sage Dir, Neffe, Du sollst den König Ludwig sehen, und sollst dann selbst über ihn urteilen. Na, und nun Adjes für heute!«
Mit diesen Worten eilte Ludwig Balafré hinweg und vergaß in der Eile, den Wein zu bezahlen, den er bestellt hatte. Bei Personen seines Kalibers ist solche Vergeßlichkeit keine Seltenheit, und der Wirt mochte sich vor dem wehenden Federbusch nicht getrauen, ihn aufmerksam zu machen. Von Quentin Durward hätte man nun, als er sich allein sah, erwarten können, daß er sich wieder in sein Turmzimmer begeben hätte, um den süßen Tönen weiter zu lauschen, die seine Morgenstunde so herrlich aufgeheitert hatten. Aber sein Oheim hatte ihn zu derb vor die Wirklichkeit gestellt, und so hatte er jetzt keinen Sinn mehr für Romantik, sondern unternahm einen Spaziergang an dem Ufer des wild strömenden Cher, hatte sich aber zuvor noch sorgsam erkundigt bei dem Herbergswirte, ob in dieser Gegend etwa auch Fußangeln gelegt seien, die zu besonderer Vorsicht nötigten. Der Wirt hatte ihm nach dieser Richtung hin die beruhigendsten Versicherungen geben können, und so suchte er nun am Ufer des wilden Flusses seine wirren Gedanken zu sammeln und Pläne für sein zukünftiges Leben zu schmieden, das ihm durch die Unterhaltung mit seinem Oheim nach mancher Seite hin zweifelhaft geworden war.
Sechstes Kapitel
Die Art von Durwards Erziehung hatte weder sein Herz bilden, noch sein sittliches Gefühl stärken können. Er war zur Jagd angehalten und gelehrt worden, den Krieg als einzige ernste Beschäftigung, zugleich aber auch für die größte Lebenspflicht zu halten und erlittenes Unrecht an jedem Feinde aufs grimmigste zu rächen.
Nichtsdestoweniger fühlte sich Quentin durch die Gleichgültigkeit verletzt, womit sein Oheim die Nachricht von der Ausrottung der ganzen Familie seines Schwagers aufgenommen hatte; auch konnte er nicht umhin, sich zu verwundern, daß ein so naher Anverwandter ihm nicht eine Unterstützung aus seinem Beutel anbot, die er doch ohne Meister Peters Freigebigkeit notgedrungen hätte in Anspruch nehmen müssen. Gleichwohl tat er seinem Oheim unrecht, daß dieser Mangel an Aufmerksamkeit auf seine wahrscheinlichen Bedürfnisse von wirklichem Geiz herrührte. Da er selbst in diesem Augenblicke des Geldes nicht benötigt war, war es Balafré auch nicht eingefallen, daß sich sein Neffe in dringender Verlegenheit befinden könne; denn er hielt außerdem einen nahen Verwandten zu sehr für einen Teil seiner selbst, als daß er nicht ebenso für das Wohl seines Neffen hätte Sorge tragen sollen, wie er es für das seiner verstorbenen Schwester ihres Gatten getan hatte. Allein, was auch immer der Beweggrund sein mochte, so war diese Vernachlässigung dem jungen Durward durchaus nicht angenehm, und er hegte mehr als einmal den Wunsch, in die Dienste des Herzogs von Burgund getreten zu sein, ehe es ihm an Gelegenheit gefehlt hatte, über Meister Peter mit Balafré zu sprechen, denn vielleicht hätte er doch nähere Auskunft über diesen Mann von ihm erhalten; allein bei dem Oheim hatte eine Frage die andere gejagt, und die Mahnung der großen Glocke von St. Martins hatte ihr Gespräch schnell abgebrochen. Er sagte sich, der alte Mann sei wohl finster und unfreundlich, scharf und spottend, aber doch edelmütig und freigebig gewesen, und ein altes, schottisches Sprichwort sagt:»Besser ein freundlicher Fremder, als ein fremder Blutsfreund!«—»Ich muß den Mann ausfindig machen, «dachte er bei sich selbst,»und das kann doch kein so schweres Unternehmen sein, wenn er so reich ist, wie mein Wirt ihn geschildert hat. Wenigstens wird er mir hinsichtlich meines fernern Verhaltens einen guten Rat erteilen können, und wenn er sich in fremde Länder begibt, wie's viele tun, so ist das, denk ich, ebenso gut ein Dienst, wobei etwas zu gewinnen ist, als bei König Ludwigs Leibwache.«
Während Quentin diesen Gedanken nachhing, begegneten ihm zwei Männer von würdigem Ansehen, allem Vermuten nach Bürger von Tours, vor denen er respektvoll die Mütze zog. Dann bat er sie, ihm doch Meister Peters Haus zu zeigen.
«Wessen Haus, lieber Sohn?«fragte der eine. — »Meister Peters Haus, des großen Seidenhändlers, der die Maulbeerbäume dort in den Park gepflanzt hat, «entgegnete Durward. — »Junger Mensch, «sagte der von den Fremdlingen, der ihm am nächsten stand,»Ihr habt Euer nichtsnutziges Gewerbe ein wenig zu früh angefangen.«—»Und Euch an die unrechten Leute gewendet, um Späße anzubringen!«versetzte der andere noch mürrischer.»Der Syndikus von Tours ist nicht gewohnt, sich von herumziehenden Spaßmachern aus fremden Ländern Nasen drehen zu lassen.«
Quentin war so erstaunt über das, was er hörte, daß er darüber vergaß, über die Unhöflichkeit der beiden Männer böse zu werden, und ihnen starr nachblickte, wie sie mit schnellen Schritten davon eilten, als wünschten sie, ihn so bald als möglich aus dem Gesichte zu verlieren.
Nicht lange danach begegnete er einem Trupp Winzer, und stellte die nämliche Frage an sie. Als Antwort wünschten sie zu wissen, ob er Meister Peter den Schulmeister, oder Meister Peter den Zimmermann, oder Meister Peter den Büttel, oder auch ein halbes Dutzend anderer» Meister Peter «meine. Als aber keiner von diesen allen der Beschreibung glich, die er von der Person, die er suchte, gab, beschuldigten ihn die Bauern, er wolle sich einen plumpen Spaß mit ihnen machen, und drohten ihn tüchtig durchzuprügeln. Indes sagte ihnen der älteste, der in einigem Ansehen bei den übrigen zu stehen schien, sie sollten sich aller Gewalttätigkeit lieber enthalten.